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Berliner Bahnhöfe suchen Anschluß an Deutschland

■ Modelle zur Erweiterung und Modernisierung des Fernverkehrs/ Zentraler Fernbahnhof am Humboldthafen für 400 Züge täglich/ Wiederaufbau des Anhalter und Lehrter Bahnhofs oder S-Bahn-Ring?/ Die Alternative: Tunnel und Wasserstraßen/ Bis 2010 soll sich der LKW-Verkehr verachtfachen

Berlin. Berlin ist nicht besonders gut mit dem restlichen Deutschland verbunden. Zwei Jahre nach der Maueröffnung liegt die Stadt noch im Abseits. Die Berliner Bahnhöfe erinnern an Provinzniveau. Auf der ehemaligen Transitautobahn dauert die Fahrt noch länger als in den Zeiten, wo es Paß- und Zollkontrollen, dafür aber keinen Stau gab. Und die LKW- Flut nimmt zu.

Das soll sich bessern. Schon vor der Maueröffnung arbeitete die DEC (Deutsche Eisenbahn Consult) im Auftrag der Senatsverkehrsverwaltung an einem Eisenbahnkonzept. Die DEC schlug vor, einen riesigen zentralen Fernbahnhof am Humboldthafen zu errichten, wo 400 Züge täglich halten können. Dazu soll am Lehrter Stadtbahnhof ein Intercity-Bahnhof in Ost-West-Richtung gebaut werden, unter der Erde soll in Nord-Süd-Richtung ein weiterer Bahnhof entstehen. Von dort aus soll sich ein Tunnel vom Gleisdreieck bis zum Nordhafen erstrecken. Zwei unterirdische S-Bahn-Linien und eine U-Bahn sind ebenfalls vorgesehen. Alles würde zusammen fünf Milliarden Mark kosten.

In Tiergarten ist man davon nicht begeistert. »Um den Bahnhof werden sich Hotels, Tagungszentren und Bordelle ansiedeln, und die alteingesessenen Tiergartener werden verdrängt«, befürchtet Uli Hellweg, Chef der Stadterneuerungsgesellschaft S.T.E.R.N. Nach einem S.T.E.R.N.-Gutachten wären die Zufahrtstraßen stundenlang verstopft, selbst wenn nur zehn Prozent der Reisenden mit dem Auto kämen und der Rest mit der BVG führe — was schon eine optimistische Schätzung ist. »Womöglich werden die Heide- und die Invalidenstraße erweitert«, befürchtet Hellweg. Und der Eisenbahntunnel würde sich mit dem geplanten Tunnel für die Westtangente kreuzen. »Entweder macht man einen unterirdischen beschrankten Bahnübergang, oder man baut die Tunnel untereinander«, spottet Matthias Hort von der Interessengemeinschaft Eisenbahn und Nahverkehr, der IGEB.

Wiederaufbau des Anhalter Bahnhofs

Die Senatsverkehrsverwaltung läßt nun mehrere Alternativen prüfen. Eine davon stammt von der Gruppe F.A.L.B. (Förderverein Anhalter und Lehrter Bahnhof). Sie will den Wiederaufbau des Anhalter Bahnhofs am alten Platz. Dort sollen Hochgeschwindigkeitszüge halten, die unterirdisch einfahren.

»Unterirdische Bahnhöfe sind inzwischen in allen Großstädten üblich«, sagt der Architekt Helmut Maier von F.A.L.B. Vom Anhalter Bahnhof aus soll ein Tunnel in nördliche Richtung unter den Ministergärten verlaufen, der nahe dem Reichstag zu einem zweiten unterirdischen Bahnhof erweitert würde. Am Nordring kommen die Züge aus der Erde und fahren entweder gen Hamburg/ Hannover oder in Richtung Rostock/ Stralsund. Ein weiterer Tunnel soll vom Anhalter Bahnhof zum Hauptbahnhof (früher Ostbahnhof) führen. »Der Anhalter ist mit dem U- Bahnhof Möckernbrücke und der Nord-Süd-S-Bahn gut an die BVG angeschlossen«, sagt Maier. Die U- Bahn von Pankow nach Ruhleben ließe sich über den Anhalter Bahnhof verschwenken. Deshalb sei dieses Modell billiger als das der DEC. Der Regionalverkehr soll über Friedrichstraße und Zoo laufen. »Ein zentraler Hauptbahnhof ist eine Erfindung von Mielke, so etwas gibt es in keiner Millionenstadt der Welt«, bemerkt Maier.

