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„Ihr habt uns Auschwitz nie verziehen“

■ Diskussion über Israel und deutsche Besserwisserei in der Uni Oldenburg

„Die deutsche Linke hat im Golfkrieg komplett versagt“, sagt Yoram Kaniuk, Mitbegründer der israelischen Friedensbewegung und Co-Präsident des israelisch- arabischen Schriftsteller-Verbandes. „Wo war die deutsche Friedensbewegung, als Saddam Hussein Israel mit deutschem Giftgas bedrohte?“ Yoram Kaniuk versucht seit März zu kitten, was im Golfkrieg zwischen israelischer und deutscher Linke zerbrochen ist. Deshalb reist er quer durch Deutschland, zu Gesprächsrunden wie dieser in der Uni in Oldenburg vergangene Woche. Thema: „Israel und die deutsche Besserwisserei.“ Sein Gesprächspartner: Gert Jannsen, Dekan für Sozialwissenschaften in Oldenburg und Ex-Bundestagsabgeordneter der Grünen.

„Sie könnnen nicht von mir erwarten, höflich zu sein heute abend“, beginnt der israelische Künstler das Gespräch. „Seit ich vor sechs Monaten nach Deutschland kam, habe ich verlernt höflich zu sein.“ Yoram Kaniuk schaut zu Boden, die Hände zittern, nervös zerknüllt er in der Linken einen Pfeifenstopfer. Wie beginnen? Wie dem Publikum, etwa 250 deutschen und ausländischen Intellektuellen, klarmachen, welch tiefe Wunde der Golfkrieg im deutsch-israelischen Verhältnis geschlagen, nein, wieder aufgerissen hat?

„Es gibt keine logische Erklärung“, fährt er fort. „Wir haben seit Israel existiert so viele Kriege erlebt. Im Golfkrieg gab's nur einen einzigen Toten durch Scud- Raketen auf Tel-Aviv. Und doch habe ich mein ganzes Volk nie vorher so verstört erlebt. Es war die Wiederholung des Traumas — deutsches Gas gegen Juden.“

Yoram Kaniuk wurde 1930 in Tel Aviv geboren. Sein Vater hatte 1927 Deutschland verlassen, nachdem er „Mein Kampf“ gelesen hatte. Kaniuk: „Weil er geglaubt hat, was er da las.“ Doch die Liebe zur deutschen Kultur, zur deutschen Sprache blieb. Gemeinsam mit dem deutschen Schriftsteller Arnold Zweig hörte Kaniuks Vater 1942/43 in Haifa über Kurzwelle die Nazi-Sender ab. Nicht um sich über Feindbewegungen zu informieren, sondern um die Fehler, die sie im Deutschen machten, zu notieren. Er wollte die deutsche Sprache vor der Zerstörung durch die Nazis bewahren.

Diese Liebe übertrug sich auch auf Sohn Yoram, der sich als einer der ersten um den deutsch-israelischen Dialog bemühte. „Doch der Dialog war von Anfang an nur einseitig“, betont er. „Als die ersten Scud-Raketen auf Tel-Aviv fielen, haben wir erwartet, daß Hunderttausende mit gelben Sternen auf der Brust vor den deutschen Gift-Gas-Fabriken aufmarschieren. Stattdessen zogen sie vor die amerikanische Botschaft. — Ich habe geglaubt, die deutsche Friedensbewegung hat ein Gewissen und historische Verantwortung. Doch Ihr habt nichts aus der Geschichte gelernt.“

Betroffenes Schweigen im Publikum. Hilflose Antwort von Gesprächspartner Gert Jannsen: Die Angst, der Golfkrieg könne ein Weltkrieg werden, sei so groß gewesen, die Angst um das eigene Leben. „Wir haben versucht, den Krieg zu verhindern und versäumt, gegen deutsches Gas zu protestieren.“ Die deutsche Linke müsse sich nun fragen, wie das passieren konnte. Jannsen: „Wir sind für das, was wir tun, verantwortlich, aber auch für das, was wir nicht tun. Und für die politische Meinungsbildung. Wir haben jahrelang versäumt, zu erkennen, daß unser Verhältnis zu Israel aufgrund der Geschichte ein besonderes sein muß.“

Politik. Vernunft. Die deutsch-jüdischen Beziehungen, so Yoram Kaniuk, liegen in ganz anderen Dimensionen. Keine andere Kultur der Welt sei so verwachsen mit der Jüdischen wie die Deutsche: Einstein, Kafka, Mahler, Freud. Dennoch waren es Deutsche, die Juden vernichten wollten. Und auch heute würden viele gerne ein besonderes Verhältnis leugnen. Kaniuk: „Ich habe mit Hunderten Überlebenden des Holocaust gesprochen, und mit vielen Deutschen, und ich sage Euch etwas, was Euch erschüttern wird: Tatsache ist, die Deutschen haben uns Juden Auschwitz nie vergeben.“

Danach versöhnlichere Töne. Kaniuk bittet den Übersetzer, die Erkenntnis aus einer Diskussion zwischen Israelis und Grünen PolitikerInnen aus dem Jahr 1984 wiederzugeben: Beide Völker haben aus dem Holocaust verschiedene Lehren gezogen. Für die Deutschen heiße die Devise: Nie wieder Täter. Für die Juden: Nie wieder Opfer. Darauf beruhe der ganze Konflikt.

Nach gut zwei Stunden Diskussion packt der Schriftsteller müde seine Sachen. Er hat alles gegeben, seine ganze Hoffnung, den verlorenen Dialog wiederzufinden. Kaniuk: „Ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß wir vielleicht eines Tages wieder miteinander reden können.“ Isabelle Yeginer

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