: Feuchtwanger im Exil
Sein Verhältnis zur BRD, zur DDR und zu den USA. Einige fällige Revisionen ■ Von Karl Kröhnke
Über die Gründe, warum Lion Feuchtwanger bis zu seinem Tod 1958 im kalifornischen Exil blieb, werden die unterschiedlichsten Theorien vertreten, oft freilich nur Vermutungen und Gerüchte weitergegeben. Von Feuchtwangers letzten beiden Lebensjahrzehnten berichten die Biographen viele Angriffe und staatliche Restriktionen, unter denen er in den USA zu leiden hatte. Er wurde durch das FBI beschattet und von den Immigrationsbehörden jahrelang schikaniert und hingehalten. Die Sorgen, die er insbesondere während der Red-Scare-Jahre wegen seiner — wie es hieß — „very definite sympathy to Communist form of government“ hatte, sind gut bekannt. Seine Sympathien für die Sowjetunion waren denn auch der Grund, daß sein Antrag auf Erwerb der US-Staatsbürgerschaft zehn volle Jahre, von 1948 an, „under active consideration“ blieb und bis zu seinem Tode nicht über ihn entschieden wurde.
Alles in allem war seine Situation so, daß Thomas Mann, der ja auch im Zorn von Amerika geschieden ist, 1954 in seinem Geburtstagsgruß Freund Feuchtwanger anmerkt, die Vereinigten Staaten seien „ein wenig unwirtlich geworden“, und appelliert, „ihn klüglich in Ruhe zu lassen“. Feuchtwanger selbst drückte sich in Briefen moderat aus, sprach zwar von „bösartigem politischem Gekläff“, ließ aber durchblicken, daß sich der Ärger in Grenzen hielt. Sogar in Phasen, da er die Maßnahmen der US-Regierung als „semifaschistisch“ bewertete (vor allem nach Ausbruch des Koreakriegs), betonte er, ihm scheine gewiß, daß er „günstigere äußerliche Arbeitsmöglichkeiten als hier nirgends finden kann“.
Besonders in den ersten Nachkriegsjahren haben Feuchtwanger Berichte abgeschreckt, nach denen es in Deutschland „primitiver zugehen [muß], als wir uns hier vorstellen können“. Einmal notierte er, „daß die Nachrichten aus Europa, die jetzt in schneller Folge und in großer Masse kommen, sehr quälend sind, die Leute hungern und frieren offenbar zum Erbarmen“. Er schickte zwanzig Pakete in der Woche.
Feuchtwanger war ja — abgesehen von einigen schwierigen Jahren— nie ein Hungerleider, sondern ein Autor von beträchtlichen Einkünften, mithin an einen gewissen Wohlstand gewöhnt; dreimal schon hatte er ein bewundertes und geneidetes Haus in exquisiter Lage erworben — zuletzt, in Pacific Palisades, ein „wahres Schloß am Meer“ (Thomas Mann). Jenseits der eigentlich politischen Probleme war er schlicht nicht willens, im Alter noch einmal seinen hohen Lebensstandard, Villa, Bibliothek und seine perfekt organisierte literarische Werkstatt aufzugeben — letzteres vor allem.
Das Boykott-Gerücht: Grundlage Plauderei
Was sein Verhältnis zu Westdeutschland angeht, so liest man häufig, die Buchhändler im Westen hätten ihn boykottiert. Diese Nachricht stützt sich offenbar auf Plaudereien der Witwe, die auch sonst die frühe Forschungsliteratur nach der Wiederentdeckung Feuchtwangers dominiert haben, und wurde immer wieder ungeprüft übertragen. Eine genaue Untersuchung dieses Casus, der ja für ein Verständnis der Atmosphäre in der jungen Bundesrepublik durchaus interessant wäre, hat noch niemand vorgenommen. Die Korrespondenz des Schriftstellers, insbesondere mit Lola Humm-Sernau, enthält allerdings reichlich Material für ein genaueres Bild:
Feuchtwanger hatte hin und wieder Schwierigkeiten mit dem westdeutschen Publikum (die Motive, ihn abzulehnen, reichten von seiner prokommunistischen Position über die Geringschätzung des literarischen Rangs seiner Arbeiten bis hin zu vereinzelten antisemitischen Ressentiments), einen regelrechten Boykott durch den Buchhandel mutmaßte er aber nur 1950/51, bis ihm sein Agent Felix Guggenheim nach einer Europareise meldete, daß der Verleger Desch, der den Vertrieb der in Stockholm erscheinenden Feuchtwanger- Bücher übernommen hatte, diese Aufgabe sabotierte, weil er am Kommissionsgeschäft zu wenig verdiente und Feuchtwanger als Autor ganz „in seine Hand zu bekommen“ trachtete. Als dann Eugen Kogon das Werk in der Frankfurter Verlagsanstalt betreute, gab es nur noch wenig Ärger. Die Resonanz der Spanischen Ballade (auch: Die Jüdin von Toledo) 1955 in der Bundesrepublik wertete ihr Autor als einen ganz großen Erfolg.
