piwik no script img

INTERVIEWSozialdemokraten sollen nicht „Dorftrottel“ spielen

■ Der niedersächsische Minister für Bundesangelegenheiten, Jürgen Trittin, zur Gesetzesnovelle für Asylverfahren

taz: An den rot-grün regierten Bundesländern ist nach den Worten von Bundesinnenminister Seiters die Beschleunigung der Asylverfahren vorerst gescheitert. Können sich da Joschka Fischer und Jürgen Trittin auf die Schulter klopfen?

Jürgen Trittin: Wenn das wahr wäre, würden wir uns sicher auf die Schultern klopfen — allerdings nicht, weil wir gegen zügigere Asylverfahren sind. Die Novelle des Asylverfahrensgesetzes, die der Bundesinnenminister auf Grundlage der Absprachen mit der SPD vorgelegt hat, dient ja in Wirklichkeit nicht der Beschleunigung der Verfahren, sondern soll vor allem Flüchtlinge abschrecken.

Diese Novellierung würde, so Seiters, von den rot-grün regierten Ländern verhindert.

Die Behauptung ist nur leider nicht wahr. Es gibt meines Wissens aus keinem einzigen Bundesland eine positive Stellungnahme zu diesem Gesetzentwurf. Alle Bundesländern haben massive Einwände. So stößt sogar in Bayern und Baden-Württemberg auf erhebliche Vorbehalte, daß der Bund sich weiterhin vor der Verantwortung für die Asylverfahren drücken will.

Mit der Novelle will sich der Bund künftig alle Entscheidungsrechte im Asylverfahren sichern, den Ländern allerdings noch mehr Pflichten als bisher aufdrücken. Anders als wir haben Bayern und Baden-Württemberg auch erklärt, sie seien nicht in der Lage, dem Bund zusätzliche Beamte als Entscheider für Asylverfahren zur Verfügung zu stellen.

Dieser angebliche Mangel an Personal erklärt doch nicht deren Widerstand gegen das Gesetz.

In Bayern und Baden-Württemberg ist natürlich ein gewisses Maß an Fundamentalismus unverkennbar. Dort liebäugelt man mit der Strategie: Es muß erst richtig schrecklich werden, damit wir mit unseren Vorstellungen zum Zuge kommen. Dort geht es um die Änderung des Grundgesetz-Artikels 16.

Wohin zielt die Kritik der übrigen Bundesländer an dem Entwurf?

Da geht es etwa um die Unterbringungs- und Verteilungsregelungen, die im Entwurf vorgesehen sind. Niedersachsen wehrt sich strikt dagegen, daß hier den Ländern die Pflicht auferlegt wird, Unterbringungskapazitäten mit einer Mindestgröße vorzuweisen, in denen die Flüchtlinge einen bestimmten Zeitraum bleiben müssen.

Stichwort also Sammellager mit mindestens 500 Plätzen.

Das haben wir abgelehnt. Darüber hinaus lehnt eine gemeinsame Stellungnahme aus dem niedersächsischen Innenministerium und aus meinem Hause auch die im Gesetz vorgesehene zwangsläufige Abschiebehaft als „nicht rechtsstaatlich“ ab. Mit der Dauer der Asylverfahren haben diese von Niedersachsen kritisierten Regelungen allerdings herzlich wenig zu tun. Herrn Seiters geht's hier wiederum um das altbekannte Schwarze-Peter-Spiel. Es fällt doch in die Verantwortung des Bundesinnenministers, daß der Bund im November 236.000 Asylanträge nicht bearbeitet hat, daß es immer noch Monate dauert, bis ein niedersächsisches Verwaltungsgericht vom Zirndorfer Bundesamt auch nur eine Akte zugesandt bekommt. Solange es diese bürokratischen Probleme gibt, behaupte ich, daß es dem Bund nicht um eine Beschleunigung der Verfahren geht, sondern um Abschreckung von Flüchtlingen.

Seiters will also die nächste Runde im Propagandakrieg um die Asylverfahren einläuten?

Termingerecht zum 8. Januar, an dem das nächste Gespräch der Großparteien zum Thema Asyl stattfinden soll, will man vorab Stimmung machen. Dabei wird es in diesem Gespräch nur vordergründig um die Flüchtlingspolitik gehen. In Wahrheit wird an diesem Tag der Landtagswahlkampf in Baden-Württemberg eingeläutet. Erstaunt bin ich in diesem Zusammenhang nur immer wieder über die Politikfähigkeit der Sozialdemokraten, die immer wie die Dorftrottel zu solchen Veranstaltungen hinlaufen, um anschließend nach ein paar Ohrfeigen mit roten Ohren wieder 'rauszugehen. Verabredungen in solchen konspirativen Sitzungen taugen doch nichts. Die SPD sollte den in der Verfassung vorgesehenen Weg gehen und in Bundestag und Bundesrat endlich die Vorschläge zur Änderung des Asylrechts zur Debatte stellen.

Was könnte denn an dem Gesetzentwurf aus dem Hause Seiters nun überhaupt noch Bestand haben?

Diesen Entwurf kann man, so wie er ist, in den Reißwolf schmeißen, schon weil er minimale Regeln des juristischen Handwerks nicht beachtet. Eine völlig andere Novelle des Asylverfahrensgesetzes könnte beispielsweise aussichtslose Asylanträge vermeiden helfen. Man hätte zum Beispiel die Kroaten und Serben, auf deren Anträge der Anstieg der Asylverfahren im vergangenen Jahr zurückgeht, gar nicht in die Asylverfahren zwingen dürfen, etwa durch leichtere Abschiebestopps oder durch Aufnahme dieser Bürgerkriegsopfer nach dem Gesetz über Kontingentflüchtlinge. Vereinfachen könnte man das Asylverfahren auch durch den Abbau der Doppelzuständigkeit der Ausländerbehörden und des Zirndorfer Bundesamtes. Aber selbst dies hat der Entwurf des Bundesinnenministers nicht geleistet. Interview: Jürgen Voges

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen