: Über Berliner und andere Postkarten
■ Ansichtskarten dokumentierten Eroberungen/ Die Abbildung signalisierte die Inbesitznahme des Fremden/ Zum Mauerbau boomte die Postkartenbranche enorm/ Zwei Jahre nach ihrer Öffnung ist sie immer noch Motiv Nummer eins
Im Urlaubsland kauft der Urlauber wahllos Postkarten, die er nach Hause schickt, um den Zuhausgebliebenen zu signalisieren: »Bis hierher bin ich fortgedrungen.« Meist steht der Name einer Stadt oder eines Strandes, eines Berges oder des Campingplatzes auf der Karte; manchmal meldet ein schwungvoller Schriftzug das Grundgefühl an die Heimatfront — »Libre Mallorca« mit ein paar Nackten z.B. Manchmal, wenn die Fremde ward zur Heimat geworden, wird gemeldet, daß alles in deutscher Hand sei: Unter einer Deutschlandfahne, neben der ein kurzbehoster »lustig« gemalter Urlaubswicht salutiert, steht: »Herzliche Grüße aus Griechland an alle ‘armen‚ Zuhausegebliebenen.« Die Karte, die aus Kreta kam, wiederholte aufs schönste den kriegerischen Zusammenhang, in dem die Ansichtskarte entstand.
Einen Artillerist mit Kanone schickte der Oldenburger Buchhändler August Schwartz 1870 auf die Reise; 10 Millionen Correspondenz- oder Feldpostkarten folgten im deutsch-französischen Krieg, der Heimat die Befindlichkeit an der Westfront zu verkünden. Ansichtskarten dokumentierten Eroberungen; die Abbildung signalisierte die Inbesitznahme des Fremden. Während Nacktphotos kolonialisierter Frauen Anfang des 20. Jahrhunderts kursierten, waren deutsche Bürgerinnen tabu. Leicht verschoben rettete sich das Tabu bis in die fünfziger Jahre der DDR: Von einer »erheiternden Episode« weiß die Ost-'Nationalzeitung‘ im Dezember 54 zu berichten: »Nach einem ministeriellen Hinweis dürfen junge Frauen nicht Postkarten zieren. Es sei denn, es handelt sich um Künstlermenschen«. Das normale Frauenphoto, ohne kulturelles Werk, auf daß es hindeuten könnte, galt als anstößig. (Eine Auffassung im übrigen, die bei Klaus Theweleit radikalisiert wird: Frauenbilder sind »immer Pornographie«, schreibt er im Buch der Könige und: »Wenn schon ein Gesetz, dann eines, das die mediale Verwendung von Frauenbildern verbietet.«)
Ziemlich lange galten Postkarten nicht nur zwischen Ost und West als ideologische Waffen. Als »staatsgefährdende Propaganda« durfte 63 eine Ansichtskarte von der »Grünen Woche« nicht die Grenze passieren, als faschistische Kriegshetze geißelte der 'Morgen‘ 1965 eine West- Ansichtskarte, auf der ein Grenzsoldat neben einem einmontiertem Bajonett posierte.
Ähnliche Kampfmotive aus der Zweistaatlichkeit finden sich recht häufig an den Kiosken. Der »Kunstverlag Deutsch« zum Beispiel hat eine Postkarte mit vier Photos aus »Berlin Ost« mit einem einmontierten Grenzer anscheinend wegen des »Mauermörder«-Prozesses wieder neu aufgelegt. Als sollte man den Freiheitsverhinderer erschießen, ist er von hinten aufgenommen. Die Postkartenhersteller aus dem saarländischen Schwalbach sind jedoch um ideologische Ungebundenheit bemüht; neben der Grenzerkarte, gibt es unter dem Titel »sehn'se, ooch det is Berlin« ein Berliner »Abrißhaus« der frühen Achtziger zu bestaunen; neben der »Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche«-Postkarte, die »an das Gericht Gottes« erinnert, »das in den Jahren des Krieges über unser Volk hereinbrach« (Tränen möcht man weinen über das arme Faschistenvolk), posieren in der Reihe »Schönes Berlin« zwei schokoladenbraune Kinderchen vor Mauerresten.
Zum Mauerbau boomte die Postkartenbranche gewaltig. Auch fast zwei Jahre nach ihrer Öffnung ist sie Motiv Nummer eins an den Postkartenständern: im Infantiljargon werden die »Mauer Pick-Pick-Picker« aus dem Verlag »Schöning & Co +Gebrüder Schmidt« gefeiert, der »pausenlose Einsatz« eines hämmernden DDR-Grenzers wird im »Verlag Kunst u. Bild« gelobt, auf der Quadriga des gleichen Verlags jubeln die Sylvesternachtkletterer von 89 — wahrscheinlich noch zusammen mit dem, der später in den Tod stürzte —; »die Mauer muß weg« steht als Slogan über Leuten, die eher lustlos auf die Grenzer auf der Mauer schauen. Eine ganze Kollektion wird von der sogenannten »East-Side- Gallery« verkauft, die ein paar Kilometer der Ostmauer durch echte Künstler, die unbeholfen bis verlogen authentische Graffiti und Debilensprüche dazusetzten, verschandelt hat. Zuweilen steht die Mauer recht lustlos ganz allein da, zuweilen stützt auch ein hieneinmontierter Oskar Lafontaine den Mauerspecht. Der denkt in seiner Comicdenkblase: »Oskars Unterstützung ist echt grenzen-los«.
Die Karten von Ekkeheart Gurlitt, einem Einzelkämpfer auf dem Berliner Postkartenmarkt, sind sehr lustig. Humorvoll wollen viele sein; »freakig« oder »frech« oder »Berlin by Night« (ganz schwarz, haha); gerne wird auch die »Berliner Klappe« zitiert, die die dargestellten Dinge neu benennt: als »langer Lulatsch«, »Hungerkralle«, »Siegesspargel«, »Strammer Max«, »Hohler Zahn« oder »Circus Karajani«. Irgendwie hat man dabei immer das Gefühl, daß der Volksmund reine Medienerfindung ist.
Ein wenig melancholisch stimmen die Karten des bayerischen »Azet«-Verlags; unscheinbar, manchmal ein wenig blöde, aber nie böse, posieren Figuren aus dem »altberliner Milieu« vor dem Funkturm. Eine fesche Schrift aus den sechziger Jahren — »Berlin/Ostsektor« — begleitet vier Photos, die mindestens zwanzig Jahre alt sind. Die meisten anderen Postkarten sind nur zehn Jahre alt: ein wenig sentimental wird man manchmal, wenn die Besetzerkneipe »Meisengeige« auf einer Karte zwischen 15 anderen Etablissements (»Berlin ist eine Kneipe wert«) aus dem Jenseits herüberwinkt.
40 Jahre Sozialismus haben auf dem Postkartensektor kaum Spuren hinterlassen. Die großartige Freundschaftsaktion zwischen UDSSR- DDR, bei der 1970 40.000 hauptstädtische Berliner Postkarten an sowjetische Bürger sandten, ist längst vergessen, die Karten aus dem »Planet-« oder dem »Verlag Bild und Heimat« sind in der »Weltstadt« resp. »-metropole« fast nur noch bei Trödlern zu finden und auch die bei unseren OstfreundInnen so beliebten floralen Motive (»Blumenmotive werden bevorzugt«, schrieben 'FAZ‘ und 'ND‘ im Sommer 81) sind nunmehr lediglich bei der Büchergilde Gutenberg erhältlich. Der Faschismus war/ist da widerstandsfähiger: 19 Jahre nach dem Ende des »dritten Reichs« wurden jedenfalls im inselstädtischen Olympiastadion noch Ansichtskarten mit dem Aufdruck »Reichssportfeld« verkauft. Auf der Rückseite der vom »Reichsluftfahrministerium« freigegebenen Karte, war stolz auch der Standort der »Führerloge« vermerkt. Detlef Kohlbrodt
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