Ein organisierter Boykott mit nachweislicher Schädigung des Umsatzes, wie ihn Kindler 1962 im Fall der Ehrenburg-Memoiren beklagte, hat offenbar nicht stattgefunden. Stolz meldete Feuchtwanger 1957 seinem New Yorker Verleger Huebsch, daß die Gesamtauflage seiner Werke in deutscher Sprache 600.000 erreicht habe — indes kam diese Zahl wohl größtenteils durch seine Vorkriegserfolge zustande.
Keine Entschuldigung kam aus der BRD, die Wiederbescheinigung der '33 aberkannten Doktorwürde grußlos
Die Verkaufsergebnisse seiner späteren Werke kommen mir — soweit überhaupt Zahlen vorliegen — bescheiden vor: die beiden Bände von Waffen für Amerika z.B. sind 1947 und 48 in einer Auflage von je 5.000 Stück gedruckt worden — und waren 1964, mittlerweile zum dritten Verlag gewandert, dort noch am Lager. Die mindere Qualität seiner Dichtung reicht als Erklärung dafür nicht aus — wie Feuchtwangers großer Erfolg in den achtziger Jahren wieder beweist. Daß der Romancier mehr als ein Jahrzehnt nicht recht beachtet wurde, aber allein damit zu erklären, die Buchhändler hätten ihn als „Linken“ ihren Kunden nicht zu lesen gegeben, greift andererseits sicher ebenso zu kurz. Buchhändler agieren, wenn sie auch einen politisch besonders konservativen Berufsstand darstellen, nicht außerhalb von Zeittendenzen und -stimmungen.
Man sprach schließlich auch sonst keine Entschuldigung und keine Einladung an ihn aus. 1952 ließ sich die Münchner Universität endlich dazu herbei, Lion Feuchtwanger die 1933 aberkannte Doktorwürde erneut zu bescheinigen— angeblich grußlos. 1957 erhielt er den Kultur- und Literaturpreis der Stadt München — doch wurde ihm die Freude durch ein öffentliches Lamento darüber verleidet, daß er im selben Jahr der Sowjetunion zum 40.Jahrestag der Oktoberrevolution Glückwünsche übermittelte. Ich habe denn auch in der Korrespondenz keinen Hinweis darauf gefunden, daß Feuchtwanger es je erwogen hätte, nach Westdeutschland überzusiedeln.
Wieso aber gab der in den USA als suspekte Person beargwöhnte Schriftsteller nicht dem hartnäckigen Drängen Arnold Zweigs und anderer nach, nach Ost-Berlin überzusiedeln?
Gerne nahm er, aus der Ferne, Ehrungen seitens der DDR an, so 1953 den Nationalpreis 1.Klasse, ein Jahr später die Ehrendoktorwürde der Humboldt-Universität; seit 1950 war er korrespondierendes Mitglied der Ostberliner Akademie der Künste. Aber über die Bereitschaft, ihn zu feiern, hinaus erhielt er kein besonders reizvolles Bild vom „ersten Friedensstaat auf deutschem Boden“. Was Materielles angeht, so haben ihn die Realitäten des realen Sozialismus sicher nicht gelockt, ein drittes Mal sein Schlößchen aufzugeben (selbst wenn man ihm — wie zuvor Heinrich Mann — die Wartburg als Wohnsitz geboten hätte oder vielleicht noch Sanssouci). Was ihm weiter das Leben in einem bürgerlichen Staat geraten scheinen ließ, war die Tatsache, daß ihm da in sein literarisches Schaffen keiner hereinredete.
Die Zensur: der „letzte Damm“ zwischen dem Autor und dem realen Sozialismus
Denn die „Gängelei und Bevormundung der Künstler durch den Staat“ war schon 1937 der Mißstand, den Feuchtwanger in seinem Rußland- Reisebericht — vorsichtig formuliert und eingebettet in viele Lobesworte — durchaus deutlich nennt. Er sieht sich da selbst betroffen und (hypothetisch) gemaßregelt und erzählt als Beispiel für die Ablehnung „zu pessimistischer“ Dichtung, man habe von ihm selber eine Kurzgeschichte aus einer russischen Erzählungssammlung genommen.
