Teilnahme beseitigt noch keine Stolpersteine

■ Selbst wenn alle Beteiligten am 30. Oktober mit von der Partie sein werden, so muß sich erst noch zeigen, inwieweit es eine wirkliche Bereitschaft zum konstruktiven Dialog gibt.

Teilnahme beseitigt noch keine Stolpersteine Selbst wenn alle Beteiligten am 30. Oktober mit von der Partie sein werden, so muß sich erst noch zeigen, inwieweit es eine wirkliche Bereitschaft zum konstruktiven Dialog gibt.

Acht Monate dauerte es, bis US-Außenminister James Baker die Nahost-Friedenskonferenz unter Dach und Fach hatte, Datum und Termin feststanden. Damit aber fangen die eigentlichen Probleme erst an, denn keiner der Hauptbeteiligten — Israel, Syrien, Libanon, Jordanien, die Palästinenser — wird am 30. Oktober mit einem besonderen Enthusiasmus nach Madrid ziehen.

Die israelische Regierung, die gestern unter Führung von Ministerpräsident Schamir zusammengetreten war, um über die offizielle Antwort auf die Einladung der USA und der UdSSR zur Eröffnung der Konferenz zu befinden, stimmte am Nachmittag der Teilnahme zu. Mehrere Minister hatten vorher ihr „Nein“ angekündigt, allen voran wie üblich Bauminister Scharon. Er forderte gleich den Rücktritt des Ministerpräsidenten. Landwirtschaftsminister Eitan verlangte sofortige Neuwahlen. Auch Juwal Neeman und Rehawam Seewi von den Rechtsparteien Tehiya und Moledet wollten gegen eine Teilnahme an der Konferenz stimmen. Dennoch fiel die Entscheidung mit einer großen Mehrheit von 16 gegen drei Stimmen.

Baker selbst dämpfte am Wochenende die Erwartungen an die Konferenz. Denn zunächst muß die Hürde der Zustimmungen zu den Einladungen genommen werden; dabei stehen die Beteiligten unter Zeitdruck, da alle Parteien aufgefordert wurden, bis Mittwoch 23 Uhr (MEZ) zu antworten. Baker machte am Samstag auf seinem Rückflug nach Washington in Madrid Station und konferierte mit Spaniens Felipe Gonzales, dessen Regierung traditionell gute Beziehungen zu den arabischen Staaten und seit einigen Jahren auch zu Israel unterhält.

Selbst wenn alle Beteiligten am 30. Oktober mit von der Partie sind, enthält das geplante Prozedere noch alle möglichen Stolpersteine. Die Eröffnungsrunde, zu der Bush und Gorbatschow erwartet werden, soll maximal drei Tage dauern; entschieden wird auf dieser „Konferenz“ nichts. Sie bietet vielmehr allen Parteien Gelegenheit zu Stellungnahmen — mit der Möglichkeit, daß alte Kontroversen aufflammen und der Ton sich verhärtet. Anschließend soll dann der organisatorische Ablauf der bilateralen Gespräche — also Israel mit Syrien, Israel mit dem Libanon, Israel mit der palästinensisch-jordanischen Delegation — festgelegt werden.

Diese bilateralen Runden sollen vier Tage nach der Eröffnungskonferenz beginnen. Erst dann sitzen sich die alten Erzfeinde wirklich von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Und es muß sich erst noch zeigen, inwieweit Bereitschaft zum konstruktiven Gespräch besteht. Syriens Außenminister Faruk al Sharaa hat bereits angekündigt, daß er nicht daran denke, seinem israelischen Amtskollegen David Levy die Hand zu reichen. Ähnliche Widerstände und Beleidigungen sind nicht auszuschließen. Daher rechnet die US-Administration auch damit, daß die Verhandlungen immer mal wieder zusammenbrechen können. In solchen Fällen wird es dann heißen, daß die Gespräche „ausgesetzt wurden, ohne daß ein neuer Termin festgelegt wurde“. Dann wäre es Sache der USA, sie wieder in Gang zu bringen.

Ein weiteres Problem besteht in den unterschiedlichen Zielen der Beteiligten. Die USA selbst haben sich da sehr bedeckt gehalten; die US-Administration setzt darauf, daß allein die Tatsache, daß israelische und arabische Gesprächspartner in einem Raum zusammensitzen, eine wichtige atmosphärische Veränderung ist, die dann auch weitere Schritte ermöglicht. Eine Garantie gibt es dafür jedoch nicht.

Während Israel vor allem zu einem offiziellen Friedensabkommen mit seinen Nachbarstaaten kommen und den Palästinensern in den besetzten Gebieten lediglich eine Autonomie zugestehen will, stellen die arabischen Staaten weitergehende Forderungen, so nach einem Abzug der israelischen Truppen aus den besetzten Gebieten oder nach der Gründung eines unabhängigen Palästinenserstaates. Aber auch die arabische Seite verfolgt ihre jeweiligen Eigeninteressen. So will Syrien vor allem die 1967 besetzten und später annektierten Golan-Höhen wiederhaben, während der libanesischen Regierung in erster Linie an einem Rückzug der israelischen Soldaten aus dem Südlibanon und an Gesprächen über die Wasserfrage gelegen ist. Daher ist vor allem die PLO daran interessiert, daß die arabischen Staaten ihre Position untereinander koordinieren — um zu vermeiden, daß einseitige Separatabkommen mit Israel getroffen werden und die Palästinenserfrage von den einzelnen Regimes fallengelassen wird. Arafat, der sich am Samstag in Damaskus aufhielt, schlug denn auch vor, am kommenden Mittwoch, im Vorfeld der Madrider Konferenz, einen Minigipfel aller beteiligten arabischen Staatschefs und der PLO abzuhalten.

So ist es auch eher die politische Notwendigkeit im Vorfeld der Konferenz, die Arafat und den syrischen Staatschef Hafez al Assad veranlaßten, ihren erbitterten achtjährigen Konflikt jetzt hintanzustellen. Das Assad-Regime möchte jetzt die Koordination der „arabischen Position“ im Zusammenhang mit der Konferenz übernehmen. Dies entspricht einem alten strategischen Ziel Syriens, eine Führungsrolle in der Region einzunehmen. Das heißt jedoch nicht unbedingt, daß die Herrscher in Damaskus nun eine innige Liebe zu den Palästinensern entdeckt hätten. Das nämlich können sie sich genauso wenig leisten wie die anderen Parteien. Und genau darin liegt möglicherweise auch die entscheidende Trumpfkarte Bakers.

Keiner der beteiligten Staaten, auch nicht Israel, kann ohne weiteres der Konferenz den Rücken kehren und als der Schuldige für einen Zusammenbruch des Friedensprozesses dastehen. Alle sind dringend auf die Hilfe der USA angewiesen: Israel für die Ansiedlung der sowjetischen Einwanderer; die arabischen Staaten, um die tiefgreifenden wirtschaftlichen und sozialen Probleme zu mildern, die zu innenpolitischen Unruhen führen könnten; und die Palästinenser, weil ihnen angesichts der massiven israelischen Siedlungspolitik die Zeit davonläuft.

Daher sitzen auch diejenigen, die sich zum Wortführer der Gegner der Konferenz aufgeschwungen haben, nicht in einem arabischen Land, sondern in Teheran. Dort findet seit dem Wochenende eine „Konferenz zur Unterstützung der islamischen Revolution in Palästina“ statt. Mit von der Partie sind die Volksfront für die Befreiung Palästinas-Generalkommando, die palästinensische Hamas- Bewegung, der Islamische Heilige Krieg, die libanesische fundamentalistische Hizb' Allah sowie der Drusenführer Walid Jumblatt. Doch ungeachtet der Rhetorik des iranischen Präsidenten Rafsandschani, der das Scheitern der Konferenz prophezeite, hat auch das Regime in Teheran die Zeichen der Zeit begriffen. Rafsandschani, der selbst auf westliche Hilfe spekuliert, beeilte sich zu versichern, daß die Teheraner Veranstaltung nicht als Gegentreffen zur Nahost-Konferenz gedacht ist. Es gehe vielmehr um praktische Schritte zur Unterstützung des palästinensischen Aufstands in den besetzten Gebieten. Beate Seel