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Exportmodell Deutsch-grün

Heißer Herbst für die deutsche Umweltpolitik: Jetzt werden die Weichen für die klima- und energiepolitische Zukunft der Bundesrepublik gestellt. Angeheizt wird die Debatte durch die bevorstehende Umweltkonferenz in Rio. Umweltminister Töpfer und Wirtschaftsminister Möllemann machen derweil gegeneinander mobil. Das könnte internationale Konsequenzen haben.  ■ VON BERND ULRICH

Ökologische Revolution durch politische Evolution“, so lautet das interne Motto des Hauses Töpfer. Mit dieser leisen Methode hat das Bundesumweltministerium in der „Weiter so, Deutschland“-Regierung schon einiges erreicht. Die Entscheidung vom 7.November 1990, die Kohlendioxid-Emissionen bis zum Jahr 2005 um 25 bis 30Prozent zu reduzieren, zielt auf gravierende Veränderungen. In diesem Herbst werden die Weichen dafür gestellt, ob die klimafreundlichen Beschlüsse auch umgesetzt werden oder nicht. Der Kampf darum findet gegenwärtig vor allem in der Energiepolitik statt. Jürgen Möllemann als zuständiger Minister hat kräftig ins Horn gestoßen und den öffentlichen Streit mit Kabinettskollege Töpfer begonnen. Die Belastungsgrenze der deutschen Wirtschaft sei erreicht, weitere Abgaben nicht mehr vertretbar, so kritisiert Möllemann die im BMU geplante CO2-Abgabe.

Entschieden werden muß noch in diesem Herbst, wenn das Energiekonzept der Bundesregierung vorgelegt wird. „Doch“, so orakelt Töpfers Staatssekretär und Klimaexperte Bernd Schmidbauer im Gespräch mit der taz, „der Herbst dauert bis zum 21.Dezember.“

Angeheizt wird die Auseinandersetzung um die klima- und energiepolitische Zukunft der Bundesrepublik durch ein bevorstehendes weltpolitisches Ereignis. Im nächsten Jahr findet vom 1. bis zum 12.Juni in Rio die Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung (UNCED) statt. Nach zwanzigjähriger Pause treffen sich die Staaten der Welt zum zweiten Mal, um die gefährdete Lage des Globus zu diskutieren. Neben Abkommen über den Artenschutz und den Wald soll dort eine Weltklimakonvention verabschiedet werden. Die Bundesrepublik versucht dabei eine Lokomotivfunktion wahrzunehmen. Die jedoch hängt entscheidend von den eigenen Taten ab. Bernd Schmidbauer: „Es gehört entschieden zu unserer Glaubwürdigkeit, daß wir in die Reduktionsstrategien praktisch einsteigen.“ Der abschließende Bericht der Bundesrepublik für die UNCED, die umweltpolitische Visitenkarte der Nation, soll bis zum 3.Dezember druckreif sein.

Es geht um viel in diesem Herbst: um die klimapolitische Zukunft der Republik und um ihr internationales Renommee als Zugpferd globaler Umweltpolitik. Derweil machen die jeweiligen Interessengruppen mobil; Wirtschafts- und Verkehrsminister auf der einen, Umweltbewegung und Umweltminister auf der anderen Seite — und der Bundeskanzler auf der Seite derer, die am Schluß obsiegen werden. Nur wer das ist, weiß auch er noch nicht.

Töpfers Kuschelkomitee

Zur Vorbereitung der UNCED hat Kanzler Kohl ein Nationales Komitee einberufen. Dort versuchen Umweltgruppen, wie der BUND und der Deutsche Naturschutzring, mit dem Vorsitzenden des Deutschen Heimatbundes, dem DIHT, den Kirchen und Gewerkschaften zu einem umweltpolitischen Kompromiß zu kommen. Hauptaufgabe ist die Erarbeitung besagten Berichts über die Umweltstrategie der Republik. Wer die Teilnehmerliste sieht, mag an eine Einigung kaum glauben: Hans Peter Stihl, Besitzer von Motorsägenfabriken neben dem Ökobauern Hubert Weinzierl, Peter Gauweiler neben Bischof Kruse, Oberbauer von Heeremann neben Umweltexperte Ernst-Ulrich von Weizsäcker. Trotz der explosiven Mischung steuert der Komitee-Vorsitzende Klaus Töpfer einen Konsens an. Doch der bisher vorliegende Entwurf ist auf starke Vorbehalte insbesondere bei den Umweltorganisationen gestoßen. Was das Umweltministerium da ersonnen hat, klingt denen allzu selbstgefällig nach Export-Modell Deutschland, diesmal in grün. „Der Treibhauseffekt bleibt weitgehend ausgeblendet“ kritisiert Komitee- Mitarbeiter Raimund Bleischwitz vom Wuppertaler Institut für Klima, Umwelt und Energie. In einer geharnischten Stellungnahme beklagt er: „Der Bericht enthält keine nationale Perspektive der Bundesrepublik Deutschland zu Umwelt und Entwicklung.“ Im Kern geht es um die Frage, ob die Bundesrepublik sich den Entwicklungsländern als Leitbild verkauft, oder einräumt, daß der hiesige Produktions- und Lebensstil weder exportierbar noch auf die Dauer bei uns aufrecht zu erhalten ist. Die Umweltgruppen plädieren für eine bescheidenere Selbstdarstellung und verlangen deutlichere Signale in Richtung Selbstveränderung.

Formulierungen dafür liegen schon vor. So hat das internationale Vorbereitungskomitee für die UNCED, kurz und englisch PREPCOM genannt, auf seiner jüngsten Tagung in Genf festgestellt: „Es ist klar, daß der gegenwärtige Lebensstil und die Konsumgewohnheiten der reichen Mittelklasse in einigen entwickelten Ländern, die verbunden sind mit hoher Fleischzufuhr, Verzehr großer Mengen von gefrorener und ,Bequemlichkeitsnahrung‘, Besitz von Automobilen, zahlreichen elektrischen Hausgeräten, Aircondition zu Hause und am Arbeitsplatz, weitverbreiteten Flugreisen, raumfressender Stadtrandbesiedelung, motorisiertem Verkehr und Shopping, nicht tragfähig sind.“ Da müßte man nur für „einige entwickelte Länder“ „Bundesrepublik“ einsetzen, und schon käme man den Erwartungen der Entwicklungsländer entgegen. Nur würde der Umweltminister damit in seiner eigenen Regierung einige Konflikte auslösen.

Um so erstaunter waren die außerparlamentarischen Ökologen über das Auftreten des Umweltministers in der letzten Sitzung des Komitees am 12.Oktober. Obwohl der die schriftlichen Kritiken am Entwurf kannte, bat er noch einmal um ausführliche und heftige Kritik seitens der anderen Komitee-Mitglieder. Als die dann kam, versprach Klaus Töpfer, einen neuen Abschnitt zu entwerfen, der sich explizit und selbstkritisch mit dem Verhältnis von Umwelt und Entwicklung auseinandersetzen soll. Ein dunkler Fleck auf der sauerstoffgebleichten Visitenkarte der Bundesrepublik? Der Bericht an die UNCED jedenfalls kann nicht vom nationalen Komitee allein gebilligt werden. Vor allem muß das Kabinett ihn verabschieden. Falls das nicht geschehe, so ließ Töpfer in der Oktobersitzung des nicht-öffentlich tagenden Komitees durchblicken, werde sein Ministerium den Passus eigenständig veröffentlichen. Das Komitee wird so zu Klaus Töpfers Lobby gegenüber den Konkurrenten im Kabinett.

All das hat den Beschleuniger Krause noch nicht zu weitreichenden Gegenmaßnahmen provoziert, wohl aber den wachsamen Wirtschaftsminister:

Zehn Tage nach Töpfers Coup im Komitee tritt Jürgen Möllemann vor ausgewählte Journalisten, um einmal alle denkbaren Differenzen mit dem Umweltministerium öffentlich zu machen. Von der Elektronikschrott-Verordnung über die Abfall- Abgabe, die CO2-Besteuerung und „unterschiedliche Auffassungen auch in der Klimapolitik“ notiert die 'Süddeutsche Zeitung‘ am 23.Oktober lauter „erhebliche Bedenken“ des Wirtschaftsministers. Vor allem bei den Abgaben müsse nun erstmal Pause sein. Ein Copyright kann Jürgen Möllemann auf derlei Bedenken nicht erheben. Hatte doch schon im Mai dieses Jahres die Vereinigung der Deutschen Elektrizitätswerke soufliert: „Die deutschen Stromversorger sind grundsätzlich bereit, durch sinnvolle, den energiepolitischen Zielen Rechnung tragende und wirtschaftlich verantwortbare Maßnahmen zu einer Minderung der CO2-Emissionen beizutragen. Sie lehnen aber CO2-Abgaben und zusätzliche Energiesteuern ab.“

In den folgenden Tagen versuchte Jürgen Möllemann, den vom Zaun gebrochenen Konflikt nicht als eine Konfrontation zwischen Ökologie und Ökonomie erscheinen zu lassen. Ihm gehe es darum, so trug er in einem Thesenpapier nach, „das ökologisch Notwendige ökonomisch effizient zu gestalten“. Tatsächlich wirkt bei einem genaueren Blick auf die einzelnen Differenzen zwischen den Ministerien Jürgen Möllemann nicht unbedingt als der ökologisch Rückschrittlichere. Zwar lehnt er die baldige Einführung einer Steuer ausschließlich auf Kohlendioxid-Emissionen ab, präferiert dafür aber den Vorschlag der EG-Kommission für eine gemischte Abgabe auf Primärenergie und Kohlendioxid. Die finden auch Umweltgruppen wie der BUND besser als Töpfers reine CO2- Abgabe.

Trotzdem geht es den Ökologen und dem Wirtschaftsminister nicht um dasselbe. Sie versprechen sich von der Besteuerung der Primärenergie höhere Lenkungseffekte in Richtung Energiesparen. Insofern ist für sie der EG-Vorschlag das kleinere Übel. Dem Wirtschaftsminister geht es vor allem darum, umweltpolitische Alleingänge zu verhindern. Seine Forderung: die Einführung einer CO2- oder Energiesteuer müsse „mindestens EG-weit“ erfolgen. Auf diesem Weg will er Wettbewerbsnachteile für die deutsche Wirtschaft vermeiden.

Hier geht der Streit der Ministerien ins Grundsätzliche. Für Töpfer ist klar, daß umweltpolitisch auf internationaler Ebene nur dann etwas zu bewegen ist, wenn die reichsten der Reichen notfalls vorangehen. Dem Wirtschaftsministerium ist das zu riskant, auch wenn man im Umweltminsterium immerzu verspricht, daß sich umweltpolitisches Engagement mittelfristig auch ökonomisch auszahle.

Relevant ist der Streit auch mit Blick auf die Klimakonvention, die im nächsten Sommer in Rio unterzeichnet werden soll. Bisher laufen die Vorbereitungen dafür „sehr träge“ (Schmidbauer). Die meisten Entwicklungsländer weigern sich, über die Begrenzung ihrer Emissionen auch nur zu reden, solange die Industrieländer nicht ihre weit höhere Verschmutzungsverantwortung eingestehen und bei sich einschneidend reduzieren.

Wenn nur die Kombination von weitreichenden Beschlüssen, deren zügiger Umsetzung plus starkem politischem Willen Glaubwürdigkeit auf internationaler Ebene produziert, dann bereitet vielen nicht umsonst Sorge, was zur Zeit an Diskussion innerhalb der Regierung stattfindet und an Maßnahmen möglicherweise verzögert wird. Wenn das BMWi weiter so ausgiebig die Langsamkeit entdeckt, geht dem BMU international die Puste aus. Fragt sich, ob die „produktive Ungeduld“ von Staatssekretär Schmidbauer zunimmt, wenn so das Ziel des BMU, bei der UNCED „der internationalen Klimapolitik einen Pusch auf hohem politischen Niveau zu geben“, in weite Ferne rückt.

Als wenig hilfreich wird auch das überdeutliche Bekenntnis des Wirtschaftsministers zur Atomkraft wahrgenommen, das er in seinen Thesen niedergelegt hat. Argwöhnen Politiker aus den Entwicklungsländern doch, die Bundesrepublik betreibe all ihren Reduktions-Zauber beim Kohlendioxid weniger um der Erwärmung der Erdatmosphäre zu trotzen, als zur Exportförderung deutscher Atomtechnologie.

Alles in allem scheinen die Aktivitäten des Wirtschaftsministers die Aussichten der UNCED-Konferenz, soweit es um den Beitrag der Bundesrepublik geht, nicht zu verbessern. Doch vielleicht stört das auch den Regenwaldwanderer Helmut Kohl. Der möchte sich in Rio den Geschichtsbüchern als Ökologe empfehlen. Die Farbe Grün fehlt ihm noch in seiner schwarz-rot-goldenen Palette.