Auch die sowjetische Praxis, Produzenten „formalistischer“ Kunst zu behindern und zu tyrannisieren, lehnte Feuchtwanger ab. Seine eigene Dichtung steht zwar der literarischen Moderne fern, doch sagte er in einem Grußwort An meine Sowjetleser (1938) unmißverständlich, „daß man für mein Gefühl in der Sowjetunion manchmal mit diesem Formalismus ein gefährliches Spiel treibt und mit dieser Übertreibung bedenklich in die autonome Sphäre des Künstlers eingreift“. Feuchtwanger wußte sehr wohl, daß die bis heute zum Teil als „Debatten“ und „Diskussionen“ um „Realismuskonzeptionen“ u.ä. verharmloste Reglementierung von Literatur im Wortsinn mörderisch war. Es blieb nicht bei Drohungen. Von den Opfern hat Feuchtwanger etliche persönlich gekannt. Freilich, obwohl er schon 1934 in einem Brief an Karl Schmückle die sowjetische Zensur als den „letzten Damm“ zwischen ihm und den Kommunisten bezeichnet hatte und dies bis zu seinem Tode eine unantastbare Grenze seines Sympathisierens markierte, hat er zum Schicksal der Opfer des Terrors niemals öffentlich Stellung genommen. Das gilt auch für den Fall des Aufbau-Verlegers Walter Janka. Der Briefwechsel in dessen Angelegenheit zeigt: Feuchtwangers Einsatz wird gewöhnlich überschätzt und als Parteinahme gegen die stalinistische Bürokratie fehlinterpretiert. Daß er, der von Katja Mann zur Aktivität gedrängt wurde, sich für Janka besonders engagiert hat, ist nicht zu erkennen, und das heimliche Bitten um Gnade in Einzelfällen ist ja in keiner Weise ein hinreichendes und wirksames Infragestellen der Diktatur.
Als Ende der vierziger Jahre die „Theoretiker“ im Kreml einem anderen Ismus den Kampf ansagten: dem Kosmopolitismus, war Feuchtwanger nicht nur potentiell betroffen. Wenn irgendeiner, dann war ja er „Kosmopolit“. Als das noch kein Verbrechen war, hat er es aller Welt verkündet. Folgerichtig geriet er damals — vordergründig weil die Russen seinen Romantitel Waffen für Amerika mißverstanden hatten — in Ungnade. Als man Sartre eine „Hyäne an der Schreibmaschine“ (Fadejew) nannte und Feuchtwangers Freund Sinclair Lewis eine „schmuddelige Kreatur“, wurde Feuchtwanger unter die „Kosmopoliten im ,literarischen Hollywood‘“ gezählt und als „Literaturkämpfer“ beschimpft. So blieb er denn in Southern California, „des Klimas wegen“, wie er doppelsinnig zu sagen pflegte.
Mehr als alles hielten ihn bis zu seinem Lebensende Arnold Zweigs Klagen über „die Einmischung der Unteroffiziere in das literarische Leben“ auf Distanz. Immer wieder mußte er in Briefen, die Zweig teilweise in West-Berlin auf die Post gab, vom „Kampf“ lesen, „den hier alle wirklich fortschrittlichen Kräfte mit gewissen politischen Gremien zu führen haben“. Am 27.April 1951 zum Beispiel meldete Zweig ihm, daß die „Front der Akademie der Künste“ im Begriff sei, sich dem „amusischen Bürokratismus“ entgegenzustellen. Kein Zweifel: Arnold Zweig blieb der DDR ein treuer „Schildhalter“, aber seine Schreiben nach Pacific Palisades dokumentieren einen nicht enden wollenden Kleinkrieg, der auf Feuchtwanger nicht einladend wirken konnte. Er mußte da auch lesen, daß Brechts Lukullus als pazifistisch bekrittelt wurde, und vieles andere mehr. Feuchtwanger selber brachte seine Eindrücke schließlich einmal auf den Punkt, er habe es „aufgegeben, über die wahren Gründe ostdeutscher Zensur nachzugrübeln“. Besonders aufschlußreich ist das folgende Schreiben an seine ehemalige Sekretärin vom 10.März desselben Jahres:
„Es ist nicht so, daß unsere Freunde schreiben können, was sie wollen, das heißt: schreiben können sie es, aber veröffentlichen können sie es nicht. Dazu kommt, daß sie sich immerzu zu Dingen äußern müssen, die sie gar nichts angehen, zu gleichgültigen politischen Gelegenheiten usw. Soviel ist Tatsache, daß keiner von unsern Freunden in den Jahren, die sie nun in Berlin sind, ein wirklich wesentliches Werk veröffentlicht hat oder ein solches, das einem seiner wesentlichen früheren Werke gleichgekommen wäre. Ganz offenbar also ist ersprießliche Tätigkeit dort nicht leicht.“
