: Sonderangebote neben der KZ-Gedenkstätte
Im brandenburgischen Fürstenberg entsteht ein Supermarkt in der Nähe der KZ-Gedenkstätte Ravensbrück/ Endlich eine anständige Infrastruktur, meinen die einen. Pietätlose Kommerzialisierung der Mahnstätte, sagen die anderen ■ Von Ulrike Helwerth
Ravensbrück — Hart am Straßenrand steht das Schild: „Alle bauen auf Kaiser's, hier baut man für Kaiser's.“ Der Rohbau des Supermarktes auf rund dreitausend Quadratmetern ist fertig, davor wurde der märkische Sand für einen großen Parkplatz planiert und gepflastert. Gepflastert ist auch die Zufahrtsstraße — altmodisch, mit kleinen Steinen. Gebaut wurde sie von KZ-Häftlingen — mit den bloßen Händen.
„Ich habe eine Frau gesehen, deren Fingerkuppen so zerstört waren, daß sich keine Fingernägel mehr bilden konnten“, erinnert sich Barbara Reimann, Überlebende des Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück. Der Eingang zur Hölle, in der die SS über 90.000 Frauen und fast tausend Kinder ermordete, befand sich ein paar hundert Meter hinter der Baustelle. Ein Wäldchen und die ehemalige Wohnsiedlung des SS-Personals verdecken heute die Sicht auf die Mahn- und Gedenkstätte.
Bald werden die Kaiser's-KundInnen anrollen, wo einst die Häftlingskolonnen entlanggetrieben wurden. Werden mit ihren Einkaufswagen da kurven, wo entkräftete Frauen unter den Schlägen ihrer Bewacherinnen Kartoffeln aus dem dem halbgefrorenen Boden kratzten, denn unter dem Parkplatz lag die Kartoffelmiete des Lagers.
Den Einkauf werden sie sich deswegen nicht vermiesen lassen, sondern eher jenem Fürstenberger zustimmen, der vor kurzem meinte, daß es nach vierzig Jahren mit dem Antifaschismus endlich genug sein müßte. So lange erfüllten auch Generationen von FürstenbergerInnen pflichtgetreu ihr „revolutionäres Vermächtnis“ in der Gedenkstätte, doch eine anständige Infrastruktur für die Lebenden gab's nicht. Jetzt aber eröffnet demnächst der Supermarkt, und ein Renault-Autosalon genau gegenüber, auf der anderen Seite der ehemaligen Lagerstraße, die heute, im Andenken an die Toten aus zwanzig Ländern „Straße der Nationen“ heißt. Endlich „pulsiert“ dort wieder „das normale Leben“, wie der neue Bürgermeister, Wolfgang Engler sagt.
Vorher aber hagelte es Proteste. So schrieb die Vorsitzende der deutschen Lagergemeinschaft Ravensbrück, Gertrud Müller, an den Bürgermeister: „Es muß Ihnen Tag und Nacht in den Ohren klingen, daß wir zutiefst empört sind über Ihre Pläne, in Nähe des KZ Ravensbrück einen Supermarkt, ein Café am See und einen Autosalon errichten zu lassen ... Diese Gedenkstätte darf niemals entweiht werden ... Ihre Pläne widersprechen jeder Pietät!“
Der Architekt Engler, früher in der Kreisverwaltung im Bauwesen beschäftigt und damit auch SED- Mitglied, kann die Aufregung nicht verstehen: „Es kann nicht angehen, daß die Gedenkstätte die Stadt Fürstenberg erdrückt.“ Schließlich würden mit dem Supermarkt sechzig, später vielleicht achtzig feste Arbeitsplätze, vorwiegend für Frauen, geschaffen. Als der Fürstenberger Gemeinderat im Herbst 1990 einstimmig grünes Licht für das Bauvorhaben gab, hatte auch der Leiter der Gedenkstätte Ravensbrück, Eberhard Dentzer, nichts gegen den Supermarkt und ein damals noch geplantes Café, dicht an der Gedenkstätte. Erst als die Planierraupen loslegten, wurden die Ausmaße richtig sichtbar. Dentzer löste Mitte Mai Alarm aus. Der Gedenkstättenleiter heute: „Die Straße der Nationen war bisher ein Vorfeld der Ruhe und Sammlung. Jetzt aber steht die Kommerzialisierung der Gedenkstätte zu befürchten. Wenn wir die Ausmaße früher erkannt hätten, hätten wir auch eher protestiert.