: Es rumort hinter der heilen Fassade
In der Kleinstadt Neuburg an der Donau häufen sich die Übergriffe rechtsextremer Skinheads/ Gespielte Überraschung bei offiziellen Stellen/ Rechtsextremer Hintergrund und nationale Kontakte werden hartnäckig geleugnet ■ Aus Neuburg Bernd Siegler
„Zartes Morgenlicht macht Neuburg zur Versuchung.“ Die alte Residenzstadt stellt sich den Touristen als „Refugium zur Einkehr, zum Rasten und Verweilen“ dar. Mit Erfolg. 70.000 Übernachtungen im Jahr zählt die idyllische Kleinstadt an der Donau unweit von Ingolstadt. Die Welt scheint für die 25.000 Einwohner noch in Ordnung zu sein. Mit nur 3,4 Prozent Arbeitslosigkeit liegt man deutlich unter dem Landesdurchschnitt, die historischen Viertel sind herausgeputzt, im Juni steht das große Schloßfest an. Doch hinter der Fassade rumort es. Am Samstag zog gar eine Demonstration „gegen den Naziterror“ durch die Straßen.
„Wer Gewalt sät, wird Gewalt ernten“, „Skins und Punks gingen in Stellung“, „Skins attackieren Familien“ titelten die lokalen Zeitungen in den letzten Wochen. In der Nacht zum 5. Mai kam es dann zur „bisher schlimmsten und gewalttätigsten Randale von Skinheads in der Geschichte von Neuburg“ ('Neuburger Rundschau‘). Etwa siebzig aus dem gesamten Bundesgebiet und der ehemaligen DDR angereiste Skinheads schlugen den Partyraum des Jugendzentrums kurz und klein, zogen, unbehelligt von der Polizei, das Horst- Wessel-Lied singend und „Heil-Hitler“-skandierend durch die Innenstadt, zertrümmerten Schaufenster und zwangen Passanten zum Hitlergruß. Polizei, Justiz, Stadtverwaltung und mit der örtlichen Jugend befaßte Sozialpädagogen zeigten sich total überrascht. Um dem Ruf Neuburgs nicht zu schaden, wiesen sie die Schuld den auswärtigen Skinheads zu. Die Neuburger Skins hätten im Jugendzentrum nur einen Geburtstag feiern wollen.
Werner Hommel, stellvertretender Bürgermeister, empfand es als „schlimm“, daß die Polizei in der Nacht der Randale zusehen mußte, ohne eingreifen zu dürfen. Der Vorwurf zielt auf die zuständige Staatsanwaltschaft beim Landgericht Ingolstadt. Dort hatte man eine Einkesselung der Skinheads abgelehnt. „Wir dürfen bei der Strafverfolgung keine Unschuldigen treffen“, bewies der Leitende Oberstaatsanwalt Johannes Hinz ein rechtsstaatliches Fingerspitzengefühl, das manch andere Demonstranten bei der Justiz oft vermissen. So begnügten sich die Polizei und die alarmierte Hundertschaft der Bereitschaftspolizei in dieser Nacht damit, die Skins zu beobachten, und unternahmen keinen Versuch, den Zug durch die Innenstadt zu verhindern.
Nach den Krawallen stellte man die Identität von insgesamt 49 Personen fest. „Die Polizei war stets Herr der Lage“, beschönigt der Polizeibericht anderntags die Situation. Allein im Jugendzentrum entstand ein Sachschaden von 10.000 Mark.
Der von offizieller Seite geäußerten Überraschung über die Randale steht die Tatsache gegenüber, daß die Gegend um Ingolstadt und insbesondere die Kleinstädte Neuburg und Vohburg zu Treffpunkten der deutschen Skinheadszene geworden sind. Schon im Herbst 1989 berichtete die 'Neuburger Rundschau‘ über eine Gruppe von dreißig örtlichen Skins, die sich selbst als „Neonazis“ und „Faschisten“ bezeichnen und aus ihrem Ausländerhaß keinen Hehl machten. Überfälle auf Ausländer und Punks häuften sich in den letzten Monaten. Am 20. April dieses Jahres feierten sechzig Skins in Vohburg Hitlers Geburtstag. Zehn Tage später wurden zwei Camper am Donauufer von Skinheads schwer verletzt. Am 1. Mai wird ein 18jähriger in Neuburg von vier Skins „gestiefelt“, vier Tage später folgt dann die Randale im Jugendzentrum und in der Stadt.
