: Den Autofahrern eins aufs Dach
■ Wie kann man und vor allem frau sich gegen aggressive Autofahrer wehren — mit Hieben aufs Blech oder Vaseline auf die Scheibe?/ ADFC-Vorsitzende: Nur mit politischem Engagement
Was war das bloß für eine Schmiere auf der Windschutzscheibe und dem Rückspiegel? Mit Entsetzen mußte vor kurzem ein linker Anwalt aus dem Westen die seltsamen Veränderungen an seinem im Osten ordnungsgemäß geparkten Kombi- Daimler bemerken, als er von einem Abendtermin zurückkehrte. Er und seine Mitfahrer zückten eine Packung Tempotaschentücher und wischten und rieben und wischten und rieben — doch das Zeug blieb einfach haften. Nichts zu wollen. »Vaseline! So eine Schweinerei!« dämmerte es ihnen. Eine Flasche »Ajax Glasrein« schuf schließlich Abhilfe. Was den Anwalt besonders empörte: »Neben meinem Daimler stand der viel neuere Benz eines Richters; der jedoch hat nichts abgekriegt. Wo bleibt denn da der Gleichheitsgrundsatz?«
So wie dem Rechtsanwalt ergeht es inzwischen auch anderen: RadlerInnen und FußgängerInnen, die sich vom immer aggressiveren Autoverkehr bedroht, vergiftet und an den Rand gedrängt fühlen, schlagen zurück. Sie hauen mit der Faust aufs Blech, wenn ein Porschefahrer mit qualmenden Reifen die Straßenecke schneidet und die kreuzenden Fußgänger dabei einfach übersieht. Sie treten mit dem Fuß auf die Motorhaube, wenn ein junger Schnösel mit Potenzproblemen und Bleifuß auf dem Gas ihnen die Vorfahrt nehmen will. Sie klemmen Flugblätter hinter die Scheibenwischer der auf Radwegen abgestellten Karren mit der höflichen Aufforderung: »Parken Sie in Zukunft Ihren Schrotthaufen woanders, sonst schmeiß ich ihn auf den Müll!« Oder beppen mit unabkratzbarem Glaskleber die immer noch beliebten Schildchen »Parke nicht auf unseren Wegen« auf die Frontscheiben. Übrigens: Vorsicht! Die Polizei wertet das als Sachbeschädigung.
Dieses Wutablassen ist sicherlich gesünder als die passive Hinnahme der tagtäglichen Demütigungen, die die Radfahrerin und der Fußgänger neben den Abgasnebeln des Autoverkehrs auch noch schlucken soll. Tagtäglich werden die Machtverhältnisse auf der Straße erneut blutig bestätigt: Autos vor Radfahrer und Männer vor Frauen. Nach wie vor, da mag die 'Bild‘-Zeitung noch so sehr gegen RadlerInnen hetzen, sind bei Kollisionen zwischen PKWs und Fahrrädern nach amtlichen Angaben mehrheitlich die AutofahrerInnen schuld, auch wenn sich gewiß nicht alle RadfahrerInnen an die Verkehrsregeln halten. Nach wie vor sind es vorwiegend Männer, die in den Privatkisten aufs Gas drücken, im Berufsverkehr die Straße verstopfen oder am Feierabend über den Autobahnring toben und sich manchmal tödlich endende Wettrennen liefern. Und nach wie vor werden laut Statistiken der Autoversicherungen die häufigsten und höchsten Unfallschäden vom männlichen Geschlecht verursacht.
Uta Wobit, Landesvorsitzende des »Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs« (ADFC), hält indes nicht viel von individuellen Racheaktionen: »Radfahrer ziehen bei Auseinandersetzungen im Straßenverkehr immer den kürzeren«, glaubt sie. »Aggressive Autofahrer kann man letztlich nur politisch bekämpfen, um den einzelnen macht man besser einen Bogen.« Ihre Begründung: »Diese Aggressivität wird durch die Verkehrspolitik erzeugt. Die Autofahrer hören die irrsinnigsten Versprechungen, was ihr tolles teures Auto alles kann, und müssen dann täglich im Stau die Erfahrung machen, daß die 30.000 Mark ihnen nichts nützen, weil vor ihnen lauter andere 30.000-Mark-Kisten stehen. Vor Neid erblassend, müssen sie dann auch noch miterleben, wie die Radfahrer an ihnen vorbeiziehen. Also kriegen die Radler den ganzen Frust ab, sie sind die Sündenböcke der Autogesellschaft.«
Von eigenen Gegenmaßnahmen ist die Radfahrerin Uta Wobit inzwischen abgekommen. Eine kleine Weile lang, berichtet sie, habe sie aus Ärger über die ständigen Falschparker auf ihrem Radweg eine Kamera dabeigehabt und die Autos mit deutlich sichtbarem Kennzeichen fotografiert. Zwei Filme habe sie samt Angaben über Tatort und Uhrzeit an die Polizei geschickt, die denn auch tatsächlich selbständig gegen die Autobesitzer ermittelt habe, der zuständige Kontaktbereichsbeamte sei richtig eifrig geworden. »Aber mir ging es nicht um die Anzeigen«, sagt die Berliner ADFC-Chefin, »das ist doch keine gesellschaftliche Lösung.«
Diese Lösung ist in ihren Augen auch erst dann zu finden, wenn die Verkehrspolitik aufhört, reine Männerpolitik zu sein. »Vom Verkehrsminister runter bis zum Tiefbauamtsleiter sind doch alles Männer«, sagt sie. »Und diese verrückten Männer brauchen das offenbar, daß sie sich gegenseitig auf der Straße und in der ganzen Welt bekriegen und totfahren und verprügeln. Frauen fahren viel vorsichtiger, auch hinterm Steuer. Von einer Frau bin ich als Radfahrerin noch nie bedroht worden.« Kleine Pause. »Eine Frauenverkehrsgruppe müßten wir gründen, stimmt, das wäre was.« Ute Scheub
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