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2,5 Millionen Quadratkilometer voll Dreck

■ Von Atommüll über Industriegifte bis zur Überbevölkerung ist alles im Mittelmeer bereits bis zur Kippgrenze vorhanden

Gut 2,5 Millionen Quadratkilometer bedeckt das Mittelmeer; das vereinigte Deutschland würde, flächenmäßig, gerade zehnmal hineinpassen. Größte Tiefe: 5.267 Meter. An den etwa 20.000 Kilometern bewohnbarer Küste konzentrieren sich bereits jetzt gut 135 Millionen Menschen, mit einer — von der Unesco hochgerechneten — Zunahmeperspektive von 25 bis 75 Prozent bis zum Jahr 2025 vor allem in Kleinasien und Nordafrika: Dort werden dann etwa so viele Einwohner leben wie im gesamten Europa heute.

Zu der guten Achtelmilliarde ständiger Anwohner des „Mare mediterraneo“ kommen alljährlich fast ebensoviele Touristen. 110 Millionen waren es 1990, und sie gehören zu einem der ganz großen Umweltprobleme der Region: Für Fremdenverkehrszwecke zubetonierte Küsten, regulierte Flußmündungen, Motoryachthäfen, unkontrollierte Abwässer aus den Hotels und Sommerwohnburgen, Konsummüll am Strand und im Wasser.

All das fügt sich zu den bereits kaum mehr kalkulierbaren sonstigen Gefahren für die Mittelmeer-Umwelt: Millionen Tonnen von Industriegiften und Unkraut- bzw. Insektenvertilgungsmitteln werden direkt eingeleitet oder durch Flüsse und Bäche ins Meer gespült. Bewährte Vergifter: die italienische Poebene (jährlich mindesten 82.000 Tonnen Stickstoffverbindungen, 14.000 Tonnen Phosphor, 7.000 Tonnen Pestizide) und Nordgriechenland (alleine am Golf von Thermaikos und an der Mündung des Pinios jährlich mehr als 1.000 Tonnen Insektizide, am Golf von Pagasitikos 200 Tonnen Pestizide). Doch sie wurden längst von den Nordafrikanern überholt: Marokko zum Beispiel bringt jährlich an die 1.200 Tonnen konzentrierter Pestizide auf, Tunesien 316.000 Tonnen, allerdings weniger konzentrierte Gifte. Die Ägypter schütten fast ein Viertel des Weltverbrauchs an Pestiziden auf ihre Äcker.

Mindestens ebenso schlimm die Vergiftung des Meeres durch Schwermetalle, vor allem Quecksilber. Alljährlich transportieren allein die Flüsse an die 30 Tonnen ins Mittelmeer (dabei sind selbst Grammbruchteile schon hochgiftig), dazu kommen noch Einsickerungen von Mineralbergwerken und Fabriken an den Küsten. Besondere Konzentrationen finden sich in Almaden/Spanien, in Idria/Jugoslawien und an Italiens Küste am Monte Amiata. Italien hält auch die Rekorde bei Kadmium und Chrom im Wasser, speziell bei Neapel und an der Oberen Adria (Poebene und Veneto) sowie in Ligurien bei Genua. Schädliche Kohlenwasserstoffkonzentrationen finden sich vor Jugoslawien und der Türkei.

Von den „unsichtbaren“, weil dem Wasser optisch kaum anmerkbaren, Gefahren zu den sichtbaren: etwa der Verkehr auf dem Wasser. An die 250.000 Frachtschiffe und Passagier-Großdampfer (ohne Yachten und Fähren) durchpflügen das Mittelmeer alljährlich, durchschnittliche Verweildauer in Fahrt: 17 Tage. Das bedeutet eine Tagesbelegung von mehr als 10.000 Schiffen im Mittelmeer. Aneinandergereiht ergäbe das eine durchschnittlich 30 Meter breite Schlange von München bis Hamburg und wieder zurück bis Köln. Dazu kommen noch gut hundert große Konvois von Kriegsschiffen, im wesentlichen amerikanische, französische und britische. Sie erhöhen nicht nur das Risiko bewaffneter Konflikte, sondern auch die Gefahr bei Unfällen: Derzeit führen noch immer mehr als hundert Schiffe Atombomben mit sich; ein gutes Dutzend Schiffe wird von Nuklearreaktoren getrieben. Unfälle der diversen Kriegsmarinen und Abkippungen notlandender Bomber haben zudem unzählige Tonnen von Explosivstoffen (und spaltbares Material) auf den Meeresboden gesenkt.

Die derzeit größte „zivile Gefahr“ durch Schiffe droht von zwei Seiten: von dem „routinemäßig“ durch das Mittelmeer geschobenen Erdöl, und von der immer unkontrollierteren, überwiegend illegalen Abkippung von Müll. Fast ein Viertel des Petroleum-Weltverkehrs bewegt sich durchs Mittelmeer, zwischen 200 und 350 Millionen Tonnen pro Jahr, auf 15.000 Schiffen. Laut Greenpeace landen von den Schiffsladungen durch Lecks oder Rückstandbeseitigung an die 330.000 Tonnen im Meer — mehr als das Fünffache dessen, was bei der Explosion der „Haven“ vor Genua im April ausgelaufen ist. Und das zusätzlich zu den 110.000 Tonnen, die von den sechzig küstennahen Raffinerien ins Meer geschwemmt werden. Die Wiedereinfang-Quote ist gering: Gut drei Viertel des ausgelaufenen Öls bleiben im Meer, gehen die üblichen Verbindungen ein und verteeren.

Neben dieser „offenen“ Gefahr schien das andere Risiko — durch Müllverklappung — lange Zeit eher nebensächlich, tatsächlich aber hat sich gerade im Mittelmeer mittlerweile der Abfallverkehr und die großenteils illegale Versenkung hochgiftigen Mülls zu einer Zeitbombe entwickelt. Nicht nur daß, wie in der Adria kürzlich wieder, Schiffe mit Hunderten Tonnen hochtoxischer Substanzen sinken; gerissene Geschäftemacher haben die für die Betriebserlaubnis vieler Unternehmen obligate Müllbeseitigung längst als Einnahmequelle erkannt. Da die bis vor kurzem funktionierende Verbringung in Drittweltländer immer schwieriger wird, verklappen viele Frachter ihre Ladung auf hoher See. Erfahrungen wie die mit den Giftschiffen Zanoobia, Karin B., Jolly Rosso, Deepsea Carrier und anderen — von deren Ladungen bisher keine einzige völlig entsorgt wurde — lassen eher die weitere Zunahme der Versenkungsaktionen erwarten.

Das besondere Problem: Im Gegensatz zu anderen Meeren tauscht sich im Mittelmeer aufgrund weniger Zuflüsse das Wasser nur alle 80 Jahre einmal vollständig aus. Was heute vergiftet wird, regeneriert sich erst in der Generation unserer Urenkel — vorausgesetzt, es wird inzwischen kein weiteres Gift eingeleitet. rai

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