Ein weiteres Modell ist das Ringkonzept der Bürgerinitiative Westtangente. Die Bahnhöfe im S-Bahn- Ring, also Lichterfelde Ost, Tempelhof, Lichtenberg, Greifswalder Straße, Pankow, Gesundbrunnen, Spandau und Westkreuz sollen ausgebaut werden. Die Züge kommen dann dort an, fahren am Ring entlang, halten mehrmals und verlassen Berlin wieder. Mit Hochgeschwindigkeit können Züge hier allerdings nicht durchbrausen. »Aber wir sind sowieso gegen Hochgeschwindigkeit, denn das verbraucht unverhältnismäßig viel Energie«, meint Bernd Breitkopf von der Bürgerinitiative Westtangente. Der Vorteil des Ringmodells: Die Belastung, die ein Bahnhof mit sich bringt, wird auf mehrere Stadtteile verteilt. Aber man müßte den S-Bahn-Ring dazu ausbauen, denn derzeit gibt es nur vier Gleise für die Eisenbahn, den Güterverkehr und die S-Bahn. »Das Ringmodell ist das preiswerteste«, sagt Breitkopf. Eine Sanierung der Gleise und der Ausbau der Bahnhöfe koste nur 700 Millionen Mark. Erweitere man den Ring um zwei Gleise, koste es eine Milliarde.

Christian Lotze, Abteilungsleiter beim Verkehrssenator, glaubt das nicht so recht. Er hält das Ringkonzept für dreimal so teuer, da die Verknüpfung der Eisenbahn mit der teils höher gelegenen Ringbahn technisch aufwendig sei. Die Verkehrsverwaltung favorisiert nach wie vor den Zentralbahnhof an der Lehrter Straße. »Das ist das bestmögliche Angebot für die Fahrgäste, nur so steigen sie vom Auto um«, sagt Lotze. Das Argument, daß der Standort kaum an die BVG angebunden sei, läßt er nicht gelten. »Die U- Bahn und die S-Bahn dort müssen sowieso gebaut werden«, sagt er. Die Ringbahnhöfe außerhalb würden außerdem ausgebaut, da auch sie von vielen Fahrgästen benutzt würden — begonnen wird im nächsten Jahr in Spandau. Bis November wird sich die Senatsverkehrsverwaltung für eines der Modelle entscheiden müssen, denn Ende des Jahres wird in Bonn der Bundesverkehrswegeplan erstellt, der auf etwa zehn Jahre die wichtigsten Trassen in Deutschland festlegt. Die Verwaltung hat den Nord-Süd-Tunnel der Eisenbahn bereits in Bonn angemeldet, nicht aber den Autotunnel.

Obwohl der Senat seit 1990 jährlich etwa 200 Millionen Mark aus Bundesmitteln für die Verknüpfungen zwischen Berlin und Brandenburg zur Verfügung stellt, sind zwei Jahre nach der Maueröffnung die meisten Verbindungen ins Umland noch nicht wieder hergestellt. »Berlin hat erst 800 Meter Gleis zwischen Wannsee und Potsdam gelegt, und dazu hat der Senat 800 Tage gebraucht«, schimpft Michael Cramer von den Grünen. Erst im April 1992 wird diese Verbindung fertig sein. Auch die Vorortstrecken nach Teltow, Nauen oder Hohen Neuendorf werden noch über ein Jahr auf sich warten lassen. »Nach Nauen könnten schon seit über einem Jahr regelmäßig Dieselzüge verkehren«, meint Cramer. Auf der Strecke nach Heiligensee und Kremmen wurden gar 1,2 Kilometer Gleis mit der Autobahn überbaut, so daß ein Planfeststellungsverfahren nötig ist, was ebenfalls dauert.

Die Bundesbahn hat bisher schon fünf Lücken zwischen der ehemaligen DDR und dem Bundesgebiet geschlossen. Aber drei Viertel des Bahnnetzes im Osten sind noch nicht elektrifiziert, vieles ist in schlechtem Zustand. Als eine der ersten Maßnahmen ist eine Hochgeschwindigkeitstrasse zwischen Berlin und Hannover über Stendal geplant, auf der im Jahre 1995 Intercitys mit 250 Stundenkilometern in zwei Stunden ohne Halt durchbrausen sollen. Parallel dazu wird die Strecke Berlin — Magdeburg — Hannover ausgebaut. »Nur so wird die Bahn gegenüber dem Flugzeug konkurrenzfähig«, sagt Matthias Horth von der IGEB. Abgelehnt wird von der IGEB ein anderer Bonner Plan, der Transrapid, eine Magnetbahn, die mit 400 Stundenkilometern auf Stelzen von Berlin nach Erfurt brausen könnte. »Dieses System ist teuer, mit der Eisenbahn nicht kompatibel und lauter als ein Düsenjäger«, meint Horth.

Für 17 Verbindungen zwischen Ost und West hat die Bundesregierung das Maßnahme- und das Beschleunigungsgesetz vorbereitet, die derzeit im Bundestag beraten werden. Es geht im einzelnen um neun Eisenbahnstrecken, den Mittelland- und den Elbe-Havel-Kanal sowie um sieben Autobahnen. Sie sollen die Autobahnen von Berlin nach Hamburg und nach Leipzig — mit einem Abstecher nach Dresden — verbreitern, eine neue Autobahn von Magdeburg nach Halle käme dazu. Die brandenburgische Landesregierung will den über 200 Kilometer langen Autobahnring um Berlin herum für einige hundert Millionen Mark sechsspurig ausbauen. Und in Berlin soll ein Zubringer durch Neukölln und Treptow entstehen. Die zur Durchsetzung nötigen Gesetze sind jedoch umstritten. Die Berliner Grünen etwa halten sie für verfassungsrechtlich bedenklich.

»Mehr Straßen ziehen mehr Verkehr an«, stellt Michael Cramer dazu fest. Die Autolawine in Berlin ist jetzt schon beachtlich: 913.000 Autos sind im Westteil der Stadt gemeldet, über 458.000 im Ostteil. Nach einer Studie, die die nordrhein-westfälische Landesregierung in Auftrag gegeben hat, verursacht der Autoverkehr allein in Berlin jährlich 7,5 Milliarden Mark Schaden an Mensch und Umwelt. Schlimmer noch sind die Umweltschäden, die LKWs anrichten, vor allem die 40-Tonner, die Normgröße des EG-Binnenmarktes für Laster. Wegen denen wird der EG-Grenzwert von 200 Mikrogramm Stickoxid pro Kubikmeter an den meisten Berliner Kreuzungen überschritten. Und der LKW-Verkehr von Westdeutschland in Richtung Berlin wird sich bis zum Jahr 2010 verachtfachen, schätzt Verkehrsminister Günter Krause (CDU).

Aber statt die Verursacher zur Kasse zu bitten, wird die Eisenbahn im Wettbewerbsnachteil gehalten: Die Bahn muß die Kosten des Schienennetzes selbst bezahlen und der Autopendler wird steuerlich günstiger gestellt als der, der BVG oder Eisenbahn benutzt. Der Senat will nun vier Güterverkehrszentren außerhalb Berlins einrichten, so daß die LKW-Transporte in die Stadt optimiert werden.

