: Chang bestrafte den Workoholic
■ Das Hallenturnier der Tennisspieler in Paris-Bercy ist von „kollektivem Favoritensterben“ bedroht Nach Michael Stich und Boris Becker verweigerte auch Stefan Edberg die Teilnahme am Viertelfinale
Paris (dpa/taz) — Stefan Edberg hatte Schmerzen im Knie und eine große Leere im Kopf. 93 Spiele in einem Jahr waren zuviel, im 94. war es mit der Konzentration vorbei. 50 sogenannte unerzwungene Fehler, sieben vergebene Break-Bälle und lediglich ein As — so sieht die Statistik des sensationellen Favoritensturzes beim mit zwei Millionen Dollar dotierten Hallentennis-Turnier in Paris-Bercy aus. Der Vorjahressieger und Weltranglisten-Erste aus Schweden unterlag in 2:12 Stunden unerwartet dem US-Amerikaner Michael Chang mit 6:2, 1:6, 4:6 — demselben Chang, gegen den er in den letzten fünf Duellen nicht einen einzigen Satz abgegeben hatte.
Wenn Stefan Edberg während eines Matches lächelt, bedeutet dies in der Regel nichts Gutes. Denn außer Galgenhumor zeigt der blonde Polizistensohn aus Västervik auf dem Platz selten Gefühle. Wenn er dann auch noch aus Ärger den Ball ins Netz kickt, muß die Lage ziemlich aussichtslos sein. Nach dem Break zum 2:3 im dritten Satz war sie das auch, und „steady Eddie“, der zuverlässige Edberg, tigerte mit hängenden Schultern über den Centre Court im Palais Omnisports, schüttelte den Kopf — und lächelte. Die aufputschenden Sprechchöre der 13.000 Zuschauer blieben wirkungslos.
„Ich will mich nicht entschuldigen, doch ich habe seit einiger Zeit Probleme mit dem Knie. Aber mit denselben Schmerzen habe ich schon viele Spiele gewonnen. Es ist schwer, sich am Ende einer langen Saison zu motivieren“, analysierte der 25jährige nach dem Match treffend. Der 21. der Weltrangliste, Michael Chang, der mit dem French- Open-Sieg vor zweieinhalb Jahren seinen Ruf als Favoritenschreck begründete, hatte es leichter: „Gegen Stefan zu gewinnen, ist immer phantastisch — egal wann, egal wo.“ Nach dem ersten Satz habe er begonnen, „serve and volley aus Verzweiflung“ zu spielen. „Ich wußte, wenn ich nicht etwas ändere, wird das wieder ein 2:6, 2:6“, erklärte der Kalifornier mit chinesischer Abstammung seine Taktik. Ein wenig variieren, den Ball im Spiel halten — die Fehler machte dann der Gegner.
Für die Veranstalter der sechsten Paris Open war das nächtliche „Aus“ Edbergs bereits der zweite Nackenschlag des Tages, nachdem am Vormittag der Leimener Boris Becker wegen einer Grippe abgesagt hatte. Innerhalb von zwölf Stunden waren beide Seiten des Traumfinales weggebrochen. Becker büßte damit endgültig seinen Platz der Weltrangliste gegen Jim Courier (USA) ein und ist damit erstmals seit August 1990 schlechter als an Nummer zwei notiert, was ihn allerdings nicht besonders schmerzte: „Es ist ganz egal, ob man an zwei oder fünf steht. Es geht darum, die Nummer eins zu sein.“
Die Nummer drei des Turniers, der Wimbledon-Gewinner Michael Stich (Elmshorn), hatte schon am Dienstag noch vor seinem ersten Einzel wegen einer Ellbogenentzündung passen müssen. Der Favoritenschwund war beträchtlich: Von den ursprünglich acht Top-Ten-Spielern waren gestern im Viertelfinale mit Guy Forget (Frankreich), Pete Sampras (USA) und Karel Novacek (CSFR) gerade noch drei dabei.
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