„Wir haben keine Informationen über Verbindungen der Skins zur rechtsradikalen Szene“, lautet die stereotype Auskunft der zuständigen Polizeiinspekionen. Doch die Orientierung der örtlichen Skinheads an militanten Organisationen wie der in Bielefeld ansässigen „Nationalistischen Front“ (NF) oder der „Freiheitlich Deutschen Arbeiterpartei“ (FAP) läßt sich nicht nur an der Fülle von Aufklebern, Flugblättern und Plakaten ablesen, die in der Gegend um Ingolstadt kursieren. Ein Aussteiger aus der Szene berichtete dem 'Donaukurier‘ Mitte März, daß Mitglieder der NF die Führungs- und Schulungsrolle der Neuburger Skins übernommen hätten.
Bei dem Neonazi-Aufmarsch in Wunsiedel im vergangenen August zum Gedenken an den Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß marschierten die Neuburger denn auch im Block der NF mit. Da paßt es ins Bild, daß am 8. Mai Alfred Schickel, Chef des rechtsextremen Ingolstädter „Instituts für Zeitgeschichte“ auf einer ganzen Seite der 'Neuburger Rundschau‘ die Legende von Heß' Friedensflug nach England unter der Überschrift „Ihr wißt, ich konnte nicht anders handeln“ pflegen durfte.
Trotz der überregionalen Verbindungen und des augenscheinlich politischen Hintergrunds der örtlichen Szene werden die Übergriffe offiziell als „sinnlose Gewalt verfeindeter Jugendbanden“ abgehandelt. „Viele Skins plappern da einfach was nach“, betont der Diplom-Psychologe der Neuburger Jugend-Justizvollzugsanstalt Franz Karatschek. Nicht die politische Einstellung sei der entscheidende Faktor. Wo soziale Verelendung angesichts von traumhaft niedrigen Arbeitslosenquoten nicht als Begründung herhalten kann, sind es jetzt die Verunsicherung einzelner und der „kleinstädtische Druck“, so die Bewährungshelferin Gertraud Sodtke. Bürgermeister Hommel macht es sich noch einfacher. Trotz der Randale steht der CSU-Mann hinter den einheimischen Skins. „Die waren bisher immer freundlich und grüßten beim Vorbeigehen.“
Als etwa 25 Skins in Vohburg im Herbst vergangenen Jahres eine Wohngemeinschaft mit Baseballschlägern und Steinschleudern angegriffen hatten, zeigte Hommels Kollege Hammerschmid die gleiche Reaktion. Mit den örtlichen Skins hätte er noch „keine Minute Ärger“ gehabt, etwaige Ängste vor ihnen wären „nur ideologisch begründet“. Vohburgs Polizeichef Hans Fuchs ermahnte die Presse, „nicht zuviel über die Sache zu reden“, und die Vohburger Skins verpflichteten sich gegenüber Polizei, diese sofort zu benachrichtigen, falls auswärtige Skinheads dort auftauchen sollten. Daß bei der Randale in Neuburg die Vohburger Skins an vorderster Front mitmischten und in Vohburg wiederum die aus Neuburg, interessiert niemanden.
Die Nacht zum 5. Mai wird für die Neuburger Skins kaum Konsequenzen haben. Wenn sie die Schäden selbst beheben, brauchen sie keinen Strafantrag von der Stadt zu befürchten. Die Skins bekamen lediglich Hausverbot im Jugendzentrum erteilt, jedoch nur bis zur Beseitigung der Schäden. Man will schließlich „niemanden ausgrenzen“.
Auch für Bewaffnung und Ausrüstung der Skins wird weiter gesorgt sein. Unbehelligt verkauft ein Laden in der Neuburger Innenstadt Ninja- Wurfsterne und —Schwerter, faschistische Embleme, die schweren Doc- Martens-Stiefel und den Baseballschläger „Louisville Sluggar“ im Sonderangebot für nur 35 Mark.
Die 150 Demonstranten, die gegen die rechtsextremen Skins verloren durch Neuburgs Straßen zogen, hatten am Samstag den Eindruck, ihre Stadt sei ausgestorben. „Nichts sehen, nichts hören“ heißt die Devise der Bürger.
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