piwik no script img

Hätten Sie's gewußt?

Spielen in der Flimmerkiste: Die Geschichte der Quizsendungen und Game Shows  ■ Von Gerd Hallenberger

Jeder kennt sie, viele lieben sie, aber kaum jemand gibt es zu. Quizsendungen und Game Shows haben bis heute einen ausgesprochen schlechten Ruf, meistens werden sie irgendwo zwischen „banal“, „geistlos“ und „mega-blöd“ eingeordnet. Doch auch wenn manche beim Zusehen den Fernsehapparat anschreien, um vor den Kandidaten die Lösung zu nennen — seit den Kindertagen des Fernsehens macht das Ganze vielen Leuten in allen sozialen Schichtungen Spaß. Über die Gründe kann man mutmaßen: Liegt es am Reiz des Mitratens vor dem Bildschirm, an der Chance, als KandidatIn für kurze Zeit Medienstar werden zu können oder einfach nur an den Preisen?

Doch abgesehen von der Beliebtheit des Genres macht ein weiterer Grund den Blick auf die Geschichte dieser Programmsparte interessant: Gerade weil bisher kaum jemand solche Sendungen ernstgenommen hat, haben sie sich lange Zeit weitgehend unbeeinflußt von den „großen“ Diskussionen über das Fernsehen entwickeln können. Bei näherem Hinsehen läßt sich deshalb die Historie des Genres auch als eine Art Kulturgeschichte der Bundesrepublik „von unten“ lesen. Denn der letzte Platz in der Rangliste kultureller Leistungen wird Quizsendungen und Game Shows allenfalls noch von Heftromanen streitig gemacht.

Die konservative Kulturkritik der frühen Nachkriegszeit konnte sich villeicht damit trösten, daß das Quiz keine deutsche Erfindung war: Ebenso wie Blue Jeans, Coca Cola und Rock'n Roll stammte diese Sendeform aus „dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten“, den USA. Dort hatte sich das Quiz bereits in den dreißiger Jahren im Radio durchgesetzt, später wurde es dann vom Fernsehen übernommen.

Dasselbe geschah später in der Bundesrepublik — die nach der Befreiung Deutschlands in den Westzonen neu gegründeten Hörfunksender schickten bald erste Rätselsendungen als US-Import über den Äther und hatten damit Erfolg. Ein Grund dafür, daß Rätselraten anschließend auch ins Fernsehen gebracht wurde, das ja lange Zeit vor allem „Hörfunk mit Bildern“ war. Obwohl diese Sendungen für die deutschen ZuschauerInnen neu waren, konnten viele Produktionen schon eine Vorgeschichte vorweisen: Aus den USA importiert wurde nicht nur das Genre insgesamt, sondern auch viele einzelne Sendereihen — woran sich bis heute nichts geändert hat. In den fünfziger Jahren kam das amerikanische What's My Line als Was bin ich? auf deutsche Bildschirme, aus Twenty- One wurde Hätten Sie's gewußt? und aus The Dollar 64,000 QuestionAlles oder Nichts.

Wie erfolgreich diese Produktionen waren, läßt sich daran ablesen, daß die beiden ersten großen Stars des bundesdeutschen Fernsehens Quiz-Moderatoren waren: Hans-Joachim Kulenkampff und Peter Frankenfeld. Zeitweise war Frankenfeld sogar so populär, daß selbst ein Hans-Joachim Kulenkampff von Kandidaten auf der Bühne bisweilen als „Herr Frankenfeld“ angeredet wurde, wie der 'Spiegel‘ 1955 meldete. Dabei waren die Unterschiede zwischen beiden unübersehbar. Was Frankenfeld machte (zum Beispiel: 1:0 für Sie), würde man heute als Game Show bezeichnen; Kulenkampffs Metier war dagegen immer das ernsthaftere Quiz, womit er weitaus mehr im Trend der Zeit lag.

Trotz des Erfolgs von Frankenfelds Spielereien war das Fernsehen der fünfziger Jahre eine überwiegend ernste Angelegenheit: Es sollte vor allem der Vermittlung wichtiger Bildungsgüter und der Völkerverständigung dienen. Dem entsprach das Klima der Zeit — Wiederaufbau war angesagt, selbst die Freizeit, sofern es sie überhaupt gab, hatte man mit nützlichen oder anerkannt hochgeistigen Tätigkeiten auszufüllen. Tatsächlich stand den ersten FernsehzuschauerInnen der Sinn auch nach Unterhaltung. Die Folge dieses Widerspruchs: Natürlich bot das Fernsehen viel Unterhaltung, sie mußte nur nach „mehr“ aussehen. Was bin ich? beispielsweise, zu dem jede/r heute den Untertitel „heiteres Beruferaten“ assoziiert, wies sich in den Fünfzigern bedeutungsschwanger als „psychologisches Extemporale mit sieben unbekannten Größen“ aus. Hätten Sie's gewußt? deutete mit der schon legendären Fragenkategorie „Was man weiß, was man wissen sollte“ unübersehbar an, daß hier essentielles Kulturgut vermittelt werden sollte.

