Walesa sucht sich eine Regierung

Demokratische Union liegt endgültig vorne/ Walesa will Finanzminister Balcerowicz halten  ■ Aus Warschau Klaus Bachmann

Allerheiligen blieb der polnische Staatspräsident Lech Walesa zu Hause. An diesem katholischen Feiertag und dem folgenden Wochenende wird er sich dennoch der Frage nicht verschließen können, wie in aller Welt eine neue Regierungskoalition in Polen zustande kommen soll, mit einem Parlament, in dem 28 Parteien vertreten sind. Darüber will er ab Montag mit den Vertretern aller Parteien sprechen. Das amtliche Endergebnis der Parlamentswahlen war wegen eines Zählfehlers erst am Donnerstag abend bekanntgegeben worden. Demnach bleibt die Demokratische Union des ehemaligen polnischen Premierministers Tadeusz Mazowiecki an erster Stelle und wird im Sejm künftig mit 62 Abgeordneten vertreten sein. Nur zwei Abgeordnete weniger stellt das „Bündnis der demokratischen Linken“ der Ex- Kommunisten, danach folgen die „Katholische Wahlaktion“ mit 49 Mandaten, die Polnische Bauernpartei mit 48, die „Konföderation Nationales Polen“ mit 46 und die Zentrumsvereinigung mit 44. Erst an siebter Stelle steht der Liberaldemokratische Kongreß des bisherigen Premiers Bielecki mit 37 Abgeordneten, die Gewerkschaft Solidarność kommt noch zwei Plätze weiter nach einer weiteren Bauerngruppierung und bringt es auf 27 Vertreter. Die Wahlbeteiligung lag nach amtlichen Angaben bei knapp 43 Prozent. Präsident Walesa empfing noch am Donnerstag den bisherigen Premier Jan Krzysztof Bielecki, den er zur weiteren Amtsführung bis zur Bildung einer neuen Regierung verpflichtete. Zugleich gab es Verhandlungen zwischen Bieleckis Liberalen und der Demokratischen Union sowie zwischen der Polnischen Bauernpartei und der Zentrumsvereinigung. Walesa hat sich in einem Interview mit der 'Washington Post‘ indessen dafür ausgesprochen, Vizepremier und Finanzminister Balcerowicz im Amt zu halten. Für Balcerowicz werde „noch lange Platz“ sein, erklärte Walesa. Balcerowicz hatte bereits vor zwei Monaten erklärt, er bemühe sich weder um ein Abgeordnetenmandat noch um einen Posten in der Regierung. Er hatte allerdings nicht ausgeschlossen, seine Funktion weiter auszuüben, sollte er darum gebeten werden und sollte diese den Willen äußern, sein Reformprogramm weiterführen zu wollen. In der polnischen Presse wurden unterdessen von näher nicht genannten Vertretern des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank berichtet, diese sähen Balcerowicz als eine Art Reformgarantie an. Wie angekündigt, hat nun auch die „Entpolitisierung“ des Präsidentenamtes angefangen. Walesa hatte bereits vor den Wahlen zu erkennen gegeben, daß er seine Kanzlei nach den Wahlen nicht mehr mit Parteienvertretern besetzen werde. Nachdem er bereits vor zwei Tagen mehrere höhere Beamte entlassen hatte, traten am Donnerstag auch der Chef des Präsidentschaftskanzlei Jaroslaw Kaczynski und sein Bruder Lech, zugleich Staatssekretär für Sicherheitsfragen, zurück. Drei weitere Staats- und UnterstaatssekretärInnen nahmen ebenfalls ihren Abschied. Außer Lech Kaczynski waren alle Mitglieder der Parteiführung der Zentrumsvereinigung gewesen. Geblieben sind dagegen die parteilosen Staatsminister Jerzy Milewski und Janusz Ziolkowski. Inzwischen sind auch die Ergebnisse der deutschen Minderheit bekannt geworden, die demnach im künftigen Parlament über insgesamt 8 Vertreter verfügen wird, davon 7 Sejm-Abgeordnete und einen Senator. Gewählt wurden unter anderem der Vorsitzende des Zentralrats der deutschen Gesellschaften, Henryk Krol, und der stellvertretende Bürgermeister von Großstrelitz bei Oppeln, Prof. Gerald Bartodziej, letzterer als Senator. Die „Arbeitsgruppe Zukunft und Versöhnung“ in Kattowitz, die dort mit einer eigenen Liste und dem Senatskandidaten Dietmar Brehmer angetreten war, ging dagegen leer aus. Die polnisch orientierte „Bewegung für eine Autonomie Schlesiens“ erzielte 2 Mandate, der gegen die deutsche Minderheit gerichtete „Polnische Westbund“ kam auf 4 Mandate.