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Eine Ausbildung wie in Kommißzeiten

■ Jochen Dose-Woldach, Sozialpädagoge und Polizeibeamter, über Defizite in der Polizistenausbildung

Die Gewerkschaft der Polizei klagt über Nachwuchssorgen. Von ursprünglich 5.200 Bewerbern für 1.000 freie Stellen bei der Berliner Schutzpolizei fielen 20 Prozent durch die Einstellungstests, 40 Prozent rasselten durch die ärztliche Untersuchung, andere nahmen die Bewerbung zurück. Übrig blieben lediglich 766 Berufsanfänger. Zur Verbesserung der Nachwuchssituation fordert die GdP langfristig eine zweigeteilte Laufbahn auch für Schutzpolizisten. Die bisherige dritte Laufbahn, der mittlere Dienst, würde wegfallen. Danach wäre der Dienstgrad für Anfänger im Polizeidienst ‘Kommissar‚. Dies würde im Schnitt einen Mehrverdienst von monatlich 1.000 Mark bedeuten, rechnet der GdP- Landesvorsitzende Burkhard von Walsleben. Dadurch würde der Polizeiberuf wieder attraktiver. Die taz sprach über Polizei und Ausbildung mit Jochen Dose-Woldach. Er ist seit 1972 Polizist und seit 1984 bei der Berliner Schutzpolizei. Seit drei Jahren studiert er Sozialarbeit und Sozialpädagogik an der FHSS. Seine Diplomarbeit handelt vom »Erwerb sozialer Kompetenz zur Krisenintervention in der Berliner Polizei«.

taz: Die GdP klagt über Nachwuchssorgen und fordert eine zweigeteilte Laufbahn auch für Schutzpolizisten. Halten Sie das für den richtigen Weg?

Dose-Woldach: Nein. Der Beruf muß insgesamt attraktiver gestaltet werden. Geld alleine nützt da auch nichts. Ich glaube außerdem nicht, daß das Modell finanzierbar ist.

Warum ist der Beruf unattraktiv?

Viele Polizisten klagen, daß sie für politische Fehlentscheidungen herhalten müssen. Die Menschen nehmen verständlicherweise ihr Demonstrationsrecht wahr, und der Polizist steht auf der Straße und soll die Politik sichern, wenn nicht sogar durchdrücken helfen.

Sind die Polizisten für ihre Aufgabe ausreichend ausgebildet?

Mitnichten. In rechtlichen Bereichen wissen Polizisten sehr viel, und da akzeptiert sie auch die Bevölkerung. Sie sollen den Verkehr regeln, Mörder fangen und so weiter. Doch mit der Art und Weise ist der Bürger verständlicherweise nicht einverstanden.

Warum nicht?

In ihrer dreijährigen Ausbildung lernen Polizisten nicht, Sachverhalte auch auf der kommunikativen Ebene zu lösen. Sie ziehen sich zurück auf die Gesetzestexte, die sie auswendig gelernt haben. So bekommt der Bürger aber keine einleuchtende Erklärung. Insgesamt fehlt es den meisten Polizisten an Handlungs- und Problemlösungskompetenz. Auch sind sie nicht dafür ausgebildet, mit den vielen verschiedenen Bevölkerungsgruppen in Berlin umzugehen.

Wie sieht die Ausbildung konkret aus?

Die Berufsanfänger sind im Schnitt 16 Jahre alt. Sie werden in Zügen von 45 Personen zusammengefaßt und oft auch unterrichtet. Die psychologische Schulung beläuft sich auf ganze zwei Wochen. Die Ausbildung verläuft nach dem Prinzip Befehl und Gehorsam — nicht umsonst ist die Polizeiausbildung eine festgeschriebene Ausbildung in Militärnähe. Widerworte gibt es nicht. Für Nachfragen ist bei der Konzeption mit bis zu 100 Leuten im Unterricht auch keine Zeit. Auch sind die Ausbilder selber teilweise nicht ausgebildet. Die Ausbildung ist völlig unzeitgemäß und erinnert an alte Kommißzeiten. Ich habe eine Dissertation von 1933 über Polizeiausbildung gelesen. Die Zitate über die geistige Kasernierung und Abschottung in der Polizistenlaufbahn lassen sich heute noch verwenden.

Was ließe sich verbessern?

Die Ausbildung müßte reformiert werden. Die Ausbilder müßten besser ausgebildet werden und mehr Geld verdienen. In der Ausbildung müßten weniger Rechtsfächer und mehr interdisziplinäre Ansätze vermittelt werden. Das Berufspraktikum muß verlängert werden. Die jungen Leute brauchen Kommunikationstraining sowie eine vernünftige psychologische Ausbildung. Außerdem muß während der gesamten Zeit mehr auf die Belange dieser Stadt eingegangen werden, in der die Leute schließlich einmal arbeiten und mit Menschen umgehen sollen.

Das kostet aber alles Geld.

Sicher kostet das Geld. Aber in was soll man denn investieren, wenn nicht in die Ausbildung. Hier müßte der Grundstein für eine zeitgemäße Polizei in Berlin gelegt werden. Außerdem wäre dann die Abbruchquote nicht mehr so hoch. Im Moment geht doch häufig zur Polizei, wer von der freien Wirtschaft nicht genommen wird. Und kritische Polizisten quittieren fast alle früher oder später ihren Dienst. Interview: jgo

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