Minister auf der Flucht

Während die Minister sich streiten, sucht die Umweltbewegung nach einem eigenen Standpunkt. Unterstützt von „entwicklungspolitischen Gruppen“ diskutieren dieser Tage BUND und Deutscher Naturschutzring auf einer Tagung in Bonn, ob die UNCED „Chance oder Risiko für eine globale Ökologiepolitik“ sei. Politisch bleibt ihnen nicht viel anderes übrig, als die Einladung Töpfers anzunehmen, seine Lobby für den Kampf im Kabinett zu sein.

Bei so viel Unterstützung für den Umweltminister will auch Jürgen Möllemann nicht ganz allein und kommissionslos dastehen. Er kündigte — sicher nicht zufällig im Zusammenhang mit seiner Generalkritik am Umweltminister — die Bildung einer Energiekommission an. Die soll einen neuen energiepolitischen Konsens formulieren, in den er auch gern die SPD einbezogen sehen möchte. Die Minister, so scheints, fliehen voreinander in ihre Kommissionen.

Institutionelles Chaos in der Umweltpolitik

Hinter dem Konflikt zwischen Ökonomie und Ökologie tut sich damit ein Problem institutioneller Art auf. Heute rächt sich, daß die Ökologie einfach als Anhängsel in ein schmales Ministerium geschoben wurde. Heute, da die Umwelt in allen Bereichen eine immer größere Rolle spielt, wird dieser Rahmen zu eng. Die schleichende Verwandlung des Umweltministeriums von einem weichen in ein hartes Ressort aber wird von anderen Ministerien blockiert. Schließlich bedeutet die Mit- Zuständigkeit des Umweltministeriums für Verkehrs-, Energie-, Industrie-, Landwirtschafts- und Gesundheitspolitik für die jeweiligen Ressorts Machtverlust. So geht es zwischen Möllemann und Töpfer nicht zuletzt um die Frage: Wem gehört die Zuständigkeit für Energie?

Faktisch hat sich Umweltpolitik zu einem Querschnittressort gewandelt. Ökologischer Nachholbedarf und enorme Zukunftsaufgaben werden diese Tendenz noch verschärfen. Beim jetzigen Zuschnitt macht das den Umweltminister zum Gegner und zugleich Bittsteller der anderen Minister. So wartet Minister Töpfer immer noch vergebens darauf, daß das aufgeblähte Wirtschaftsministerium endlich Vorschläge für die vielgerühmten wirtschaftlichen Anreize zu einer umweltgerechteren Energiepolitik auf den Tisch legt.

Das institutionelle Chaos in der Umweltpolitik wird auch dem umweltpolitischen Sprecher der SPD- Fraktion im Bundestag, Harald B. Schäfer, zu bunt. Auf Möllemanns Entwürfe zum Energiekonzept reagiert er in einem Interview mit der 'Osnabrücker Zeitung‘: „Unverzeihlich ist, daß das Energiekonzept praktisch den gesamten Verkehrsbereich ausklammert. [...] Deshalb ist das ganze Programm nur ein Torso.“ Nur wenn der Wirtschaftsminister für Energie zuständig ist und nicht für Verkehr, der Umweltminister allen beiden nicht zu sehr dreinreden darf, ist ein Torso vorprogrammiert.

Ökologen, auch vormals basisdemokratische, schwärmen ob solcher Zustände von einem Super-Umweltministerium, das auch Landwirtschaft, Verkehr und Energie umfaßt. Andere finden ein Vetorecht nach dem Muster des Finanzministeriums intelligenter. Viele denken, daß ressort-übergreifende Umweltpolitik durch die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers gewährleistet sein kann, wenn Töpfer denn endlich Kanzler wird.

Aber ob der umweltpolitisch engagiert bleibt, wenn er ins Allgemeinpolitische wechselt? Bei der Kohle jedenfalls ist er schon jetzt ganz saarländischer CDU-Vorsitzender und torpediert Möllemanns Kürzungsabsichten. Auch wo es gehen könnte, arbeitet man nicht zusammen, obwohl aus umweltpolitischer Sicht doch das eine oder andere gegen die Kohle spricht. „Ökologische Revolution durch politische Evolution“? Glückauf!

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