“ Weil sein Protest beim Bürgermeister nicht fruchtete, zog Dentzer die Lagergemeinschaft Ravensbrück und die Landesregierung Brandenburg hinzu. Denn es sind auch Zweifel aufgekommen, ob bei dem Verfahren alles mit rechten Dingen zuging. „Die Baugenehmigung war nach dem damaligen DDR-Recht völlig in Ordnung“, inzwischen lägen auch die Genehmigungen von Bundesvermögensamt und Treuhand vor, verteidigt sich Bürgermeister Engler. Er und der Gemeinderat fühlen sich als Opfer einer Hetzkampagne, vorwiegend von Westlern, „die immer alles besser wissen, ohne zu wissen, was bei uns wirklich läuft.“
Nur Eberhard Erdmann, der evangelische Pfarrer am Ort, hat inzwischen als einziges Gemeinderatsmitglied gegen die Bauarbeiten seine Stimme erhoben. Aus Pietätsgründen, und weil er sauer ist, daß der Bauherr des Supermarktes, ein Architekt aus Wuppertal, zwar einen Kaufvertrag über zehntausend Quadratmeter abgeschlossen, dann aber großzügig 16.000 Quadratmeter abgemessen und seinen Parkplatz bis hart an die ehemalige Lagerstraße vorgezogen hat. Mit seinen Bedenken stößt Erdmann auf wenig Verständnis. „Die meisten Leute hier wollen mit der Verdrängungslüge leben und keine Verantwortung dafür übernehmen, was im Lager einst passierte“, so die Erfahrungen des Pastor. Er würde aber gerne verhindern, „daß die Fürstenberger in den Geruch kommen, daß ihnen der Kommerz und das schnelle Geld wichtiger sind als die Vergangenheit.“
Kaiser's aber wird im Herbst seinen Laden eröffnen. Denn daß der Supermarkt und voraussichtlich auch das Autohaus nicht mehr verhindert werden können, ist allen Konfliktbeteiligten klar. Der Vertreter der brandenburgischen Landesregierung, der Gedenkstättenleiter und Mitglieder der Lagergemeinschaft Ravensbrück einigten sich statt dessen mit dem Bürgermeister auf folgenden Kompromiß: Der Parkplatz des Supermarktes und die Stellfläche des Autosalons werden um einige Meter zurückgesetzt, davor wird eine begrünte Sichtblende gebaut, die die Straße der Nationen vom Kommerz abschirmen soll.
Beim brandenburgischen Kulturministerium wird indessen erwogen, ob das ganze Gelände des ehemaligen KZ, bislang zum größten Teil von der sowjetischen Armee besetzt, nach Abzug der Sowjets in eine Landesstiftung überführt und unter Denkmalschutz gestellt werden soll. Gedenkstättenleitung und Lagergemeinschaft sind dafür, mitnichten die Fürstenberger BürgerInnen. „Am liebsten würde man aus der ganzen ehemaligen DDR ein Naturschutzgebiet machen“, schimpft der Bauleiter des Kaiser's-Marktes, „ohne zu fragen, von was die Leute hier leben sollen.“ Seinen Namen will er nicht nennen, denn schon „viel zu viel Stuß“ hätten „die Hirnis von den Westmedien“ zusammengeschmiert. Pietätlos! Da kann sich der Fürstenberger nur an den Kopf fassen: „Früher haben die Russen auf die Straße geschissen und das Gelände plattgewalzt und da hat sich auch niemand dran gestört.“
Die Frauengruppe gegen Antisemitismus (Nozizwe) und die Liga für Menschenrechte fordern sofortigen Baustopp und rufen heute, 6. Juli, zur Protestaktion in Fürstenberg auf. Treffpunkt: 14 Uhr, Gedenkstätte Ravensbrück.
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