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„Von den paar Heringen kann man nicht leben“

■ Zuwenig Fisch läßt die Fischer auf der Ostsee-Insel Poel aufs westliche Festland abwandern/ Dreiviertel der Einwohner ohne Arbeit/ Bürgermeister erhofft sich gegen das Mißtrauen der Fischer eine sanfte Tourismusidylle auf der Insel

Wismar. In Gummikluft und Anglerstiefeln waten sie suchend durchs flache Wasser am Ufer der Insel Poel. Mal füllen sie ein Glasröhrchen, dann wieder fischen sie Sand und Algen heraus. Meeresbiologen der Rostocker Universität beenden demnächst ihre seit sieben Jahren laufende Forschung zu natürlichen und durch den Menschen hervorgerufenen Veränderungen in der Ostsee. Rund um die Insel Poel im Breitling und in der Wismar-Bucht verfolgen sie die Entwicklung von Tier- und Planzenbeständen, untersuchen Boden- und Wassertemperatur. Vergleichszahlen von Ende des vorigen und Mitte dieses Jahrhunderts beweisen, daß seitdem der Algenbestand stark zurückgegangen ist. Grund: die zunehmende Verschmutzung der Ostsee. Darauf tippen auch die Inselbewohner; seit eh und je verdanken viele von ihnen dem Meer ihren Lebensunterhalt.

Heute steht es schlecht um die Fischer von Poel. „Von den paar Heringen hier kann man einfach nicht mehr leben“, meint resignierend Uwe Naosch. Der 38jährige lehnt an seinem von der Genossenschaft teuer erstandenen Kutter „Kumm Wedder“. Hinter ihm ein Schild: „Aal — frisch geräuchert, Bestellungen auch für Familienfeiern“. An Bord die Räuchertonnen, über denen sich würzig duftender Rauch kräuselt. Wie Uwe Naosch versuchen auch die anderen, auf diese Weise einigermaßen über die Runden zu kommen. „Doch wir sind einfach zu viele im Bereich für das bißchen Fisch hier.“ Es gibt gerade noch 22, die sich auf Poel vom Fischfang über Wasser halten können. Einem nach dem anderen wird die Luft knapp. Und wenn dann noch der Kutter streikt und die Reparatur nicht mehr zu bezahlen ist, sitzt wieder ein Fischer mehr auf dem Trocknen. Viele junge Leute treibt es fort von der Insel aufs westliche Festland. „Es passiert ja auch nichts auf Poel“, so Uwe Naosch. „Ein bißchen Tourismus wäre nötig, ist wohl auch unsere einzige Chance...“

Ähnlich sieht es auch der Bürgermeister des nur 34 Quadratkilometer großen Eilands. Der „Neue“, wie Dieter Zielonacki von den Insulanern noch genannt wird, kommt aus Ziethen bei Ratzeburg und ist seit Januar dieses Jahres im Amt. Trotzdem Dreiviertel der 2.800 Inselbewohner ohne Arbeit sind, blickt er „optimistisch in die Zukunft“. Und dort sieht er eine naturgeschützte Idylle, ohne Autos, Schmutz und Lärm.

Er wünscht sich Hotels, die sich in die Landschaft einpassen, Wanderwege, Touristen, die per pedes, Fahrrad oder hoch zu Roß die Insel durchstreifen. Noch fehlt es am Geld, vor allem aber am Vertrauen der Einheimischen. Der Bürgermeister spricht von „Abstimmungsschwierigkeiten“ und „gesunder Vorsicht“ der Poeler, nun bemühe er sich um mehr Behutsamkeit und viele klärende Gespräche. „Ich setze mich unbedingt für den Erhalt aller Angel- und Fischplätze ein. Notfalls mache ich auch den Kirchsee für Sportboote dicht“, betont er seine Hilfe für die Fischer. Eine Ausnahme hierbei würde lediglich der Poeler Segelklub bilden. Dieter Zielonacki will bewegen, Aufwind für seine Insel schaffen, ohne die Wellen zu hoch schlagen zu lassen. Kein riesiges Gewerbegebiet, eher kleine verstreute Projekte seien geplant. Aufträge werde er nur an solche Unternehmen vergeben, die Poeler Bürger beschäftigen. Investitionen sollen vor allem für Wasserwirtschaft und Umweltschutz getätigt werden, das stehe an erster Stelle. Zukunft für Poel als einzigartige Naturschönheit? Der Bürgermeister zeigt sich da voller Hoffnung: „Ich werde mir doch meine Insel nicht kaputtmachen! Ihr wertvollster Schatz ist die einmalige Landschaft hier, die Natur ihr unbezahlbares Kapital.“ Grit Büttner (adn)

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