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Bodenschatz Frau

Über ein Buch von Claudia von Werlhof  ■ Von Christel Dormagen

Zugegeben, ich hatte mir ein metropolitanes Buch erhofft, da ich, von zeitgeistiger Titelei angeschlagen, die Hühner als frechverächtliche Vokabel für Frauen gedeutet hatte. Was haben die Hühner mit dem Dollar zu tun? heißt das Buch der Frauenforscherin und Innsbrucker Professorin Claudia von Werlhof; und es geht auch tatsächlich um Frauen und Geld darin, nur beschränkt sich sein Horizont eben nicht auf die engen Grenzen unserer weiblich-westlich-weißen Erstwelt- (Selbst-)Erfahrung.

Im Gegenteil. Die Autorin hat nichts weniger als die innere Logik der globalen kapitalistischen Wirtschaft im Blick. Und wer Werlhofs Forschungsbereich kennt, wird auch genau das erwartet haben. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen Maria Mies und Veronika Bennholdt- Thomsen untersucht sie seit Jahren die Funktion von Hausarbeit sprich weiblicher Arbeit sprich lohnloser Arbeit in der Weltökonomie. Mit ihren Thesen haben die drei sich bei allen unbeliebt gemacht: Den Restlinken paßt Hausarbeit nicht in den Marxschen Kram; die Alternativen wollen sich ihre Entdeckung ganzheitlich-vorkapitalistischer Kollektivverwirklichung nicht madig machen lassen; und feministische Frauen sehen nicht ein, wieso sie schon wieder auf dem falschen Dampfer sitzen sollen mit ihrer Doppelemanzipation qua Lust-Beruf plus Lust-Kindern.

Und ich muß ja gestehen, leicht macht es Werlhof einem gerade nicht. Das einzig Sinnliche an ihrem ganzen Buch ist wahrhaftig sein hübscher Titel. Drinnen geht es außerordentlich bitterstreng zu und außerordentlich abstrakt. Und das in einem Jargon, der in seiner beispiel-losen (und das meine ich wörtlich) Hermetik den Zugang zu den Erkenntnissen eher versperrt.

Ein wenig ist das der Tatsache geschuldet, daß der Band Aufsätze aus einem Jahrzehnt versammelt, was zu einem ebenso bekannten wie merkwürdigen Phänomen führt: Einerseits tauchen dieselben Thesen in nahezu gleicher Formulierung in jedem Kapitel wieder auf; andererseits ist ihre Analyse im Grunde immer schon vorausgesetzt. Wenn man dann noch die Pionierin einer in der Tat umstürzenden Erkenntnis ist — einer Erkenntnis und einer Prophezeiung, die gerade deshalb keiner hören will —, dann wird man mit der Zeit wohl immer erbitterter in ihrer Vorstellung und immer kryptischer in ihrer Wiederholung.

Worum geht es nun aber? Etwas schlampig könnte man sagen: So wie die feministische Psychoanalysetheorie Freud um die Klitoris „vertieft“ hat, so „bereichert“ Werlhofs Kapitalismustheorie Marx um die (Haus-)Frauen. Und der Begriff bereichern trifft schon den Kern. Vom Proletariat läßt sich keine Revolution mehr erhoffen, so nicht nur Werlhofs These, da der Proletarier, d.h. der männliche, weiße, freie Lohnarbeiter, eine aussterbende Klasse ist. Geregelte Lohnarbeit wird in der ersten Welt zu teuer und ist deshalb schon seit geraumer Zeit zunehmend in die sogenannte dritte Welt verlagert. Dort wird sie unter Verhältnissen verrichtet, die nicht als freie Lohnarbeit bezeichnet werden können; die Menschen arbeiten abhängig, kaserniert, nicht dauerhaft und schließlich sogar lohnlos: um Kredite, geliehenes Land, Maschinen, Saatgut, Futter etc. abzudienen bzw. deren Folgen, nämlich weitere und immer größere Schulden.

Diese Art moderner Zwangsarbeit ist der Ausweg aus der Krise des Kapitalismus und Grundlage seiner neuerlichen Bereicherung oder „ursprünglichen Akkumulation“, wie Werlhof diesen Vorgang klassischerweise nennt. Und Grundlage der Grundlage sind in diesem Ausbeutungssystem die Frauen. Sie sind dessen „natürliche“ Ressource, indem sie das produzieren und erhalten, worauf nie verzichtet werden kann: die menschliche Arbeitskraft. Und als Hausfrauen tun sie das selbstverständlich und daher umsonst.

