: Zentrale Metapher letzten Endes unverstanden
■ Christa Wolfs »Kein Ort. Nirgends« auf dem Spielplan der Vaganten Bühne
Paul Frielinghaus und Inge Blau als Kleist und Günderode (Foto: David Baltzer / Sequenz)
Christa Wolf schrieb 1977, ein Jahr nach der Ausbürgerung Wolf Biermanns und der einsetzenden Ausreisewelle aus der DDR die Erzählung »Kein Ort. Nirgends«, nun präsentiert von der Vaganten Bühne in 80 Minuten (Bühnenfassung/Regie: Hannelene Limpach).
Christa Wolf legt dem Geschehen eine Fiktion zugrunde: 1804 treffen in Winkel am Rhein zwei Persönlichkeiten aufeinander, die sich nie so begegnet sind: Heinrich von Kleist und Karoline von Günderode. Kleist, gemütskrank, wird als Fremder von seinem Arzt in einen Kreis eingeführt, dessen Menschen die Ansprüche an Leben, Liebe, Gesellschaft, Kunst, Genuß... stets den aktuellen Umständen selbstzufrieden anpassen. Kleist hingegen trägt im Innersten einen Kampf zwischen Freiheitsideal und durch Moral und Staatspflicht gefesseltem Sein aus. In besagter Gesellschaft findet er Günderode, leidenschaftlich, stolz, sparsam nach außen. Sie denkt in ähnlichen Zügen wie Kleist. Beide verleihen ihren Sehnsüchten Ausdruck durch Poesie und wissen schon die Konsequenzen: Verkanntwerden, Scheitern — und als Ausweg das Nichtlebenmüssen.
Bei schwachem Licht mogeln sich Inge Blau und Paul Frielinghaus am Anfang in je eine Ecke der Bühne, dazu Musik von Bach. Inzwischen ist es hell geworden, das einfache, funktionale Bühnenbild ist sichtbar. Die beiden erklären nun den Raum, »ein bürgerlicher Salon«, Zeit, Ort und die Fiktion des Treffens — eine etwas plumpe Art vielleicht, aber der Zuschauer ist im Bilde. Die Schauspieler wechseln zwischen sich kommentierender — laut denkender Rolle und personifizierter Kleist- bzw. Günderode-Darstellung. Der Unterschied dazwischen ist kaum nachvollziehbar.
Dabei ist der erste Schritt zu einer Vereinfachung schon gemacht: den sichtbaren Personenkreis auf Kleist und Günderode zu reduzieren. Doch erfordert das ein konsequentes Spiel mit fiktiven Personen. Während der gesamten Zeit stehen die Darsteller aber nur schüchtern zwischen Erzählerposition und ihrer Rolle.
Zur Vermeidung solcher Kompromißpeinlichkeiten verfügt das Theater eigentlich über dramaturgische Mittel, um beispielsweise Denk- und Sprechsätze voneinander zu trennen. Die im Original verschlossenen und introvertierten Figuren wirken hier eher aufdringlich, taktlos. Niemand glaubt Frielinghaus den fremden, ewig suchenden, zerrissenen Kleist, der vorhat »... Goethe die Lorbeeren zu entreißen«. Günderode erscheint als bockige, komplexbeladene Pseudointellektuelle, die natürlich dichtet, durch Kleist verunsichert wird, sogar Angst vor ihm hat. Sie knallt ihm aber trotzdem ihren Seelenschmerz hin, bloß um vorm Publikum mit Kleist gleichzuziehen.
Jeder holt alles nur aus sich, geht nicht wirklich auf den Partner ein, die Sätze kommen auswendiggelernt ohne den nötigen Denk-Sprechprozeß. Das ist schon gar nicht mit extatischer Liebesakrobatik zu überspielen, zumal eine leidenschaftliche Beziehung ausschließlich auf geistiger Ebene existieren soll. Doch da spielt sich nichts ab zwischen beiden; im Wege stehen dabei die eigentlichen Probleme des Werkes. Daß sich Inge Blau und Paul Frielinghaus auf der Bühne nicht wohlfühlen ist zu spüren und allzu verständlich.
Welchen Sinn das Treffen beider Literaten haben soll, läßt die Inszenierung offen. Sie bietet auch keinen Anhaltspunkt für die Beziehung des Geschehens im Winkel zu Biermann und DDR-Problematik. Hannelene Limpach hat offensichtlich die Fiktion ohne Hintergrund verarbeitet (aus Unverständnis vielleicht?) und vergessen, daß Christa Wolfs Metapher so keine Berechtigung mehr hat. Dabei hätte eine Bereicherung des Stoffes überhaupt erst die Inszenierung gerechtfertigt. Die Erzählung vorher zu lesen, ist unbedingt ratsam. Freitag und Samstag, 20.00 an der Vaganten Bühne. Th. Gerber
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen