: Aufbruch vom anderen Ufer
Mit dem Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers...“ fing vor 20 Jahren an, was heute als „Lesben- und Schwulenbewegung“ etikettiert wird. Doch von einer solchen kann kaum die Rede sein. Auch wenn's Lesben und Schwule alle Juni wieder, Christopher Street Day in memoriam, auf der Straße einen Tag lang bunt treiben. ■ VONHILKESCHLAEGER
Einer Lesbe aus der ehemaligen DDR verdanken wir, daß die Worte „Lesben“ und „Schwule“ bundestagsfähig wurden. Christina Schenk vom Unabhängigen Frauenverband, hat mit ihrem Antrag auf Einrichtung eines Lesben- und Schwulenreferats auf Regierungsebene auch eine ironische Vereinigungspointe mitgeliefert: In der DDR gab es — nach der Streichung des Paragraphen 175 — von Staats wegen weder die einen noch die anderen, außer natürlich unter dem Gerechte und Ungerechte und also auch Lesben und Schwule schützenden Dach der Kirche. In der BRD wiederum gab es im öffentlichen Raum nur die einen und die anderen höchstens als eine wissenschaftlich und/oder politisch nicht besonders interessante Variante.
Wenn schon Abweichung von der patriarchalen Norm, dann wenigstens nur die der Männer. Weibliche als Untergruppe männlicher Homosexualität, sogar den Rosa Winkel der Nazis gab es — entgegen anderslautenden Mythen — fast nur für Männer. Schwulenwitze reichlich, aber für uns „nur“ Frauenwitze. Es bleibt aber auch so noch genug. Denn ungeachtet der Tatsache, daß Lesben im patriarchalen Normengefüge nicht vorkommen: Es gibt uns, alle und nicht nur wir wissen das. Unterhalb der Ebene von Bundestag, Justiz, Medizin, Psychologie und ähnlichen ist der Normalalltag lesbischer Frauen eine ununterbrochene Kette von Demütigung und Anpassung, von Angst, aus den herrschenden Strukturen herauszufallen, und Isolation. Sonntag ist die Ausnahme, Hella von Sinnen ein fröhliches Extraspektakel und Martina Navratilova durch Siege auch bloß halb geschützt. Lesbenbewegt, also offen und offensiv lesbisch lebt auch heute nur eine Minderheit.
Als vor 20 Jahren in den Städten der freche Aufbruch begann — ausgelöst durch einen Schwulenfilm, „Nicht der Homosexuelle ist pervers...“ —, gab es für kurze Zeit ein lesbisch-schwules Bündnis. Das hielt nicht lang, denn entgegen der Annahme, mit „Homosexualität“ sei eine vergleichbare Unterdrückung von Männern und Frauen beschrieben, fanden die Frauen in den homosexuellen Aktionszentren die bekannten Mechanismen wieder: Frauenverachtung, Männerdominanz. Also verabschiedeten sich die Lesben und gründeten gemeinsam mit Nichtlesben die ersten Frauenzentren. Nur in Berlin blieb das Lesbische Aktionszentrum autonom und veranstaltete mit zwei Filmen ein mediales und kollektives Coming out: Zärtlichkeit und Rebellion und Und wir nehmen uns unser Recht haben Rebellion und Widerstand bis in die hinterste Provinz getragen.
Aktionen, Demonstrationen, Öffentlichkeit, Frauengruppen, -zentren, -buchläden, -verlage, -projekte, -feste: Der so fröhliche und befreiende Anfang kam rasch an eine immanente Grenze. „Feminismus ist die Theorie, Lesbischsein die Praxis“ (Ti-Grace Atkinson) brachte die Auseinandersetzung auf den Punkt. Sind die, die mit Frauen leben, die besseren Feministinnen, weil die, die mit Männern leben, mit dem politischen Feind ins Bett gehen? Den Paragraphen 218 haben Lesben als einen Angriff auf alle Frauen begriffen und den Kampf dagegen als einen gemeinsamen; umgekehrt konnten sie sich in ihren Problemen der Solidarität anderer Frauen nie sicher sein. Als dem Münchner Kofra (Kommunikationszentrum für Frauen zur Arbeitssitutation) vor zwei Jahren die Streichung der öffentlichen Förderung angedroht wurde, weil es im Projekt eine Lesbengruppe gab, verzichtete das Projekt auf die Lesbengruppe — typische Pointe: mit den Stimmen der Lesben. Denn dies war offenbar keine Attacke auf alle Frauen. Der Lesben-Hetera-Konflikt war mit Abstand die erbittertste Auseinandersetzung innerhalb der Frauenbewegung — alle anderen Spaltungen sehen daneben blaß aus. Heute ruht dieser Konflikt. Zwar sind viele Frauenprojekte von Lesben gegründet, arbeiten Lesben in den meisten, gäbe es ohne sie weder die Vielfalt der Frauenprojektbewegung noch, trotz aller Institutionalisierung und Staatskneteabhängigkeit, eine gewisse frauenpolitische Radikalität. Aber selten wird ausgesprochen, daß Lesben außer den Forderungen aller Frauen an die Männergesellschaft auch noch Forderungen an die Frauenbewegung haben. Den gefährlichen Unsinn, zum Beispiel an den Universitäten „Frauen- und Lesbenreferate“ einzurichten, als müsse erst ausgegrenzt werden, um anschließend wieder einzubeziehen, hat Luise Pusch mit freundlichem Zynismus glossiert. Auf den Widersinn, über „weibliche Freiheit“ zu räsonnieren, ohne ein einziges Mal die autonome lesbische Lebensform zu benennen, haben wir die Italienerinnen bisher vergeblich hingewiesen.
Wer aber sind „wir“? Auch unter Lesben gibt es diese alle einschließende warme Gemeinsamkeit nicht. Früher gab es die saubere Unterscheidung zwischen Alt- und Bewegungslesben; eine Zeitlang grenzten sich die Stadtlesben von den Landlesben ab und umgekehrt; Spirit- und Politlesben, SM-Lesben (gar nicht angenehm, ehrlich) und Anti-Imp- Lesben (auch ziemlich anstrengend), lesbische Mütter, weiße/farbige/jüdische/nichtjüdische und außerdem noch die Lipstick- und Lifestyle-Lesben, von den „objektiven“, zum Beispiel sozialen Unterschieden wie arm/reich, alt/jung, gesund/krank und so weiter ganz zu schweigen. Die vielen Querstriche sagen, daß lesbische Lebensweisen außer der Widerständigkeit gegen die vorgeschriebenen Heteroformen viele, zum Teil einander ausschließende private und öffentliche Bedürfnisse umfassen — auch zwischen radikalen Lesben und radikalfeministischen Lesben ist ein einheitlicher Frauenfrauenstandpunkt nicht selbstverständlich.
Trotzdem finden „wir“ uns zur Walpurgisnacht ein, hauen lustvoll auf den Putz, soweit die Kräfte reichen. Während andere das Zeitalter des Postfeminismus ausgerufen haben und sich schon wieder vom Frauenraum distanzieren, der seine Zeit gehabt habe, aber nun sei es daran, weiterzukommen. Wohin? In den Männerraum zurück? Separatistinnen an die Heterofront? In die nächste Gleichstellungsstelle, in der lesbische Frauen kein Thema sind? Als Reala zu den Grünen? Als Redakteurin in die taz?
Lesben, also Frauen, die mit Frauen leben und, wenn's gutgeht, sogar arbeiten, also „wir“ bestehen auf dem Frauenraum, auf Inbesitznahme und Ausdehnung des Frauenlandes. Lesben interessieren sich weniger für das Verhältnis der Geschlechter, mehr für die Beziehungen unter Frauen. Lesben beklagen nicht — Stichwort: Mittäterinnen —, daß Frauen immer wieder in die patriarchalen Fallen laufen, sondern glauben an ein konkretes Widerstandspotential und setzen gegen ihr Nichtzuhausesein in der Vater-Mutter-Kind-Gesellschaft eine eigene Kultur. Ziemlich optimistisch. Seit 20 Jahren, einige schon länger und Rückschläge eingeschlossen.
Manchmal nehmen „wir“ auch an Lesben-Schwulen-Wochen und Christopher-Street-Demos teil — mit dem Vorbehalt, das Bündnis nicht überschätzen zu wollen, trotz Aids und anderen Plagen.
Hilke Schlaeger ist Gesellschafterin und Lektorin des Verlags Frauenoffensive in München.
Zwanzig Jahre danach: Lesben und Schwule sind zu einer Talkshow im deutschen Fernsehen geladen, um über ihre Belange zu reden. Der Gast einer anderen Themenrunde verläßt aus Protest über die Anwesenheit der Gleichgeschlechtlichen das Studio. Kommentar der Talk-Gastgeberin Lea Rosh: „Das ist ein Standpunkt. Den muß man akzeptieren.“
Doch prinzipiell sind Lesben und Schwule heute präsentabel im öffentlich-rechtlichen Gespräch. Noch nicht als Personen, aber als Demonstrationsobjekte durchaus gelitten. Da ist ein Schlag wie der der anerkannt fortschrittlichen Moderatorin als notwendige Dreingabe hinzunehmen. Die Diskriminierung hat sich verfeinert.
Sind Lesben und Schwule derzeit nur als Repräsentanten des Kollektivs verwendbar, so ist der Einzelne, der schon bekannt ist und beliebt, als „Fremder“ noch nicht zugelassen. Die Verweigerung, Prominente als Lesben und Schwule vorzustellen, wird moralisch abgestützt mit Hinweis auf einen möglichen Karriereknick und ein leeres Portemonaie. Lediglich der Tod kann, wie im Fall des Walter Sedlmayer, oder, ganz aktuell, des Klaus Schwarzkopf, die Hemmung lüften, um dann doch nur ein gelebtes Leben in eine Folge von Skandalen zu zerlegen. Aber auch nicht in jedem Fall: Das Sozialprestige des Einzelnen bestimmt den Tonfall. Noch wagt niemand die Tatsache, daß Michel Foucault schwul war, beispielsweise, oder Norbert Elias, in die offizielle Vita aufzunehmen.
Der öffentliche Umgang mit Lesben und Schwulen 20 Jahre nach dem Neubeginn einer radikalpolitischen Emanzipationsbewegung hat sich geändert, ganz ohne Zweifel. Das Instrumentarium dazu lieferte die Bewegung selbst. Allein das Wörtchen schwul, noch zu Beginn in den eigenen Reihen mühsam durchgesetzt mit langen ideologischen Erklärungen, ist heute selbst im bundestäglichen Schriftverkehr im Bonner Wasserwerk erlaubt. Auch die übrigen Bilder und Begriffe, in denen das Phänomen Homosexualität öffentlich verhandelt wird, wurden zunächst in der Bewegung kreiert und geprobt. Das Quentchen Aufklärung kam immer zuerst von den Betroffenen selbst.
Dabei diktieren die anderen, die Heterosexuellen, die Grenzen der Öffentlichkeit, in denen Lesben und Schwule sich bewegen dürfen. Zugelassen sind: freundliche Homosexuelle, die nach gesellschaftlicher Anerkennung ihrer Partnerschaft streben, sind bedrohte Homosexuelle, die von verwirrten Jugendlichen zusammengeschlagen werden, sind fröhliche Gays, die einmal pro Jahr den CSD-Karneval ausrichten, sind infizierte Homosexuelle kurz vor ihrem Tod. Mehr ist nicht drin. Jeder selbstbestimmte Entwurf von anderen Lebensbedingungen, der mehr beinhaltet als nur ein Leben (und Sterben) lassen auf Heteros Gnaden, dümpelt im Ghetto vor sich hin oder ist gänzlich abgesoffen.
Dieser desolaten Verfassung im Verhältnis nach außen entspricht der Zustand der Bewegung nach innen. Keiner der Beteiligten mag ernsthaft noch von einer Bewegung sprechen, obwohl die Anzahl verfaßter Gruppen, Projekte und Vereine mit jedem weiteren Jahr neue Rekorde aufstellt. Der Drang nach Vereinsgründung mit Statut und Kassenwart ist nicht zu stoppen, so als gelte es, die mit dem Coming out einhergehende Erkenntnis der Andersartigkeit zu zügeln und in eine Ordnung zu bringen. Da tümmelt es sich, mal gesellig im Männerchor, mal semiprofessionell im Zeitungsprojekt, mal karitativ als Coming-out-Hilfe. Das hat seine Berechtigung in jedem konkreten Ansatz und zeigt sich im Ergebnis zumeist doch nur als beliebiger Zeitvertreib.
Wie weit das geht? Ein Mitarbeiter des schwulen Fernsehens in Berlin beantwortet die Versuche seines Senders, die nackten Schwänze im Programm zu zensieren, mit dem Vorschlag, rosa Winkel statt schwarzer Balken zu nehmen, das sei dann ein politisches Signal. Die Beliebigkeit dessen, was Schwulenbewegung noch meint, zeigt sich hier in der völligen Verwirrung der Inhalte und Symbole.
Und noch etwas anderes:
Schwulenbewegung war immer eine Bewegung junger Menschen. Als Durchlauferhitzer im Anschluß an das Coming out. Als Teststrecke, um die Grenzen des individuellen Spielraums kennenzulernen. Als Bühne, um verschiedene Rolle zu probieren: die radikale Tunte, der mutige Demonstrant, der jugendliche Liebhaber mit dem Hang zur Promiskuität. Dabei erfindet jede Generation, die seit 1971 angetreten ist, jeweils alles neu. Die Entdeckung der eigenen Geschichte mit rosa Winkel und KZ, die Auseinandersetzung mit der Sexualität zwischen erfüllter Partnerschaft und hemmungsloser Orgie, das Zurschaustellen der neuen Lebensform, mal unterhaltsam, mal als politische Demonstration. Die wenigen, selbstgeschaffenen Instanzen zur Weitergabe des Wissens und der Erfahrung derer, die vorher dran waren, werden kaum oder gar nicht genutzt.
Und wenn alles abgehakt ist, verschwindet zumeist der Einzelne wieder in der sorgsamen Aufteilung zwischen Privatleben in der traditionellen Subkultur und beruflicher Karriere, unentdeckt. Schwulenbewegung ist — und das ist ein Fazit nach 20 Jahren — eine Bewegung ohne Vergangenheit und mit einer Zukunft auf Zeit.
Nicht zuletzt gründet diese Erkenntnis auch auf der Einsicht, daß eine Schwulenbewegung außerhalb des — selbstverordneten oder zugewiesenen — Ghettos immer ohne Belang war. Von einigen linken Soziologen widerwillig unter das Stichwort soziale Bewegungen subsumiert, taugte das abseitige Konstrukt weder als politischer Gegner noch als gewichtiger Bündnispartner. Nur kurz war zu Beginn der siebziger Jahre die Hoffnung, mit revolutionärem Pathos einen Platz zu finden innerhalb der Linken. Nach der schmerzhaften Erfahrung, daß Diskriminierung und Ausgrenzung hier genauso funktionierten wie unter jeder anderen politischen Farbe, zogen sich die rosa Kampfgefährten ganz schnell zurück auf den Platz des unbequemen Zaungastes. Die sich daran anschließende Isolation als heftiger Gegner der Heterosexualität und jedes Heterosexuellen überdauerte nur kurze Zeit. Darauf folgte ein erneutes Bemühen, sich mit so selbstverständlichen Forderungen wie die nach der endgültigen Abschaffung des Paragraphen 175 oder die nach Wiedergutmachung für schwule KZ-Häftlinge, wieder politikfähig zu machen. Abermals wurde ganz schnell klar, daß wirklich niemand bereit war, sich solcherlei Begehren zur eigenen Sache zu machen.
Aus der mühsam unterdrückten Frustration darüber entwickelte sich schleichend jener Reformismus, der heute die sich im engeren Sinne politisch verstehenden Teile der Schwulenbewegung bestimmt. Völlig zurückgedrängt auf das Private als traditionelles Politikfeld, gibt es nichts mehr zu fordern als den polizeilichen Schutz vor Überfällen auf schwule Treffpunkte, als die juristische Gleichstellung schwuler Partnerschaften mit dem Bollwerk der Heterosexualität, der Ehe. Die vollständige Dreingabe jeglicher Utopie macht aus einer Schwulenbewegung heute den Hampelmann, der zum untergeordneten Spielball im politischen Geplänkel wird, als Käfig voller Narren den Stimmungsaufheller für Heterosexuelle abgibt oder lediglich das Partygeschwätz beliebiger Talkshows anreichert, gut dosiert als schrille Attitüde und Markstein einer toleranten Haltung.
Elmar Kraushaar ist freier Journalist, lebt in Berlin.
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