Die Zeiten änderten sich und mit ihnen die Fernsehunterhaltung. Auf die Mühen des Wiederaufbaus folgten die Wonnen der ersten Wohlstandswellen und der puritanische Moralkodex der frühen Nachkriegszeit verlor allmählich an Bedeutung. In dieser Zeit wurde nicht nur aus Was bin ich? ein „heiteres Beruferaten“, die Programmsparte Quiz/ Game Show wandelte insgesamt ihr Gesicht, die Konzepte wurden spielerischer. Neben Frankenfeld inszenierten in den Sechzigern verstärkt auch Show-Größen wie Lou van Burg oder Vico Torriani von jedem Bildungsanspruch freie Spiele zur Hauptsendezeit, selbst das schon klassische Quiz wurde zusehends „leichter“. Während in den fünfziger Jahren die meisten Quizsendungen den Eindruck von televisionären Abiturprüfungen erweckten, kam in den Sechzigern das Quiz um Hobby- und Freizeitthemen in Mode: Es gab jetzt schon das eine oder andere Musik-Quiz (Sing mit mir, spiel mit mir mit Lou van Burg), vor allem aber eine Fülle von Quizsendungen über die Themen Auto, Reise und Verkehr. Robert Lembke leitete Das große Rennen, Rennfahrer Huschke von Hanstein die Freie Fahrt und sein Kollege Richard von Frankenberg moderierte (P)Reise auf Raten. Selbst Wim Thoelke feierte bei dem Reise-Quiz Rate mit — reise mit“ Premiere.

Selbst die Titel der Produktionen deuteten den Wandel an. An die Stelle der gerunzelten Stirn und des erhobenen Zeigefingers (Hätten Sie's gewußt?) traten allmählich anspruchsfreie Beschreibungen wie bei Spiel ohne Grenzen und zunehmend sogar hedonistische Appelle (Wünsch dir was). Mit Wünsch dir was wurde Ende der Sechziger eine völlig neue, wenn auch kurze Entwicklungsphase des Genres Quiz/ Game Show eingeleitet. Parallel zur Reformeuphorie der ersten sozialliberalen Koalition wurde das Genre als Vehikel der kritischen Bewußtseinsbildung entdeckt. Wünsch dir was mit Dietmar Schönherr und Vivi Bach konnte seine aufklärerischen Ziele allerdings nur kurze Zeit verfolgen. Diese und vergleichbare Produktionen verschwanden schnell aus den Programmen; und noch ehe die weiterreichenden Konsequenzen des Kanzlerwechsels von Brandt zu Schmidt auf der politischen Bühne absehbar werden konnten, hatten sich im Unterhaltungsgenre Quiz/ Game Show bereits analoge Veränderungen angedeutet.

Die Zeit des Wiederaufbaus war schon lange vorbei, ebenso die Phase des scheinbar unbeschränkten Wohlstandswachstums und auch die erste Wohlstandskrise, in der sich politisch oppositionelle Stimmen wenigstens mit geringem Erfolg zu Wort melden konnten. In den siebziger Jahren bot die Bundesrepublik das Bild einer ständig latent gefährdeten freizeitorientierten Gesellschaft, in der immer weniger auf weiteres Wirtschaftswachstum hofften und immer mehr (primär ökologische) Krisen befürchteten. Einem Kulturforscher, der in einer solchen Situation als Gegenreaktion eine allgemeine „Verengung des Blicks“ erwartet, gibt die Entwicklung von Quiz und Game Show recht.

Obwohl es um 1970 bereits eine Fülle unterschiedlichster Konzepte gab, war das Quiz immer noch die wichtigste Form. In den folgenden Jahren änderte sich das Bild — seit dieser Zeit ist das Begrifferaten die dominierende Form. Heute wird auf allen Kanälen nach Begriffen gesucht, mit Hilfe von sprachlichen (Die Pyramide, Dingsda und vieles andere), gezeichneten (Die Montagsmaler) oder pantomimischen Hinweisen (Nur keine Hemmungen): Hier muß nichts mehr gewußt, sondern nur noch genannt werden.

Bei dieser „Sensibilität“ des Genres konnte man anschließend auch vermuten, daß die „postmodernen“ Achtziger eigene Spielformen hervorbringen würden: Die neueste Variante ist die Game Show als Game- Show-Parodie, wie sie etwa Jürgen von der Lippes Donnerlippchen bisweilen vorgeführt hat und Hugo Egon Balder und Hella von Sinnen in Alles Nichts Oder?! noch heute vorführen. Daneben wurde auch entdeckt, daß man ein Game-Show- Konzept auch als Alibi verwenden kann — als Alibi für eine Striptease- Show wie bei Tutti Frutti oder als Alibi für das televisionäre Äquivalent der Verkaufsveranstaltung bei einer Kaffeefahrt wie bei Der Preis ist heiß.

In heutigen Zeiten stecken wir in einer wahren TV-Spielhölle: Fast jeder Sender bestürmt seine ZuschauerInnen mit einer Unzahl von Quizsendungen und Game Shows. Und deshalb verdient Hape Kerkeling hier das Schlußwort, denn vielleicht will uns die derzeitige Flut der Tele- Spielereien wirklich sagen: „Das ganze Leben ist ein Quiz, und wir sind nur die Kandidaten...“

Was hier zu erfahren war, gibt es ab Oktober auch in einem Buch zu lesen, das der Autor gemeinsam mit Joachim Kaps unter dem Titel Hätten Sie's gewußt beim Marburger Jonas-Verlag herausgegeben hat.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen