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GEN NORDEN – GEN WESTENSüdafrika kommt nicht zur Ruhe

Die Zukunft des Landes, dessen Geschichte immer schon eine permanenter und gegenläufiger Migrationsbewegungen war, sieht im Lichte neuer „Killing Fields“, Todesschwadronen und Fluchtbewegungen düster aus. Nach der Apartheid steuert Südafrika auf einen neuen Kreislauf aus Repression und militärischem Abenteurtum zu.  ■ VON BREYTEN BREYTENBACH

Stellt man sich die menschliche Gesellschaft als integrale Einheit vor, sie wäre von ähnlichen geologischen Verwerfungen durchzogen wie unser Globus. Kontinentale Platten bewegten sich aufeinander zu. Neue Gebirge entstünden, so wie alte in der Erinnerung versänken, Vulkane brächen in Feuerblumen aus, um ihre Aschenpollen in alle Winde zu zerstreuen, die Erdkruste erzitterte, und Gezeitenfluten, Zungen aus Lava oder klaffende Löcher schluckten alles Leben. Es gibt genau diese Regionen, wo fiebernde Spannungen ungelöster Feindseligkeit zwischen Nationalstaaten, Kulturen oder Ethnien periodisch an die Oberfläche stoßen – auf dem Balkan etwa, oder im Nahen Osten. Solche niemals geheilten Risse und Gräben können weit in die Geschichte zurückragen. Sie mögen unvereinbaren Interessen oder künstlichen Regelungen geschuldet sein, die zu einem widerrechtlichen Frieden führten oder aber zur gewaltsamen Auferzwingung von Streitkräften, Siedlern und fremden Strukturen. Fast immer sind solche sozial-politischen Umwälzungen von großen Bevölkerungsbewegungen begleitet, die entweder kommen, um der Konsolidierung zu dienen, oder die die Katastrophe zu fliehen suchen. Die Geschichte Südafrikas, ja des ganzen südlichen Afrika, ist ein weiteres Beispiel dafür, wie schwärende Probleme zu – durchaus vermeidbaren – Konfrontationen führten, die die Menschen auseinandertrieben.

Südafrika ist im Kern unstet, kommt nicht zur Ruhe. Während der Rest der Region die klassischen Stationen des Kolonialismus und die ihn begleitenden Unabhängigkeitskriege durchlief, war Südafrika immer mehr als nur eine Kolonie unter anderen – und dies, obwohl auch seine Geschichte die von Migration, Infiltration und Eroberung ist: Das Land ist aber auch eigenständige regionale Bastion. Während sie sich selbst belagert fühlten, halfen die Herrschenden Südafrikas gleichzeitig mit, die nationale Autonomie umliegender Länder zu verhindern. Mosambik wurde durch Renamo das Herz aus dem Leib gerissen: eine Legion aus Mördern, von Rhodesien zu dem einzigen Zweck aus der Taufe gehoben, die Frelimo-Revolution zu destabilisieren. Als Rhodesien dann seinen eigenen Krieg verlor, erbte, schützte und stärkte das südafrikanische Regime die Renamo. Zurück bleibt ein vollkommen ruiniertes Land, eine Art Liberia, wo verstümmelte und hungrige Menschen durch die Tierparks entlang der südafrikanischen Grenze ziehen, um entweder von Löwen gefressen zu werden oder verzweifelt zu versuchen, sich durch die elektrischen Zäune ins Überleben zu retten.

Trotz zahlreicher Versuche, das südafrikanische System zu definieren (als „speziellen Kolonialismus“, dem ein „Krieg zur nationalen Befreiung“ gegenübersteht), war es innerhalb der existierenden Paradigmen nie restlos möglich, das Wesen des Konflikts zufriedenstellend zu erfassen. Die südafrikanische Geschichte ist eine gegenläufiger Migrationen. Die nomadischen Khoi und San verschwanden – dezimiert durch weiße Krankheiten, gejagt, aufgesogen von anderen afrikanischen Ethnien, oder sie wurden „Coloureds“ (“Farbige“). Im Laufe mehrerer Jahrhunderte wanderten die schwarzen Völker von Zentralafrika nach Süden, bis sie Dreiviertel des Landes besiedelt hatten. Im 19. Jahrhundert entvölkerten sich aber wieder ganze Landstriche durch brudermörderische Kriege. Schnell begannen die Weißen – ein bunter Haufen aus Angestellten der Holländischen Ostindischen Handelsgesellschaft, religiösen Flüchtlingen wie den Hugenotten und Einwanderern aus England und deutschen Ländern – ihre Macht auszudehnen, indem sie sich exklusive Landrechte sicherten. Mit der Handelsgesellschaft wurden auch Sklaven aus anderen Besitztümern zum Kap gebracht – Malayen aus Indonesien und von der indischen Küste, Schwarze aus Mosambik, Angola und Madagaskar. Später holte man Vertragsarbeiter aus Indien und China dazu. Wiederum einige Zeit danach kamen jüdische Auswanderer aus Zentraleuropa, viele von ihnen vor Pogromen aus Litauen flüchtend. Zwei neue Gruppen entstanden aus dieser Verbindung von Weiß und Braun: die „Coloureds“ und ihre bessergestellten, blasseren Cousins, die „Afrikaaner“. Man könnte sagen, daß das kollektive südafrikanische Gedächtnis im Kern aus einer physischen Entwurzelung und der Mutation kultureller Identität besteht.

Südafrika ist ein reiches und begehrtes Land. Im Laufe des 18. Jahrhunderts zogen die Afrikaaner, auch „Trekker“ genannt, ins Landesinnere, weil sie der britischen Bevormundung entfliehen wollten, aber auch, weil sie ein unersättlicher Hunger nach Land trieb. Im 20. Jahrhundert tauchten sie wieder auf, doch ohne je in den Genuß der Aufklärung oder des europäischen Utopismus gelangt zu sein. Mit den Gold- und Diamantenfunden wuchs die Jagd nach Profiten, strömten all die „outlander“ ins Land und kam es schließlich zum Burenkrieg zwischen Briten und „Afrikaanern“, der ein schweres Erbe aus verbrannter Erde und Konzentrationslagern hinterließ. Diese Niederlage war es, die zum Exodus einiger Ewig-Gestriger nach Angola und und Feuerland führte. Die ruinierten Farmer wuchsen zu einem urbanisierten Proletariat heran und formten die Basis für einen wiederauflebenden Nationalismus, der, mit einem Anflug von Faschismus versehen, 1948 die Macht ergriff.

Apartheid – basierend auf Ausschluß, Privilegien, Repression und Rassismus – besiegelte nicht nur das Schicksal der schwarzen Ureinwohner, sie zerstörte auch die Zukunft. Nicht nur wurden die Afrikaner enteignet, sie wurden auch noch zu Fremden erklärt, die bestenfalls Wanderarbeiter werden konnten. Ansonsten waren sie als „Illegale“ restriktiven Gesetzen wie dem Land Act (kein privater Bodenbesitz für Schwarze jenseits der „Homelands“, A.d.Ü.), dem Group Areas Act ( getrennte Wohngebiete für die „Rassen“), der influx control (Verhinderung der Landflucht), den Paßgesetzen und Zwangsumsiedlungen ausgeliefert. Man walzte „schwarze Flecken“ platt und „empfahl“ den Menschen die „Rückkehr“ in die „Homelands“. Doch trotz all dieser Restriktionen konnten sich die Afrikaner urbanisieren – im Zuge der Industrialisierung. Eine kulturelle Mischung schlug Wurzeln, eng mit dem Kampf für Gerechtigkeit (oder Gleichheit, Freiheit, Würde) verwoben, wurde eine südafrikanische kulturelle Identität geboren. Der jetzige Krieg zwischen Inkatha und dem ANC ist daher auch einer von ländlichem Traditionalismus gegen Städter, die ihre Stammesidentität verloren haben.

Alles andere ist moderne Geschichte, ziellose Bewegung.

