: Vierteltonkreuz
Die wiedereröffnete Frankfurter Oper und ihr Umfeld ■ Von Stephan Reimertz
Stationen der Ankunft in Frankfurt am Main: von oben schon die silberne Hochhausstadt der Honeywell, Borroughs und Wang; das Flughafendorf mit seinen immer wieder unbekannten Spazierwegen; von dort mit der S-Bahn in die ehrwürdige Eisenbahnbasilika; durch die horizontale Vorstadt dann zum heimlichen Wahrzeichen des Landes: den beiden Glastürmen, dem Victory-Fingerzeig der Deutschen Bank. Das Kaiserreich hat lange um die Fertigstellung des Kölner Doms gestritten; in der Bundesrepublik wurden die Türme der Staatskirche schnell und leise gebaut. Die Stadt hat sich gewöhnt, in ihrem Schatten zu leben, und spiegelt sich inzwischen gern in den undurchsichtigen Fenstern. Ohne das bekannte Firmen-Logo, das steigende Kurse symbolisieren soll und auch den Kleinaktionär schon von weitem grüßt, wäre das Gebäude makellos.
Aus dem dreißigsten Stock heruntergucken kann nur, wer so schwindelfrei ist wie der legendäre Vorstandssprecher. Aus seinem Büro konnte er die Alte Oper sehen, die entkernt, innen mit einem Allzwecksaal und Hilton-Gängen versehen, vor zehn Jahren als weißes Flaggschiff der damaligen Yuppie-Stadt wiedereröffnet worden ist. Bei der Einweihung mußte ein grünes Aufgebot die geladenen Gäste vor dem Zorn der grünen Szene schützen. Die Alternativen hatten finanzielle Unterstützung ihres Projekts „Mouson- Fabrik“ gefordert und sahen nun das Highlife der Begünstigten mit Unbehagen. Es würde da Hochkultur gefördert, hieß es in Protesten. Wer aber Gelegenheit hatte, dem Festakt beizuwohnen, gewann nicht den Eindruck, daß dergleichen betrieben worden wäre.
Gegenüber, im Schatten der Bank, tagt die offene Drogenszene in einem kleinen Park, wo unbeachtet Georg Kolbes Beethoven-Denkmal steht. Der Gang durch die Anlage holt einen aus den glitzernden Illusionen der glatten Stadt in die gesellschaftliche Realität zurück. Wer hier in Abendgarderobe flaniert, riskiert einen Messerstich.
Frankfurt ist große Welt im kleinen: Man kommt überall zu Fuß hin, wenn man nicht überfahren wird. Aus dem übel beleumdeten und schlecht beleuchteten Park ist es nur ein kurzer Trip zu einem Drogen- Center bürgerlicher Art: Man stakst über die Terrassen des BfG-Hochhauses und steht vor den Städtischen Bühnen. Die sachlich-großzügige Glasfront von 1963 überzeugt noch heute. Dahinter der metallene Fluß von Goldwolken des Bildhauers Zoltan Kemeny. Von mißmutig vorübertapernden Eingeborenen immer noch wenig gewürdigt, gilt die transparente Fassade international als eine der am besten gelungenen der sechziger Jahre.
Verglichen mit gleich alten Häusern, ist die Frankfurter Oper in der Tat konvenierend. In Hamburg und Berlin etwa beeinträchtigen architektonische Karateschläge Einstimmung und Opernrezeption ganz empfindlich. Frankfurts kulturelle Atmosphäre ist weder hansisch noch residentiell; das hier vorherrschende börsenbürgerliche Understatement bot dem Musiktheater Chancen insbesondere im Bereich avancierter Kammeroper. Nicht Bühnenweihfestspiel und Kastratenpflege stehen traditionell im Vordergrund; das wirtschaftlich innovative großstädtische Bürgertum war und ist vielmehr bester Adressat neuester Kompositionen und Interpretationen: Einakter von Hindemith und Schönberg wurden hier uraufgeführt, eine neue dialektische Dramaturgie, die mit den Namen Gielen, Berghaus, Neuenfels verbunden ist, hier durchgesetzt.
Der bescheidene Haupteingang, die unaufdringlichen Gänge und Foyers, der anheimelnde Zuschauerraum in Weiß und Gold und mit Sitzen in Bordeaux stimmten dazu. 1987 wurde neu bestuhlt: ganz in Blau. Dies blieb die einzige innovative Tat unter dem glücklosen Intendanten Gary Bertini. Aber im Gegensatz zu den Westberlinern, die sich alles bieten lassen, was ihnen die geistig längst abgedankte Charlottenburger Opernleitung vorsetzt, reagierte die Öffentlichkeit am Main unwirsch auf den Rückfall in die Opernklamotte. Auch Hofberichterstattung ist hier unbekannt: „Oper im Dornröschenschlaf“ bilanzierte lakonisch die Szenezeitung 'AZ‘ das erste Jahr ohne Michael Gielen. Nicht das Feuer im Bühnenhaus habe die Oper zerstört, sondern der neue Wind Gary Bertinis.
Die Brandnacht ist unvergessen. Am 11. November 1987 hatte man das Haus zum letzten Mal betreten, um unter Bertini Margaret Marshalls Fiordilligi zu hören. Gegen 3.45 Uhr nachts drang Tumult in die Lipizzaner-Bar des Hotels, vor dem einst Horkheimer Pferde mit Zuckerstückchen gefüttert hat. Man eilte dem Lärm nach und traf den Oberbürgermeister zum ersten Mal in der Nähe der Oper. Mit anderen Offiziellen stand er der Feuerwehr im Weg. Das Bühnenhaus brannte. War der Brandstifter ein Bertini-Gegner? Ein Mitglied der musikkritischen Fraktion der RAF oder gar Pierre Boulez, der schon einmal Ambition gezeigt hatte, Opernhäuser in die Luft zu sprengen? Nichts dergleichen. Ein harmloser junger Mann, der sich nachts im Bühnenhaus gelangweilt hatte, obwohl gerade gar keine Oper gegeben wurde.
Fast dreieinhalb Jahre später wird man nun wieder geladen, und die Beklommenheit ist größer denn je. Erregung auf kleiner Flamme geht ja jedem Opernbesuch voraus. Jeder Abend hat seine Hoffnungen: auf ein tadelloses dreigestrichenes F, eine überraschende Regie, neue Sängerinnen. Und eventuell auftretende musikalische Erinnerungen: an diesem Billettschalter ist man durchnäßt gestanden, diese Iphigenie hat man vor 15 Jahren debütieren sehen, an diesem Bühnentürl hat man gewartet, mit Blumen und in den ersten langen Hosen.
Zum Wiedereröffnungsfest haben die Frankfurter Stadtväter ihre Oper neu eingekleidet. Das Trikolor der Komplementärfarben Rot, Weiß und Blau hat auch den letzten Kaffeehausduft herausgeblasen. Nur das Hahnentrittmuster auf dem taubenblauen Teppichboden erinnert an die Sechziger, es kann aber auch als Vierteltonkreuz gelesen werden. Überhaupt werden die sechziger Jahre nicht weggeleugnet, sondern anverwandelt. Ihre Formen tauchen als kaum merkliche Zitate in Geländern und Garderobentischen auf. Der Zuschauerraum ist ganz durchblaut, nur die drei Rangabschlüsse zeigen ihr helles Holz mit stilistisch möglicherweise fragwürdigen halbelliptischen Lautsprecherrosten. Die Krönung: ein künstlicher Sternenhimmel des Architekten Toyo Ito, wie man ihn in japanischen Wochenendhotels findet.
Auch die Akustik ist härter und klarer geworden. Das C-Dur der Zauberflöte, die Marcello Viotti am Eröffnungsabend dirigierte, hat man hier noch nie so strahlend gehört. Wenn die Frankfurter dieses gefuchste und unheimlich naive Genie nicht festnehmen, sind sie selbst schuld.
Verbesserte Akustik auch politisch: Einige der Farbbeutelwerfer vom Eröffnungstag der Alten Oper finden sich wieder ein; mit gültigen Eintrittskarten, oft in politischen Ämtern. Am Pausenbüffet treffen sie mit einem jungen Unternehmertypus zusammen, der mit dem alten kruden Yuppie nicht mehr viel gemein hat. Problembewußtsein, Sozialkompetenz, flache Hierarchien: dringend benötigte neue Impulse können nur aus einem unvoreingenommenen Gespräch zwischen neuer politischer und wirtschaftlicher Intelligenz kommen. In Frankfurt wird das geprobt, auch auf kulturellem Parkett.
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