: Asyl: Die offene Grenze als Hindernis
Vertraulich hat das Bundesinnenministerium ein Ratifizierungsgesetz zum „Schengener Übereinkommen“ vorbereitet/ Für Asylbewerber werden so „offene Grenzen“ zu unüberwindlichen Hürden ■ Aus Hannover Jürgen Voges
Mit einem Gesetzentwurf zur Ratifizierung des „Schengener Übereinkommens“, der gleichzeitig das Grundrecht auf Asyl entscheidend und weiter demontieren soll, will sich noch in dieser Woche das Bundeskabinett befassen. Nach dem Entwurf des Bundesinnenministeriums soll allen Flüchtlingen, die über einen der Schengener Vertragsstaaten in die Bundesrepublik einreisen, von vornherein das Recht auf Asyl genommen werden, ihre Anträge sollen als „unbeachtlich“ gelten.
Den als „vertraulich“ und „eilbedürftig“ gekennzeichneten Entwurf hat der Bundesinnenminister bereits vor vierzehn Tagen seinen Länderkollegen mit dem Hinweis übersandt, er solle am 11. Dezember im Bundeskabinett beraten werden.
Der Entwurf aus dem Bundesinnenministerium trägt den schönen Titel „Gesetz zu dem Schengener Übereinkommen betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an gemeinsamen Grenzen“. Allerdings befaßt sich das Paragraphenwerk, dem Bundestag und Bundesrat zustimmen müssen, ausführlicher mit Änderungen des Asylverfahrensgesetzes als mit dem kontrollfreien Reiseverkehr zwischen den Ländern der EG. Neu hineindefiniert wird in das Asylgesetz, wann ein Flüchtling als „vor Verfolgung sicher“ gilt: Immer wenn er „über einen Staat einreist, der aufgrund völkerrechtlicher Verträge für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist“. Der Asylantrag des Flüchtlings soll dann „unbeachtlich“ sein, nicht mehr zugelassen werden.
„Dem Flüchtling ist Abschiebung anzudrohen“
Dem Flüchtling selbst ist nach dem Gesetzentwurf in diesem Fall „die Abschiebung“ in den für das Verfahren zuständigen Vertragsstaat „anzudrohen“.
Die jeweilige Zuständigkeit für die Asylverfahren wurde schon im Schengener Vertrag selbst abgegrenzt, dem im Juni vergangenen Jahres als erste die Benelux-Länder, Frankreich und die Bundesrepublik und später Italien, Spanien und Portugal beigetreten waren. Falls der Flüchtling nicht für einen der Schengen-Staaten eine Aufenthaltserlaubnis oder ein gültiges Visum besitzt, muß das Land den Asylantrag bearbeiten, in das der Schutzsuchende zuerst eingereist ist.
Dabei soll nach dem Ratifizierungsentwurf des Innenministers letztlich eine Zwischenlandung auf dem Weg in die Bundesrepublik genügen, um die Zuständigkeit eines anderen Staates und damit die Abschiebung aus der BRD zu begründen. „Wenn der Ausländer mit einem Vertragsstaat bereits Gebietskontakt vor der Einreise in die Bundesrepublik hatte“, könne er „unabhängig von der Art und Dauer dieses Kontaktes“ in diesen Staat „überstellt“ werden, heißt es in der Begründung des Gesetzentwurfes.
Obwohl die Schengen-Staaten keineswegs alle ein Grundrecht auf Asyl in ihre Verfassungen aufgenommen haben, soll ein in diesem arbeitsteiligen Verfahren einmal abgelehnter Asylbewerber anschließend auch in der Bundesrepublik in der Regel keinen Schutz mehr suchen können. Ein Antrag eines im Schengen-Ausland schon abgewiesenen Flüchtlings soll nach dem Entwurf nur noch dann „beachtlich“ sein, „wenn hinreichende Anhaltspunkte für eine Anerkennung als Asylbewerber vorliegen“. Ob ein solcher Antrag „beachtlich“ ist, hat „die Ausländerbehörde zu klären“. Ein solcher Antrag kann damit ohne förmliches Asylverfahren bereits von der Ausländerbehörde abgelehnt werden.
Gegen die geplante Ratifizierung des Schengener Übereinkommens hat inzwischen die niedersächsische Landesregierung massive Bedenken angemeldet. Der grüne Bundesratsminister Jürgen Trittin warnte die Bundesregierung davor, „über internationale Abkommen Verfassungsgebote zu umgehen“. Der im Grundgesetz festgeschriebene individuelle Rechtsanspruch auf Asyl dürfe nicht durch eine Abweisungspolitik ausgehebelt werden, erklärte Trittin. Schon deswegen sei das Schengener Regierungsabkommen nicht ratifizierungsfähig.
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