Als „weißer Kaffer“ teile ich bestimmte stillschweigende Überzeugungen, man möge sie ruhig humanistisch nennen: daß Frieden besser ist als Krieg; daß der Aufbau einer Nation jeglichem Tribalismus vorzuziehen ist; daß wir Akkulturation, Integration und Vermischung favorisieren sollten; daß wechselseitig getragener Wandel der einzige Weg ist, die Kluft zwischen einer Ersten-Welt-Minderheit und einer Dritten-Welt- Mehrheit zu überbrücken; daß Sozialismus vor kapitalistischer Ausbeutung (oder „Rationalisierung“) der Vorzug gegeben werden muß, um das Leben der Mehrheit der Bevölkerung zu verbessern; daß Fortschritt besser ist, als sich in der Stagnation einzurichten.

Doch unterhalb dieser Grundsätze haben sich andere, morbidere Erkenntnisse breitgemacht: Wir leben auf einem geplagten Kontinent, der immer tiefer hinter den Horizont internationaler Wahrnehmung versinkt. Politik auf afrikanisch heißt, daß der Gewinner alles stiehlt und es unmöglich scheint, die Verformung gescheiterter Einparteien-Systeme in groteske totalitäre Gebilde zu verhindern. Es gibt nichts dem „Fortschritt“ vergleichbares, und „Sozialismus“ ist ein Euphemismus für Bettelei, Intoleranz und Korruption. Es gibt einfach nicht genug für alle.

Zwar verließ Nelson Mandela sein Gefängnis, und der ANC kehrte zur legalen politischen Arbeit zurück. Doch der Zermürbungskrieg gegen das südafrikanische Volk hörte nie auf. Wir hatten den Punkt erreicht, von dem aus es kein Zurück gab. Heute praktizieren die Sicherheitskräfte – ihrer Apartheid- Ideologie entledigt – ungeniert das Gesetz der Willkür und die Kunst der Subversion. Nie wird ein schwarzes Leben denselben Wert wie ein weißes haben – das jedenfalls hat das Klima moralischer Zersetzung verdeutlicht. Hiergegen hat die Oppositionsbewegung, in ihren eigenen neo-stalinistischen Bahnen kreisend, nichts auszurichten vermocht. Demgegenüber ist es paradox und eine traurige Widerspiegelung der Misere des Kontinents, daß Südafrika ein Magnet für Afrikaner werden sollte: Auf meinen jüngsten Reisen traf ich nigerianische und ghanaische Intellektelle, die hier arbeiten, und Geschäftsleute aus Zaire, Senegal, Somalia, von der Elfenbeinküste ... In den südafrikanischen Botschaften häufen sich die Einwanderungsgesuche. Die Armen, die Hungrigen und die Ehrgeizigen zieht es nach Südafrika.

Was wir bekommen werden, wird eine multirassische Minderheitsregierung sein. Es wird einen neuen Kreislauf aus Repression und militärischem Abenteuertum geben. Und all dies wird in einem internationalen Klima aus Indifferenz und zynischem „Realismus“ unbemerkt bleiben. Schon jetzt gibt es eine neue Welle Exilsuchender, schwarzer wie weißer. Tausende Flüchtlinge im Landesinnern verlassen die „Killing Fields“, Zehntausende Landflüchtlinge umschlingen die Städte. Man wird den Staat plündern und demontieren. Die Todesschwadronen führen schon jetzt einen „schmutzigen Krieg“, und mit Inkatha haben wir unsere eigene Renamo. Wir haben eine im Aufbau begriffene OAS (die französische Organisation de l'Armée Secrète während des Algerienkrieges, A.d.Ü.), die zum ersten Mal in den regelrechten Feldschlachten zwischen bewaffneten Weißen und verzweifelten, „illegalen“ Slumbewohnern mitmischt. Wir werden die Barbarei kennenlernen – und den anhaltenden Strom von Menschen, die sich von Tod zu Tod bewegen, auf der Suche nach Asyl für eine Weile.

Breyten Breytenbach wurde 1939 in Südafrika geboren. International bekannt machten den Maler und Schriftsteller in Afrikaans geschriebene Prosa und Gedichte. Wegen „Hochverrats“ steckte die südafrikanische Justiz den Apartheid-Gegner sieben Jahre lang ins Gefängnis.

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