: Mutation zur Tradition?
■ Der EHC Dynamo will seinen belasteten Namen loswerden und vom sportlich armen Rekordmeister Berliner Schlittschuhclub adoptiert werden
Hohenschönhausen. Drei Wochen lang mußten die Fans des EHC Dynamo hungern, bis ihre Mannen wieder zum Punkterwerb aufs Eis schlidderten. Der 7. Februar galt dabei als magischer Stichtag. Jedes Spiel ein Endspiel, heißt es nunmehr. Erst mit der jetzt noch anstehenden dritten Runde der Zweiten Liga beginnt die eigentliche heiße Phase. Jeder in der Vergangenheit errungene Punkt, jedes erzielte Tor zählt nicht mehr. Wer nach den jeweils 14 Begegnungen an der Tabellenspitze steht, darf ins Oberhaus aufsteigen; der Rangzweite muß sich noch mit dem Vorletzten der Eliteklasse um den letzten freien Platz an der Sonne balgen: Eigentlich eine ideale Chance auf Rehabilitation für die Dynamos, die mit ihrem siebten Platz in der zweiten Runde doch sehr enttäuschten.
Aber der Sport ist in jüngster Vergangenheit bei den Dynamos etwas in den Hintergrund getreten. »Dynamo oder nicht Dynamo — das ist hier die Frage«, hamletet es in der Steffenstraße. Der Grund: Spätestens seit den Stasi-Enthüllungen beim Fußball-Bundesligisten Dynamo Dresden gilt der Vorname Dynamo als Synonym für Mitarbeit für den »VEB Horch+Greif«. Nun gestand zu allem Überfluß der Eishockey-Stürmer Stefan Steinbock (derzeit EV Landshut), in den achtziger Jahren als Angehöriger des SC Dynamo Berlin für die Staatssicherheit gespitzelt zu haben.
Seitdem laufen die EHC-Berliner bei Auswärtsspielen Spießruten. Selbst ein gänzlich unverdächtiger Spieler wie der kanadische Neuzugang Marc Jooris wird von auswärtigen Fans als »Stasi-Typ« beschimpft. Andere Akteure wiederum klagen über abgerissene Vereinsembleme an ihren Autos. Auch an der Spree haben die Puckjäger aus dem Ostberliner Sportforum nichts zu lachen, obwohl sie vom Deutschen Turn- und Sportbund der DDR als Organisation fast gänzlich liquidiert worden waren und sicherlich nicht als Hätschelkinder der medaillensüchtigen SED-Sportabteilung gelten konnten.
Nichtsdestotrotz: Wenn Dynamo-Manager Lorenz Funk bei potentiellen Sponsoren seinen Arbeitgeber vorstellt, fällt vielerorts der Vorhang. Dynamo=Stasi=Negativimage, lautet mancherorts die simple Rechnung der Werbewirtschaft. Offensichtlich können die Ostberliner nicht anders, als ihre Identität zu ändern: Sie wollen mit dem traditionsreichen Berliner Schlittschuh-Club (BSchC) fusionieren, um dessen seriösen Namen zu adoptieren. Der BSchC, noch immer deutscher Rekordmeister(!), war bekanntlich 1982 in Konkurs gegangen und von der Ersten Bundesliga in die viertklassige Regionalliga zurückgestuft worden. Seinen angestammten Platz unter den besten Puckflitzern Deutschlands nahm Jahre später der BSC Preussen ein.
Aber wie werden die Fans in der Hohenschönhausener »Welldachhütte«, von denen viele ihre »Familie EHC Dynamo« als letzten Fels in der Wessi-Brandung betrachten, den geplanten »Vatermord« aufnehmen? Auch diese Frage stellte sich vor dem Heimspiel gegen den SV Bayreuth, dem Debüt in Runde 3. Doch die rotgekleideten Eis-Heiligen ließen ihren 3.500 Anhängern keine Zeit zu schwermütigen Gedankengängen. 5:1 wurden die Wagnerstädter abgefertigt. Eine grundsolide Leistung des EHC, dem nur der exquisite Gäste-Torwart Dietmar Habnitt (vormals BSC Preussen) eine höhere Trefferausbeute verwehrte.
»Ich bin mit meiner Mannschaft zufrieden«, meinte dann auch Dynamo-Trainer Hartmut Nickel: »Sie hat die Querelen der letzten Tage gut weggesteckt.« Fazit: ein rundum gelungener Start des EHC/BSchC Dynamo Ost-Berlin in die heiße Phase der Zweiten Liga. Jürgen Schulz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen