PORTRAIT: Vom Dissidenten zum Diktator
■ Georgische Opposition bereitet die Zeit nach Gamsachurdias Sturz vor
Es wäre voreilig, dem scheidenden georgischen Präsidenten Gamsachurdia eine besondere charakterliche Verworfenheit zu unterstellen. Er ist viel eher der lebende Beweis dafür, daß es nette Diktatoren nicht gibt und daß tugendhafte Diktatoren nicht weniger Blut vergießen als korrupte.
Die politische Bewegung in Georgien erfuhr seit dem 9. März 1989 eine Beschleunigung, nachdem sowjetische Truppen in der Hauptstadt Tbilissi ein Massaker angerichtet hatten. Die seit mehreren Tagen Versammelten hatten für die wirtschaftliche und politische Selbständigkeit Georgiens und für die Abschaffung der Autonomie Abchasiens demonstriert. Nach dem Massaker, bei dem ehemalige Afghanistankämpfer hungerstreikende Frauen mit Feldspaten erschlagen hatten, erhielt die Forderung nach nationaler Unabhängigkeit weite Unterstützung in der georgischen Bevölkerung.
In besonders hohem Maße spielte in der georgischen Innenpolitik die Nationalitätenfrage eine Rolle. Mit Adscharien, Abchasien und Süd-Ossetien hatte das kleine Georgien besonders viele „autonome“ Territorien, in denen die Titularnationen eine eigene Unabhängigkeit suchten. Wie überall in der Sowjetunion, tendierten die kleinen Nationen dazu, sich aus Furcht vor dem Nationalismus der in der Republik dominierenden Nation an die sowjetische Zentrale beziehungsweise die — im alten sowjetischen Verständnis — Konservativen anzulehnen. Sie wurden daher immer wieder als „Agenten Moskaus“ gegeißelt. Die georgische Nationalbewegung fürchtete eine Zerstückelung des Landes. Verstärkt wurde diese Furcht durch potentielle Ansprüche anderer Minderheiten. Diese Ängste sind der Hintergrund, auf dem die extremen nationalistischen Töne in Georgien zu sehen sind. Für Gamsachurdia, der hier eine breite politisch- kulturelle Strömung vertritt, könnten einige ethnische Minderheiten zwar Gaststatus im Lande erhalten, wenn sie sich loyal und bescheiden verhalten. Vor Mischehen aber warnte er, da sie die rassische Substanz des georgischen Volkes bedrohten. Gamsachurdia vertrat auch Pläne eines Staatsbürgerschaftsgesetzes, bei dem nicht nur die Kenntnis der georgischen Sprache, sondern auch der Nachweis zu fordern wäre, daß die Vorfahren zum Zeitpunkt der russischen Annexion 1801 Georgier waren.
Die Heroisierung der georgischen Nation, die sich auf eine glänzende und romantische mittelalterliche Geschichte berufen konnte, kehrte diese ethnischen Befürchtungen gleichsam ins Positive. Da die Bolschewiki die das unabhängige Georgien bis 1921 regierenden Menschewiki und ihre Tradition radikal ausgerottet hatten, war die von der georgischen Kirche mitgetragene nationalromantische Strömung als einzige übriggeblieben. Den einst auffälligen georgischen Kosmopolitismus gab es in dieser Form nicht mehr, an seine Stelle trat eine Orientierung an einem christlichen und heroischen Georgien, dessen Mission in der Abwehr des Islam und Asiens, aber auch in einer Vermittlung zu diesen bestünde. Diese Mission vertrat Gamsachurdia immer wieder, ohne sich vor Lächerlichkeit zu fürchten.
Die eigentliche Tragik der Gestalt Gamsachurdias, der als Kämpfer für Demokratie und Menschenrechte begonnen hatte, besteht jedoch in der Verkehrung seiner Position: Er hatte gegen die Lüge und das Unrecht gekämpft; sein Gegner war für ihn das absolut Böse, und nur unter dieser Voraussetzung konnte er ihn in hoffnungsloser Situation bekämpfen. Das hieß umgekehrt, daß Gamsachurdia, wie viele Dissidenten, sich selbst als absolut im Recht annehmen mußte. Auch die Gegner innerhalb der Opposition mußten als absolute Feinde erscheinen. Das erklärt, warum die demokratische und nationale Bewegung in die Diktatur umschlagen konnte.
Deren Ende haben seine Gegner nun bereits vorweggenommen: Für die Zeit nach seinem Sturz haben die politischen Parteien Georgiens gestern eine provisorische Übergangsregierung gebildet. Erhard Stölting
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