: Textilindustrie: Nur die Männer bleiben übrig
Euro-Textilkongreß in der Oberlausitz: Noch einmal 40.000 Beschäftigte müssen bis zum Jahresende gehen ■ Aus Reichenbach Detlef Krell
Der Zusammenbruch der ostdeutschen Textilindustrie hält an: Von den noch 80.000 Beschäftigten werden bis zum Jahresende weitere 40.000 ihren Arbeitsplatz verlieren. Betroffen sind vor allem wieder die Frauen. „In den einstigen Frauenbetrieben sind heute fast nur Männer zu sehen“, weiß Brigitte Weindler, die Leiterin der gewerkschaftlichen Beratungsstelle Oberlausitz, zu berichten.
Vor allem über die Chancen in der einst weltbekannten Tuchmacher- Region beriet der zweitägige Europäische Textilkongreß in Reichenbach bei Görlitz. Unternehmerische Initiativen seien an den Dimensionen eines bald offenen europäischen Marktes zu messen — darüber waren sich die Teilnehmer weitgehend einig.
„Unstrittig“ sei, daß die Zuwachsmärkte der Textil- und Bekleidungsindustrie im Osten liegen, meinte der Management-Berater und Publizist Joachim Meier. Nur müßte dieser „Nachfragemarkt“ sich eigenständig artikulieren können, wofür von einer Euro-Region im Dreiländereck wichtige unternehmerische Impulse ausgehen sollten.
Gegen eine Fortsetzung der Kurzarbeiterregelung über den 31.Dezember hinaus wandte sich Wolf Dieter Kruse, Präsident des Gesamtverbandes der Textilindustrie. Statt dessen sollte die Treuhand „wirtschaftlich überlebensfähige Betriebe“ schnellstens in die Marktwirtschaft entlassen. Den ostdeutschen Unternehmen empfahl Kruse, sich stärker auf andere EG-Länder einzustellen. Dies wäre ein „notwendiger Zwischenschritt“, um auf dem Weltmarkt bestehen zu können. Rückblickend stellte Kruse fest, daß es die deutsche Textilindustrie verstanden habe, „aus der Erweiterung der Absatzmärkte in Europa mehr Nutzen zu ziehen, als sie gleichzeitig an Terrain in einem der EG-Länder abgegeben hat“.
Nach seiner Rechnung habe die Treuhand 4.000 Unternehmen der Branche privatisiert und 700.000 Arbeitsplätze gesichert.
Wenn mit der Öffnung des EG- Marktes 1993 die bis dahin bindenden Regionalquoten für den Textilhandel fallen, werde sich der Wettbewerb auch der deutschen Unternehmen verschärfen, kündigte Klaus- Peter Schmallenbach, Vorsitzender des EG-Textilausschusses an. Die Gatt-Verhandlungen müßten bessere Exportmöglichkeiten in die „Entwicklungsländer“ begründen, nachdem in der EG seit 1985 „enorme“ Steigerungen beim Import von Bekleidung zu verzeichnen seien. Über die Liberalisierung des Welttextilhandels sei bereits weitgehende Einigung erzielt worden, nur über den Zeitraum gebe es noch unterschiedliche Auffassungen zwischen den USA und der EG.
Aus Brüsseler Sicht werden ostdeutsche Unternehmen von der Erweiterung des EG-Marktes um seine östlichen Nachbarn beträchtliche Wettbewerbsvorteile gewinnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen