BERLINER PLATTENTIPS: Empfängnishilfe
■ Neues von Michele Baresi, Dr. Pollka und Rasca Cocous
Etwas verunglückt rumpeln Michele Baresis Kannibalen vor sich hin. Die Idee, aus dem protestantisch dauervereinigend um sich greifenden Weltmusik-Einerlei eine schroffere und handfestere, will sagen: kritisch-distanzierte Punkvariante herauszuschälen, mag in Grenzen mit dem Herzen gedacht der bessere Weg sein als das harmlos poppende Gepredige von Paul Simon. Aber die Vorliebe für bühnenreife Reime und ebensolche Rezitationen macht dem brachliegenden Tanzsprengstoff ein jähes Ende. Da kommt ein Volk in den Norden, treibt die Römer in die Flucht und dann wird gekocht — Menschenfleisch, es sind eben Kannibalen. Überdenkt man den Witz, dann wird er nicht lustiger. Wer den Witz indes bis zur Pointe verfolgen will, wird ganz professionell didaktisch mit einer grummelnden Baßlinie gen Soweto geführt. Beat Apartheid! schießt ein Eigentor mit deutscher Gründlichkeit, weit über Paul Simon hinweg und an King Sunny Adé vorbei.
Auch die B-Seite Hast Du heute etwas Zeit steht ganzheitlich im Zwiespalt von Volxmusik und Bürgerbewegung. Zigankläge und östlich-asiatischer Säbeltanz mischen Feuer unter die Rabaukenfolklore. Gleichwohl wirkt der Aufruf zum Putsch in der Wiederholung hölzern, stoisch rollt stets die gleiche Botschaft ab. Die Feinheiten, mit denen Michele Baresi sonst leidenschaftlich an Skabeat und Reggae herumdeformiert, zerkleinert und puzzelt, sind kaum zu verspüren. Ein einziger Break führt kurz ins Ungewisse. Das folgende Posaunensolo vertuscht hingegen kaum die Vorliebe für Ravels Bolero, das mit gutem Geschmack gewählt dennoch überdeutlich anklingen muß. Sauertopf, wo ist dein Charme.
Ganz anders dagegen Dr. Pollka aus Berlin 15 auf ihrem Tonträger Synchron. Die haben gar keinen. Die machen Musik für ganz unten Gebliebene mit liebloser Elektronik und leerer Wortwichserei. Die sind nur in Bildern erträglich: Ein Uhr nachts in der Nähe des Stuttgarter Platzes. Eine Eckkneipe. Ein verirrter Gast. Vorsicht, der Wirt mit den blutunterlaufenen Leckaugen ist feindlich. Er schüttet dem Gast ständig Korn ins Bier. Aus Bosheit. Langsam machen sich andere Gäste an das Opfer heran. Ein Schwabe, der seine Frau mit drei Kindern sitzengelassen hat, macht ein Angebot, Mädchenhandel mit Polen. Ein Computerfachmann will den Ahnungslosen mit zu sich nach Hause nehmen, bloß so zum Quatschen. Dann schwimmt alles vor den Augen, der Korn fängt an zu wirken. Musik läuft aus der Juke-Box, denn die Mutter des Wirtes will mit dem Fremden tanzen. Sie flüstert zärtlich »endlich mal ein richtiger Mann« und »meiner liegt in Stalingrad«, sie greift nach seinem Hosenschlitz, er stolpert auf die Toilette. Alles dreht sich, er kotzt und bleibt kauernd vor der Kloschüssel liegen. Die anderen Gäste folgen ihm, treten ihn und lachen mit einem schrägen Tonfall, so daß er wieder kotzen muß. Dann Filmriß, Stille.
Irgendwann wacht er auf, liegt am Straßenrand zwischen zwei Autos, ohne Jacke, Hemd und Schuhe. Ihm ist schlecht, er kann sich an nichts mehr erinnern. Außer dem Lied, das dumpf aus der Juke-Box dröhnte: Synchron von Dr. Pollka. Ihm wird wieder schlecht. Sehn se, det is Berlin. Erhältlich nur in ausgewählten Synchron-Kantinen, steht dazu im Info. Das ist gut so. Harald Fricke.
Michele Baresi: Kannibalen (Zong/Deutsche Schallplatten Berlin)
Dr. Pollka: Synchron (A.R.M., Konstanzer Str. 4, Berlin 15.)
Rasca Cocous haben als blutjunge Hüpfer 1988 den Senatsrockwettbewerb gemacht, bringen aber erst jetzt ihre erste Rasca Cocous betitelte EP mit vier Stücken heraus.
Wer Rasca Cocous kennenlernt und Lloyd Cole mag, der hat seine Berliner Lieblingsband gefunden. Die Stimme von Olav Bruhn bewegt sich in exakt denselben Lagen, knödelt genauso und phrasiert getreu der alten, aber immer noch richtigen Kopisten-Devise »Warum sollte man was eigenes machen, wenn's so viele gute Musik gibt, die man nachmachen kann?« Über Gitarrensound, etc. braucht man kein Wort weiter zu verlieren, da verhält es sich genauso. Da freut sich der Kritiker, wenn die Schublade so meilenweit geöffnet vor ihm liegt, und kann sich der viel drängenderen Frage zuwenden, was so junge Menschen dazu treibt, so früh so alt zu werden. Aber lassen wir das.
Das ist Musik, die perfekt dahintröpfelt, die zu relaxed ist, um wirklich traurig zu sein, und sich zu ernst nimmt, um wirklich melancholisch zu werden. Musik, die einen nicht weiter aufregt, weder im Positiven noch im Negativen, die einen ruhig umfängt, zu der man prima abspülen kann, und das ist doch nichts Schlechtes. Musik, die selbst in Momenten, in denen die vier Heißsporne offensichtlich bemüht sind, ihre Frühvergreisung vergessen zu machen, immer noch nichts weiter auslöst — da platscht nicht mal eine Tasse ins Spülwasser. to
Rasca Cocous: »Rasca Cocous« (Saturn Musik Produktion, Tempelhofer Ufer 10, 1-61)
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