: Wo Grönemeyer seine Brust zeigt
■ Jugendmagazin „Moskito“ packt harte Themen zeitgemäß an/O-Ton statt Pädagogik
Wenn ein Fernsehmagazin mehr Qualitätssiegel hat als Schwartauer Marmelade oder Westfälisches Pumpernickel, dann ist ein Geschmackstest fällig. Auf Verbraucherebene und ganz ohne Jury, als Warentest ohne Stiftung. Das Jugendmagazin Moskito des SFB heimste seit 1988 natinal und international fünf Fernsehpreise ein, vom Prix Jeunesse für das Thema „Erste Liebe“ über den Grimme-Preis für „Sexualität“ bis zum kürzlich verliehenen Geisendörfer-Preis für die Sendung zum Tabuthema Tod. Jetzt sendet die ARD eine neue Staffel des SFB-Magazins.
Die Zutaten stimmen: Denn wie ließe sich eine Auseinandersetzung über „Das Geschäft mit der Sexualität“ besser entfachen, als durch das angeblich anrüchige Madonna-Video Justify my Love und Herbert Grönemeyer, der nur sehr unwillig seine Brust zeigt und im Studio-Interview wie immer hochmoralisch die Ausbeutung des Frauenkörpers als „Garnierung“ für Musikvideos geißelt? Schon ist der Moskito im Tiefflug über den Schulhof, auf der Ebene der Jugendlichen, und dann reden und agieren fast nur noch sie selbst — was die große Stärke der Sendung ist. Kein Zeigefinger, schon weil es keine Moderation gibt.
Drei Mädchen berichten über ihren Aufritt bei der Wahl der Miss Filmfest im Berliner Touri-Etablissement „Big Eden“ für 100 D-Mark Startgeld. Das „Anheizen“ des Publikums mache Spaß, meint eine, sie habe sich eine Nummer ausgedacht, die wie aus dem Film 91/2 Wochen sei, der habe ihr so gefallen. „Meine Mutter war da, mein Freund war da, ich fühlte mich sicher und wußte wie weit ich gehen kann. Ausziehen für 500 D-Mark würde ich nie machen.“ Doch alle jungen Frauen waren von den dauernden Umarmungsversuchen des Conferenciers angewidert.
Eine Runde von Jungen und eine von Mädchen philosopieren über die geschlechtsspezifische Rezeption von Pornoheften und Pornofilmenfilmen. Die selbst noch pubertierende Besitzerin eines Kondomladens wird zu ihrer unternehmerischen Motivation befragt. Ein Stricher erzählt aus der kurzen Karriere zwischen 15 und 18. Eine junge Ex- Prostitierte, die an der Nadel hing, redet über ihre Ekelgefühle und den Straßenstrich.
Berliner Mischung: Fünf bis sieben Beiträge hat so eine MoskitoSendung. Schwere Brocken sind dabei, wie das Gespräch mit einer 16jährigen, die über ihre Abtreibung im Alter von 15 spricht (in der Folge „Sexualität“). Damit das alles verdaulicher wird, bauen die Moskito-MacherInnen selbstgemachte, themenbezogene Musik-Videos und Slapstick- und Sketchszenen ein, suchen passende echte Clips, und werfen kurze Cartoons dazwischen. Kein Fernsehonkel bremst ab, keine Fernsehtante achtet auf den guten Geschmack. Der kleine Tutti-Frutti- Wichser und der Präser mit Bananenaroma kommen so ohne jede Peinlichkeit rüber.
Legendär sind inzwischen die Musikeigenproduktionen zusammen mit den „Ärzten“, Manfred Maurenbrecher oder Heiner Pudelko von „Geier Sturzflug“. In Szene gesetzt werden die fantasievollen und witzigen Mini-Musicals von professionellen Musikfilmregisseuren wie Reinhard Günzler oder Carlo Roda. „Wir wollen nicht nur Gymnasiasten und Gymnasiastinnen erreichen“, meint Moskito-Redakteurin Meyen Wachholz, „und Jugendliche sind mit Musik am ehesten zu packen.“
Das Rezept: Beiträge, die „nicht zu lang sind“, im Zweifelsfall „lieber eine Spielhandlung als inhaltliches Wischi-Waschi und möglicht keine Pädagogik“. Als BeraterInnen der Redaktion fungieren die Jugendlichen selbst. Regelmäßig laden Wachholz und ihre KollegInnen Kinder aus Berliner Schulen in den SFB ein, auch Lehrer und Sozialpädagogen stehen den bis zu 70 festen und freien Moskito-MitarbeiterInnen didaktisch zur Seite. Stolz ist Wachholz auf die für Jugendsendungen ganz stattliche Einschaltquote von 5 bis 6 Prozent. Weniger zufrieden ist sie mit dem Sendetermin. Der lag einst, im Jahre 1987, „als es die Privaten noch nicht gab“ um 17 Uhr 15 werktags. Doch dann sei er immer weiter nach vorne gerutscht. Jetzt startet der Moskito sonntags um 14 Uhr 15. „Ein Kompromiß“, wie Wachholz meint, denn „alle Untersuchungen sagen, daß Jugendliche zwischen 18 und 22 Uhr gucken, während bei den Kinderprogrammen hauptsächlich Leute im Alter von über 50 vor dem Fernseher sitzen.“ Wachholz glaubt nicht, daß Moskito in der ARD jemals in die bessere abendliche Sendezeit vorstoßen wird: „Da kommt man nicht hin, da sind feste Werbeplätze.“
Doch auch zwischen schwerem Sonntagsbraten und dem üblichen Oldie-Spielfilm sticht Moskito um so besser zu — wenn die Kids nicht das Geschirr abtrocknen müssen. Hans-Hermann Kotte
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen