: Edens Gärtnerinnen
■ Mexiko: Das Drama der kleinen Schritte / Ein kaum bekanntes Land im 164. Band der „Horen“
Mexiko, das ist für uns EuropäerInnen immer noch nicht viel mehr als Kakteen, Tequila, Zapata und Acapulco. Die oldenburgische Zeitschrift für Literatur, Kunst und Kritik — die Horen hat jetzt in ihrem Band 164 eine Übersicht von 13 mexikanischen Autoren zusammengestellt. Wie unterentwickelt in Deutschland das Wissen über mexikanische Literatur ist, belegt die Statistik. Bei uns stammen fast siebzig Prozent aller Übersetzungen aus dem Englischen. Aus dem spanischen Sprachraum sind es gerade mal fünf Prozent.
In seinem Essay „Etwas vom Garten Eden — Mexikanische Annäherung“ nennt der deutsche Schriftsteller Fritz Rudolf Fries Mexiko einen „Brennspiegel aller lateinamerikanischen Eigenschaften“. In Mexiko werden über fünfzig Sprachen und Dialekte gesprochen. So könne die mexanische Literatur diesen Umstand nur durch Assimilation des Verschiedenartigen überwinden.
Alles Schreiben in Mexiko ist geprägt von diesem Aufsaugen der vielfältigsten Einflüsse. Mexikos Weg durch den Krieg gegen Amerika, die Übernahme des importierten Katholizismus in eine indianisch-spanischen Tradition — alles das finde sich, sagt Fries, in den literarischen Werken wieder. Fries ist vor allem von der Nähe der Texte zur Alltagserfahrung der Leserschaft fasziniert.
Beispielhaft für das unbefangene Auftreten weiblicher Autoren in einer alten männlichen Domäne mag der Beitrag Neuanfang der 48jährigen Hochschullehrerin Silvia Molina stehen. In ihrer Geschichte geht es um den Selbstfindungsprozeß einer Frau, die an Krebs leidet. Den Tod vor Augen, will sie sich nicht dem fatalen Siechen hingeben und sich schon gar nicht mehr den Bequemlichkeiten ihres Ehemannes unterwerfen. Am Ende löst sie sich vollends von ihm.
Um eine Findung ganz anderer Art geht es in der Geschichte Im Rückspiegel von Juan Villoro. Hier ist es der Jüngling Felipe, der vor lauter Komplexen seine Ausgewählte nicht bekommen kann und zum allem Überfluß noch mitansehen muß, wie andere Kerle sich an das Mädchen Roxanne heranmachen.
Die Autorinnen halten sich in ihren Beiträgen hart an gesellschaftliche Realitäten und haben wenig oder gar nichts mit den großen Mythen und Kulten des alten Azteken-Reiches im Sinn, die im heutigen Mexiko noch durchaus ihre Bedeutung haben. Fritz Rudolf Fries sieht das so: In der kommerzialisierten Gesellschaft sei nur eine Dramatik der kleinsten Schritte erlaubt. Von solchen erzählen die Texte. Lobsang Samten
Die horen, Band 164, Prosa aus Mexiko, Red. Peter K. Kirchof, Johann P. Tammen.
224 Seiten, 15 Mark.
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