: Engel haben kein Geschlecht
■ Die Klassengesellschaft der Himmlischen, die Schutzengel und die Frau, die selbst für Gott zuviel war
Malách« (hebräisch: Schattenseite Gottes); »Angelos« (griechisch: Bote), Engel — große, schöne Männer im Kampf gegen das Böse. Zarte, starke Frauen bei der Verkündigung froher Botschaften. Kleine, dickschenklige Jungen mit Pfeil und Bogen auf der Jagd nach Singles zum Unglücklichmachen. Kleine, rotwangige Mädchen, die flatternd bunte Bänder über Paaren entfalten. Engel haben kein Geschlecht. Sie sind nackt, tragen weiße Hemden, samtene Kleider, metallene Rüstungen. Engel haben Flügel, immer paarweise, von zwei bis acht. Sie singen und tanzen, spielen Harfe oder Blasinstrumente, meistens zur Lobpreisung Gottes. Wenn ich mir vorstellen soll, was die Engel in der Gegenwart des Herrn wohl musizieren, dann kann ich mir nur denken: Sie spielen Bach. Wenn sie aber unter sich sind, dann spielen sie gewiß Mozart!(Karl Barth)
Sie sind niedlich, lustig, erotisch, würdevoll, zum Anbeten schön, zum Fürchten schrecklich. Sie werden nicht krank, kennen keine Leidenschaften und sind unsterblich. Wenn sie den Menschen erscheinen, sind sie von vollkommener Schönheit; dann sehen sie so aus wie die Menschen nach der Wiederauferstehung. Verglichen mit dem Menschen ist die Natur der Engel geistig; im Vergleich zu Gott aber körperlich.(Gregor von Nazianz) — Nach Thomas von Aquin gibt es neun himmlische Stände, die den Thron Gottes in drei Hierarchien umkreisen.
Die erste, und damit Gott am nächsten, besteht aus: Cherubine, Seraphine und Throne, von denen Dionysus Areopagia sagt: »... vollendet werden sie genannt, weil sie nicht eine diskursive Erkenntnis besitzen, sondern von der Gottheit in der höchsten Form unmittelbar erleuchtet und vollendet werden.«
Die zweite Hierarchie bilden: Exusiasis, Dynameis, Kyriotes — (Offenbarer, Weltenkräfte, Weltenlenker) — sie sind für den gesamten Kosmos zuständig, also nicht nur im dauernd erleuchteten, »bei Gott«-Zustand, sondern schon etwas mehr der Welt zugewandt und bemüht, alle Gegensätze miteinander zu versöhnen und schließlich mit Gott, dem Urgrund, eins werden zu lassen.
Die dritte Hierarchie nun ist für unsereinen ganz persönlich zuständig: Engel, Erzengel und Fürstentümer (oder Urkräfte, Mächte) — eine genaue Zahlenangabe über alle Engel gibt es leider nicht, in der Bibel heißt es aber, daß die Zahl der göttlichen Geister größer sei als die aller Menschen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammen, die vielbeschworene irdische Überbevölkerung ist also nichts dagegen!
Der Volksmund kennt am besten den Schutzengel — eine Art himmlischer Kontaktbereichsbeamter. Er ist allzeit bereit, den Fußgänger vom Fahrradweg zu schubsen; er bewegt uns, ein anderes Flugzeug zu benutzen als das, welches abstürzen soll. Er richtet es ein, daß wir nicht da sind, wenn der Gerichtsvollzieher kommt... In letzter Zeit scheinen die Schutzengel allerdings etwas desorientiert zu arbeiten — vielleicht sind aber auch der Flugverkehr zu groß, die Fahrradfahrer zu aggressiv und die Ratenzahlungsregelungen zu verbrecherisch geworden.
Kaspar hat eindeutig einen »Kapitalengel«: dauernd findet er Schmuck oder Geld auf der Straße; Marianne dankt jedesmal ihrem »Parkplatzengel«, wenn sie vor den jeweiligen Eingängen einen Fleck für ihr Auto findet. Martin trifft vor dem Einschlafen immer seinen »Bettengel« — was ihn fast mit Rudolf Steiner verbindet, der ausführte, daß der Mensch des Nachts eine Begegnung mit Engeln haben kann (aber nur, wenn man tagsüber auch mal an was anderes als an irdischen Tand gedacht hat!). Mein Schutzengel scheint eine Zuneigung für Schlüssel zu haben, weil er sie immer dahin legt, wo ich sie suche — so ist es offensichtlich dergestalt geregelt, daß jeder den Engel kriegt, den er braucht. [Wohl wahr, mein Engel hört allzugern Musik und schleppt mich mit in die interessantesten Musik-Aufführungen! d. säzzer] Außer vielleicht: die Kurden im Irak, Iran und Türkei (obwohl der Islam auch den Engel als solchen kennt!), die Asylanten in Europa (ist als Problem vielleicht noch nicht bis zu den Triaden durchgedrungen), die Aidskranken (Promiskuität ist auch unter Engeln verpönt, wenngleich sehr wohl praktiziert!).