Die Forderung, Güter auf die Schiene zu verlagern, ist aber sowieso nicht kurzfristig machbar. Zwar hat in der ehemaligen DDR die Bahn drei Viertel aller Transportleistungen erbracht, und ein Viertel lief über die Straße, während das Verhältnis im Westen umgekehrt ist. Aber viele Stellwerke, Brücken und Bahntrassen sind in miserablem Zustand, die technische Ausstattung ist auf dem Stand der 50er Jahre. Und das Schienennetz im Osten ist wenig ökologisch: Dessen Strom kommt aus den giftigen Braunkohlekraftwerken Sachsens.

In Berlin läuft der Löwenanteil des Güterverkehrs über den zentralen Containerbahnhof an der Lehrter Straße, der kürzlich für 120 Millionen Mark ausgebaut wurde — ein vergleichbarer Bahnhof in Duisburg-Ruhrort kostete übrigens, ganz nebenbei, nur 35 Millionen Mark. »Ein Containerbahnhof an dieser Stelle ist eine Mauerplanung, schließlich werden vor allem die Industriegebiete der Außenbezirke beliefert«, moniert S.T.E.R.N.-Chef Hellweg.

Derzeit fahren jährlich 79.000 LKWs den Bahnhof an und ab, um die Container in der Stadt zu verteilen. Im Jahr 2000 werden es doppelt so viele sein. Bis zum Jahr 2010 wird sich der Containerumschlag nach einer S.T.E.R.N.-Studie gar verfünffachen. Eine spätere zweite Ausbaustufe, die sogenannte rollende Landstraße ist hingegen vom Tisch, bestätigt Senatsplaner Lotze. Auf den Containerbahnhof an diesem Standort möchte der Senat hingegen nicht verzichten. »Berlin kann es sich nicht leisten, dieses Güterzentrum aufzugeben«, sagt Lotze. Zudem bestünden Verträge mit der Reichsbahn.

Wasserstraßen als Alternative zur Autobahn

Die Alternative zum Schienen- und Straßenverkehr ist der Gütertransport auf dem Wasser. Wenn es nach der Bundesregierung ginge, sollte dieser noch forciert werden. Alle Wasserstraßen zwischen Westdeutschland und Osteuropa sollen langfristig für größere Schiffe bis zu 110 Meter Länge ausgebaut werden, ein Vorhaben, das 30 Jahre und etwa 300 Milliarden Mark kostet.

Eines der ersten geplanten Projekte ist die Frachterroute nach Hannover, die in den nächsten zehn Jahren für 3,2 Milliarden Mark ausgebaut wird. Dafür werden der Mittellandkanal, der Elbe-Havel-Kanal, die Havel und der Teltowkanal ausgebaggert und um acht Meter verbreitert. Die Elbe muß auf 150 Kilometer zurückgestaut werden. Und in Berlin werden die Spandauer und die Charlottenburger Schleuse ausgebaut.

Die Umweltverträglichkeit des Frachtschiffverkehrs ist umstritten, nicht nur wegen der massiven Eingriffe in die Landschaft. Zwar bedarf ein Schiff für die gleiche Tonnage nur ein Viertel der Energie, die ein LKW für den Transport bräuchte. Frachtschifftarife wären aber trotzdem weit höher als die von Bahn oder Lastwagen, wenn die hohen Kanalausbaukosten nicht zu 100 Prozent aus Steuergeldern bezahlt würden. Außerdem sind Schiffe — im Gegensatz zur Eisenbahn — von der Mineralölsteuer befreit.

Nach einer Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung deckt die Binnenschiffahrt nur neun Prozent ihrer Kosten. »So macht das Schiff der Bahn künstlich Konkurrenz, die zu Dumpingpreisen gezwungen ist, der lachende Dritte ist der LKW«, sagt Cramer. Er rät zur Vermeidung von überflüssiger Fahrerei: »Essen wir doch lieber Äpfel aus Brandenburg statt Äpfel aus Frankreich.« eva

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