Nun ist es aber nicht mehr so, daß Frauen in der ersten wie in der dritten Welt „nur“ Hausarbeit verrichten, d.h. für die „Subsistenz“ ihrer Familie arbeiten. Sie sind gerade auch in den sogenannten Entwicklungsländern längst in die Warenproduktion eingebunden: Sie „helfen mit“. Ihren Männern z.B. dabei, auf den Feldern, die nicht mehr die ihren sind, das herzustellen, was sie gar nicht brauchen (sondern wir), damit sie Geld erhalten, um wiederum das zu kaufen, was sie eigentlich brauchen und früher selbst angebaut haben. Oder sie arbeiten in der ausgelagerten Westindustrie für Hungerlöhne, die sich aus der gleich mitgelieferten Hausfrauen-Fiktion herleiten: Frauen werden von ihren Männern versorgt und brauchen deshalb, wenn sie sich in ihrer Freizeit beschäftigen wollen, allenfalls ein Taschengeld. Oder sie fangen mit einem Hausfrauenkredit eine kleine Hühnerzucht an, um nebenher noch ein wenig zuzuverdienen. Nur müssen sie bestimmte Küken kaufen, die nur bestimmtes Futter vertragen, spezielle Ställe brauchen und hochempfindlich sind, so daß am Schluß weniger Geld da ist als vorher (daher kommen übrigens die Titelhühner).

Diese Art der doppelten Arbeit von Frauen, die gerade deshalb als mindere behandelt wird, weil Frauen sowieso im Haus und zur Hand sind, meint der Begriff „Hausfrauisierung“: unfreie Waren- plus Subsistenzproduktion, die tendenziell umsonst ist. Im Umgang der ersten mit der dritten Welt kehrt dieses Geschlechterverhältnis als moderne Form der Kolonisierung wieder, wobei die Rollenverteilung klar ist: die verschuldete dritte Welt als Hausfrau der ersten. Theoretisch ist uns dieser Sachverhalt durchaus geläufig, ja, im Grunde selbstverständlich, denn er tut uns nicht weh, und wir leben davon, so wie (nicht nur) der traditionelle Ehemann von der lohnlosen Mehrwert-Arbeit seiner Hausfrau lebt.

Für Werlhof kennt der Kapitalismus kein Außerhalb seiner selbst. Die sozialitische und die Dritte- Welt-Produktionsweise sind keine nach- oder vorkapitalistischen Wirtschaftsformen, sondern Teil des einen Gesamtsystems. Und das — so die Hypothese der Autorin — sieht demnächst einen Rücktransport vor: jene „hausfrauisierte“ Form der „natürlichen“ Ausbeutungs-Ökonomie wird wie ein Bumerang auf die erste Welt zurückkommen. Erste Anzeichen gibt es schon: u.a. eben das, was in unseren alternativen Kreisen als selbstbestimmt gilt und Eigenarbeit oder Schattenarbeit heißt; Arbeit mithin, die wenig kostet und so viel angebliche Freizeit verspricht. Außerdem schickt man sich derzeit an, auch die letzte Gratis-Reserve des Bodenschatzes Frau zu kapitalisieren: das lebendige Gebären wird den Frauen enteignet, um über die Reproduktionstechnologie noch mehr totes Geld zu machen.

In den beiden vorhergehenden Sätzen sind die Subjekte jeweils undeutlich, der erste hantiert mit einem „man“, der zweite entspricht ins Passiv mit falschem Um-zu-Anhang. Ich imitiere den Buchstil nicht von ungefähr. Denn der Haken an der vorgelegten Theorie ist genau diese Begründungsvagheit. Es wird ein Ausbeuterverhältnis beschrieben, ja, eine Drahtziehertheorie entwickelt, ohne daß der Machthaber kenntlich würde. Was da gelegentlich als logistischer Kopf auftritt und als „Staat“, „Patriarchat“ oder „Kapitalismus“ verdinglicht, um nicht zu sagen anthropomorphisiert wird, bleibt meist auch grammatikalisch ein ungreifbarer Bösewicht.

Insofern halte ich Satzschwäche auch für Denkschwäche. Die Autorin spricht z.B. vom „Beginn einer völlig neuen Phase kapitalistischer Entwicklung“ und fährt fort: „Sie ist dadurch gekennzeichnet (...), daß sie die ,freie‘ Lohnarbeit mehr oder weniger abschafft.“ Wer ist da der Abschaffer — die neue Phase der Entwicklung? Mit Erklärungen kann Werlhof sich — über ein sprachliches Unvermögen hinaus — nur schwertun; denn einen dingfest zu machenden Strategen des Falschen gibt es nicht. Vermutlich ist das die Falle aller Globaltheorien; irgendwann werden sie zirkulär: „Die Frage, warum ausgerechnet diejenigen, die am meisten arbeiten, am wenigsten zu sagen haben, läßt sich (...) zum Teil beantworten. Denn wenn die Frauen etwas zu sagen hätten (...), dann würden sie als erstes ihre Arbeitsüberlastung beanstanden bzw. versuchen, bestimmte Arbeiten zu verweigern.“ Und auch mit meinem Lieblingskalauer wird die Sache nicht unbedingt klarer: „Ja, die Geschlechterspaltung scheint der harte Kern aller übrigen, für die Erhaltung des Systems notwendigen Teilungen zu sein.“ Es ist ein Kreuz mit dem Patriarchat — und mit seiner Herleitung erst recht!

Claudia von Werlhof: Was haben die Hühner mit dem Dollar zu tun? Frauen und Ökonomie . Verlag Frauenoffensive, 220 Seiten, broschiert, 28,50 DM.

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