Diese letzte Einschätzung der Situation in Ostdeutschland durchzieht den Briefwechsel mit Arnold Zweig wie ein Leitmotiv. Immer wieder gibt er dem Wunsch Ausdruck, Zweig möchte mit seinen „antimusischen Ämtern fertig“ werden, da er wegen all der Repräsentationsfunktionen und dem „vielen Kram“ nichts mehr zuwege bringe — was eine ganz richtige Beobachtung war. Arnold Zweig spürte selbst, daß Ehrungen, die ihm zuteil wurden, die Verleihung der Doktorwürde oder auch das ihm gewidmete Heft von 'Sinn und Form‘, „Pflästerchen“ waren, „um eine Wunde zu verkleben“. Und Feuchtwanger bekannte — als er 1953 seiner Freude darüber Ausdruck gab, daß sein Freund „die letzten Endes doch wenig produktive Beschäftigung mit der Akademie los“ war: „Mir selber wird jeder kleine Aufsatz, ja, jede kleine Erklärung, die ich schreiben soll, immer verhaßter, weil sie mich von meinem Werk abzieht...“
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Fortsetzung
Zweig, dem das Schicksal im ganzen arg mitgespielt hat, hatte wohl keine andere Wahl als dieses Leben des Gefeiertwerdens und Verfassens immer neuer Gelegenheitstexte zu Jahrestagen und Enthüllungen von Bronzen und Büsten. Feuchtwanger dagegen war physisch, psychisch und materiell in der Lage, ein anderes Dasein zu führen. Also hielt er sich fern und wies alles ab, was ihn an seiner „eigentlichen Arbeit“ (wie er sehr oft schrieb) hätte hindern können. Es sei freilich hier einmal angemerkt, daß seine Arbeitswut, sein verbissenes Produzieren immer neuer (historischer) Romane in seinen letzten Lebensjahren Züge eines Ausweichens vor konkreter politischer Parteinahme hatte. Sieht man sich das Spätwerk genau an, zeigt sich, daß es zu den politisch wirklich strittigen Fragen keine Botschaft enthält.
Er schrieb nur mehr geschichtliche Romane, die er mit Vorliebe im 18.Jahrhundert ansiedelte — wo er also Vernunft und Fortschritt in Gestalten des Bürgertums verkörpern durfte. Das konnte breitesten Konsenses sicher sein, doch streute er, für ein marxistisches Publikum, noch Hinweise ein, das Romangeschehen stehe für ein eigentlich Gemeintes, progressive Perspektiven für die Gegenwart dürfe man herauslesen. Da konnte einem schon einmal Problematisches und Heikles verschlüsselt begegnen — wie die Rechtfertigung politischer Justiz im Schauspiel Die Witwe Capet (1948) und des revolutionären Terrors überhaupt im Rousseau-Roman (1952)—, doch hätte der Autor jederzeit insistieren können, er preise da lediglich die revolutionäre Geschichte des Bürgertums. Die Nutzanwendungen für seine Zeitgenossen, die er in Nachworten oder Essays beigab, kamen ja in der Regel nicht hinaus über Bekenntnisse von der Art: wie es damals richtig war, für den Fortschritt Partei zu ergreifen, so ist das auch heute ehrenwert.
Die „Flucht aus der Verantwortung“
Daß er auf die Epoche der bürgerlichen Revolution und ihrer geistigen Vorbereitung zurückgriff, war keine beliebige Wahl. Die Beschränkung auf die Zeit der „historischen Illusionen“ vor der Ernüchterung; vor der Spaltung des Bürgertums in Citoyens und Bourgeois; vor Herausbildung der neuen Fronten durch die Wortmeldung des „Vierten“ Standes, das Wachstum der Arbeiterbewegung und die Etablierung der realen Macht der stalinistischen Beamtenkaste — diese Beschränkung also erlaubte ihm, der sich rund um den Moskauer Schauprozeß von 1937 und die „Affäre Gide“ die Finger verbrannt hatte, den umstrittenen Fragen seines Jahrhunderts späterhin konsequent auszuweichen.
