: Nur noch Trecker auf den Panzertrassen
■ Stoltenberg will28.000 Soldaten aus Niedersachsen abziehen und 39 Standorte schließen
Wie in einem aufgescheuchten Bienenkorb surrte es gestern in den Telefonen niedersächsischer Gemeinde-, Stadt- und Oberstadtdirektoren. Die Ankündigung von Bundesverteidigungsminister Stoltenberg, 39 niedersächsische Bundeswehr-Standorte aufzulösen, stürzt vor allem die kleineren Städte in Verlegenheit.
Die Bremer und Bremerhavener Standorte bleiben zwar erhalten. Aufgelöst werden aber unter anderem die Bundeswehrkasernen in Brake mit 660 Soldaten und 280 zivilen Bundeswehr-Angestellten, Elsfleth (400/60), Ahlhorn (1.300/680) und Wiesmoor (51/17), in Oldenburg wird der Fliegerhorst mit 1.200 Soldaten und zivilen Beschäftigen geschlossen, in Wilhelmshaven sollen die Marineeinheiten von 6.000 Soldaten um ein Drittel reduziert werden. In Delmenhorst werden die beiden Flugabwehr- Geschwader sowie das Raketenabwehr-Bataillon verlegt. Insgesamt schickt der Verteidigungsminister 28.000 niedersächsische Soldaten nach Hause, für viele Standorte ein herber, finanzieller Verlust.
Brakes Stadtdirektor Walter Erfmann beispielsweise beziffert den jährlichen Umsatzverlust für die Unterweserstadt auf 20 Millionen Mark. „Wir werden uns damit abfinden müssen“, analysiert der Verwaltungschef nüchtern und hofft, daß es der niedersächsischen Landesregierung gelingen wird, entsprechende Ausgleichzahlungen aus Bonn locker zu machen. „Jetzt könnten wir das Geld gut brauchen, daß das Land für die neuen Bundesländer ausgegeben hat“, schimpft gar Elsfleths Stadtkämmerer Günter Cordes.
Neben dem Umsatzausfall gehen den Städten und Gemeinden auch Ausgleichzahlungen aus der Einkommenssteuerverteilung flöten. Nach Schätzungen des Wiesmoorer Gemeindedirektors Goswin Steguweit kommen da etwa 600 Mark pro Beschäftigten zusammen. In der 11.000-Seelengemeinde Wiesmoor, die ein Patriot-Abwehr-Raketengeschwader mit 200 Mann Besatzung beheimaten soll, sind dazu noch etliche Millionen aus dem Gemeindehaushalt in Infrastrukturmaßnahmen gesteckt worden, die jetzt brach liegen werden: Über die vierspurigen Panzertrassen werden künftig nur noch Trecker fahren.
Am schlimmsten wird es die Jadestadt Wilhelmshaven treffen. Von den dort stationierten 6.000 Marinesoldaten sollen 2.000 ausgemustert werden. Die Bundeswehr ist Wilhelmshavens größter Arbeitgeber. Zusammen mit der Pleite des Schreibmaschinenwerkes Olympia droht „der finanzielle und wirtschaftliche Kollaps“ (Oberstadtdirektor Arno Schreiber). Die Kommunen hoffen nun alle auf den Erfolg ihrers Innenministers, der in Bonn Ausgleichsgelder locker machen will.
Doch in Hannover hat man keine Eile. „Offiziell wissen wir das noch gar nicht“, erklärte Jürgen Wittenberg gestern. Wittenberg ist Sprecher des niedersächsischen Innenministers Gerhard Glogowski (SPD). Man könne solche Sachen nicht einfach veröffentlichen, ohne vorher mit den betroffenen Ländern gesprochen zu haben.
Glogowski selbst will in Verhandlungen mit der Hardthöhe einige Standorte „retten“. Des Ministers Herz hängt vor allem an dem Marinestandort Wilhelmshaven. Durch die „geheimnisvolle Bearbeitung der Reduzierung“ sei der „Tag der Freude“ in eine „dilettantische Veranstaltung“ verwandelt worden, meinte Glogowski.
Wie und in welchem Maße der Bund Ausgleichszahlungen an die Gemeinden verteilt, ist bislang völlig unklar. Die Nordenhamer SPD-Bundestagsabgeordnete Margitta Terborg hofft deshalb, daß Stoltenbergs Plan „im Interesse unserer Region noch gehörig Federn lassen muß.“ Die Grünen fordern, die im Verteidigungshaushalt eingesparten Mittel direkt an die betroffenen Kommunen weiterzuleiten. „Dann läßt sich eine Standortkonversion auch in strukturschwachen Gegenden bewerkstelligen“, erklärte Andrea Hoops von der niedersächsischen Landtagsfraktion. Markus Daschner
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