Früher, als die Welt noch in Ordnung und eine platte Scheibe war, gab es über die Existenz der Engel keine Zweifel. Ihre ersten Spuren fanden sich bei den Assyrern und Babyloniern, wo jede Gottheit einen geflügelten Boten besaß und schon dort hatten die Boten auch eine Schutzfunktion für die Sterblichen gegenüber den Göttern. Diese Mittlerposition behielten sie sowohl im Juden- und Christentum als auch im Islam. In allen drei Weltreligionen kennt und schätzt man besonders Gabriel (Engel der Menschheit) und Michael (Engel der Propheten), die uns, zusammen mit Raphael und Uriel (und bei den Christen und Juden auch noch wahlweise: Sariel, Remiel, Raguel oder Razuel) als »Erzengel« bekannt sind. Sie sind die wichtigsten Vermittler zwischen Gott und den Menschen, befehligen aber außerdem noch die Himmelslegionen im Kampf gegen die Söhne der Finsternis.
Wie viele Engel es tatsächlich gibt, bleibt auch nach längerem Studium der Engelskunde verwirrend unklar. Der Talmud spricht zum Beispiel an einer Stelle allein von 11.000 Schutzengeln, die jeden einzelnen Juden begleiten, während die Christen lediglich jedem einen zur Rechten (für die guten Taten) und einen zur Linken (für die Bähbäh-Sachen) gönnen. Wir sehen also, daß der geflügelten Wesen viele — und von alter Herkunft — sind; und wir alle hätten uns bis heute sicher in ihrer Obhut fühlen können — dann aber kamen die astronomischen Erkenntnisse des 16. Jahrhunderts, und die Engel sollte es plötzlich nicht mehr geben. Martin Luther glaubte zwar an den Teufel (wozu bräuchten wir sonst Christus als Retter?), fühlte sich sogar von jenem nachts öfter heimgesucht, als er selbst seine eigene Frau beglückte, fand jedoch den Gedanken an Engel äußerst albern. Wer aber ist der Teufel? Bei Ezechiel (28, 12-17) heißt es: Du warst das Abbild der Vollkommenheit, voller Weisheit und über die Maßen schön. In Eden warst du, im Garten Gottes, geschmückt mit Edelsteinen jeder Art, mit Sarder, Topas, Diamant, Türkis, Onyx, Saphir, Malachit, Smaragd... Du warst ein glänzender, schirmender Cherub... Weil sich dein Herz erhob, daß du so schön warst, und du deine Weisheit verdorben hast in all deinem Glanz, darum hab ich dich zu Boden gestürzt.
Luzifer, der Lichtbringer, war nicht mit der Rolle des dienenden Engels zufrieden und wurde der Chef einer Revolution im Himmel. Laut Salomon, der sie einst in einer großen Flasche einfing, waren es 6666 — in der Bibel heißt es, ein Drittel der Engel sei dabeigewesen. Samuel Butler sagte, wie es wirklich gewesen sei, könne man nicht wissen, weil Gott alle Bücher geschrieben habe und niemand je die teuflische Version gehört habe. Geschrieben wurde nur über Luzifers Lieblingshöllenbraut, Lilith, die erste Frau Adams, die viel zu wild und temperamentvoll für den ollen Langeweiler war. Nach einigen ketzerischen Berichten scheint sie selbst für den Herrn zuviel gewesen zu sein, der ebenfalls nicht völlig immun gegen ihren Charme war. Er hat sie schnell an Satan weitergegeben(Malcolm Godwin).
Normalerweise leben Dämonen zwar lange, sind aber nicht unsterblich; Lilith jedoch darf bis zur Wiederkehr Christi die Menschheit plagen — sie gehört zu den vier Satansbräuten (nicht zu verwechseln mit den berüchtigten »Satansbraten« — wer immer dazu zählen mag), die mit den vier Erzdämonen explizit weiblichen Geschlechts unter der Engelschar sind: Prosperina, die »Königin der Dämonen«, Barbelo, von der das Gerücht geht, ihr Glanz übertreffe die Helligkeit des himmlischen Vaters, Astarte, die Morgenvenus, die die Christen zu »Astaroth«, den männlichen Höllenfürsten verwandelten, und Leviathan, die Chaos-Drachin, die sich als Krokodil oder ringförmige Schlange zeigt.
Wie auch immer es sich mit all diesen interessanten Wesen verhalten mag, irgendwie ist es mit ihnen wie mit den Eichhörnchen: jeder hat sie gerne, aber man sieht sie viel zu selten! Und wahrscheinlich gilt, was Samuel Butler über sie sagte: »»Alle Vernunft ist dagegen und alles gesunde Empfinden spricht dafür.« Renée Zucker
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