Nun ist es gewiß nicht die Aufgabe des Künstlers, sich zu allem und jedem zu äußern. Aber Feuchtwanger hatte seiner riesigen Leserschaft auf dem Erdenrund einmal die Überlegenheit des sowjetischen Systems verkündet, so wäre es wohl an ihm gewesen, sich wenigstens dort zu korrigieren, wo seine Auffassungen sich offensichtlich geändert hatten. Als Beispiel genannt sei seine Einschätzung von 1937, die UdSSR habe — vor allem mit dem Siedlungsproblem in Birobidschan — die „Judenfrage“ gelöst. Man weiß, daß er im Alter die israelische Staatsgründung alternativlos für den Schlüssel zur Zukunft des Judentums erachtete, und doch hat er sich coram publico nicht mehr geäußert — auch etwa nicht zur antisemitischen Welle in Osteuropa Ende der vierziger, Anfang der fünfziger Jahre. Er stürzte sich in die Welt seiner „historischen Sittengemälde“: „... ich [bin] gewissermaßen froh, daß die Arbeit am Goya mich eines Entschlusses vorläufig überhebt...“, diktierte er einmal an Zweig. Das läßt sich verallgemeinern: Er war am Ende zu einem Gutteil „froh“ über die Schwierigkeiten, die sich einem Weggang in den Weg stellten, „froh“ auch über die Mühe mit den vierzehn Romanen, die noch schreiben zu müssen er etwas ironisch immer behauptete. Man kommt nicht umhin festzustellen, daß für diese Periode Kurt Hillers Verdächtigung von 1935, die historischen Romane stellten eine Flucht aus der Verantwortung dar; daß dieser Vorwurf, der damals Feuchtwanger gegenüber keine Berechtigung hatte (man denke an sein direktes politisches Engagement in historisch kostümierten Romanen à la Der falsche Nero...), zuletzt doch noch die Sache traf.
Autor ohne Staatsbürgerschaft
Das unentwirrbare Ineinander von Nichtwegkönnen und Nichtwegwollen aber blieb auch später für seine Lage charakteristisch. In engem Zusammenhang damit steht weiter das in dem Brief eingestandene Nichtstellungnehmenwollen, zu dessen Rechtfertigung er auf ein Nichtinformiertsein verwies, hinter dem ein Nichtinformiertseinwollen hervorscheint.
So gerne er noch einmal für einen Besuch nach Europa gekommen wäre, stiftete das Exil für Feuchtwanger auch eine Art Identität. In seiner letzten Lebenszeit befaßte er sich immer wieder mit den großen Emigranten der Literaturgeschichte: Ovid, Li Tai Po, Dante, Victor Hugo, Heine. Und da sind der Parallelen zu seinem eigenen Lebensabenteuer viele. Auch was er 1933 erlebt hatte und seitens der US-Administration fürchtete: daß man ihn, der nicht im Besitz eines Passes war, während einer Reise ausbürgern könnte, hat seine Tradition von Ovid und Dante über Chaplin zum spektakulären Fall Wolf Biermanns. Ein Roman über das Emigrantendasein in Kalifornien, Die sieben Weisen, gehört zu seinen letzten Projekten.
Auf den dritten Wartesaal-Roman hatte er einmal einen letzten Band folgen lassen wollen. „Die Zuversicht, daß ich den abschließenden vierten Roman Rückkehr werde schreiben können, gibt mir die kraftvolle Existenz der Sowjetunion“: so verkündet 1938 in der Zeitschrift 'Das Wort‘. Doch Rückkehr wurde nicht geschrieben, Feuchtwanger kehrte nicht zurück. Das Buch Exil endete mit der Hoffnung seines Helden Sepp Trautwein: „Wird er ein Deutschland noch erleben, in dem er zuhause sein kann, er und Hans?“ Wo neben dem Kommunisten der bürgerliche Künstler leben und jeder nach seiner Fa¿on selig werden kann?
Flavius Josephus in Feuchtwangers Romantrilogie hatte — wie es dort zum Schluß heißt — „die Welt gesucht, aber gefunden hatte er nur sein Land“. Umgekehrt der Romancier selber; der starb ohne eine Staatsbürgerschaft — also auch zivilrechtlich... ein Weltbürger.
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