: Kunst der Stimm-Geräusche
■ „Kontorhaus“: Vier Wochen Konzerte, Vorträge, Workshops über „Die Stimme“
Das Kontorhaus ist ein Haus, die Stimme ist meine Stimme, wir schreiben das Jahr 1913. „Wir sind sicher, daß wir durch Auswahl, Koordination und Beherrschung aller Geräusche die Menschen um eine ungeahnte Wollust bereichern können.“
Der italienische Futurist Luigi Russolo, der dies damals in seinem musikalischen „Manifest“ versprach, hat insbesondere die Geräusche des Industriezeitalters gemeint und sich insofern geirrt. „Wollust“ verspricht in der Welt der technischen Geräusche, die selbst die Natur in ihrem Klängespektrum verdrängt und reduziert, allein die Geräuschkulisse in mir — die menschliche Stimme. Darauf sich zu besinnen und zu konzentrieren bietet das Kontorhaus im November in einem vier Wochen andauernden Projekt „Stimme“ an.
„Die Geräuschkunst (darf) sich nie auf eine imitative Wiederholung des Lebens beschränken. Sie wird ihre größte Emotionsfähigeit aus dem akustischen Genuß selbst schöpfen, den die Inspiration des Künstlers aus den Geräuschkombinationen zu ziehen versteht“, versprach Russolo.
Da demonstriert am Freitag abend Norbert Gottschalk mit seinem neuen Quintett Scat-Improvisationen, d. h. er nutzt seine Stimme lautmalerisch wie ein Instrument.
Dieser Einstieg ist eher klassisch. Am Montag (6.11.) lädt das Kontorhaus wie an jedem ersten Monatg im Monat zur „Stimm-Tanz- Jam-Session“ mit Sabine Mariß und Rolf Hammes. Da wird der Ansatz deutlich, der sich nicht in die Kategorien der üblichen „Spartenkultur“ sperren läßt. „Ich bin eine Vokalistin“, sagt Sabine Mariß, will sagen: „Vokalistin“. Sie ist ganz nebenbei die Organisatorin des Projektes „Stimme“. Dafür braucht es auch 80 Jahre nach Russolo noch die freie Kulturszene, die im Falle Kontorhaus mit Förder-Almosen des Senators für Kultur und einer Sozialamts-Stelle auskommen muß.
Das außergewöhnlichste Konzert dieser außergewöhnlichen Beschäftigung mit der Stimme ist für den 8. November angekündigt: „L'Arte dei Rumori“, eine Gruppe um die Oldenburger Hochschullehrerin Ulrike Jansen mit zwei Stimmen, Cello, Kontrabaß, die kratzt, wispert, summt, schreit, singt... Im zweiten Teil dieses Konzerts spielt das Bremer „Ensemble Härtz“ Sprachdelikatessen von Jandl, Schwitters und anderen sowie eigene Kompositionen.
Lis Jones, die Walisische Sängerin und Theaterfrau, kommt zu einer Solo-Performance, das die Freiheit und Leichtigkeit predigende „Institut für funktionales Stimmtrainig“ (Lichtenberg) zu einem Workshop und einer „Arbeitsdemonstration“, schließlich kommt der sardische Laienchor „Coro della Confraternita di Santa Croce“, dessen Gesangstradition auf das 17. Jahrhundert zurückgeht.
Für die Zeitgenossen, die nicht Musik hören, sondern Reden über Musik hören wollen, gibt es mehrere Vorträge (Ulrike Jansen über die „Stimme in der experimentellen Musik“, Uli Löh über die „Stimme in der afroamerikanischen Musik“, Heinz Stolze über „Klangstruktur und Klangwahrnehmung“). Wer selber mittönen will, kann an einem der Workshops teilnehmen, die vor allem die Gäste anbieten — sie sind „offen für alle“, versichern die Veranstalterinnen. Solange sie nicht voll sind. Das Kontorhaus in der Schildstraße 21/23, direkt neben dem „Kulturzentrum Lagerhaus“, bietet den Raum dafür, Übungsräume, Kulissenräume. K. W.
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