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Spieltrieb rules o.k.

■ The Benjamins — die etwas andere Berliner Band

Auf nichts ist mehr Verlaß, nicht mal auf Berlin. Jüngstes Beispiel: Die Benjamins. Die Band bedient keines der gängigen Klischees, die sich in den letzten zehn bis zwanzig Jahren um die damals noch beschauliche Enklave herum angelagert haben. Sie macht keinen Rock mit Schnauze, keinen Punk mit Attitüde, keinen hausgemachten US-Grunge, keinen Schlager-Fake, keinen Frontstadt-Blues, keine Schrillbrillen-Exzentrik, keine Kellerkinderromantik, keine Liedermacherwehmut, keine Heiner-Müller-meets-Einstürzende- Neubauten-Avantgarde und schon gar keinen Techno. Sie wollen keine Könige von Deutschland sein, und nicht einmal das Leben in Kreuzberg, um Kreuzberg und um Kreuzberg herum scheint ihnen einen Song wert. Die Benjamins sind eine Berliner Band, die das meiste von dem sind, was die anderen nicht sind.

Andersrum ist es schon schwieriger mit der Beschreibung. Sie sind ein Trio, aber das sind viele andere auch. Im bürgerlichen Leben heißen sie Bulli Reinfeld, Uwe Knappe und Benjamin Rinnert, na und? 1988 haben sie mal den Berliner Senats- Rockwettbewerb gewonnen, aber was heißt das schon? Nicht falsch ist zumindest mal der Titel ihrer gerade erschienenen ersten LP: Chameleon Show. Alle paar Takte wird die Klangfarbe gewechselt. Der Opener The Engine lockt mit verzerrten Klängen und verwischten Stimmen auf eine falsche Fährte, dann setzt eine akustische Gitarre ein, die konsequent von Stück zu Stück variiert, mal Funkrhythmen andeutet, mal im Schrammelschema bleibt, komplizierte Akkorde auftürmt, sich aber auch fürs Handgezupfte nicht zu schade ist. Überhaupt dominiert die ganzen fünfzehn Stücke über die gute alte Schule der Songmanufaktur. »Man muß mit dem arbeiten, was man selber kann«, meint Schlagzeuger Benjamin Rinnert, und auch wenn er betont, keine Angst vor Technik zu haben, findet er es »wichtig, daß wir auf der ganzen Platte keinen Synthesizer benutzt haben«. Besonders stolz scheint er auf die Streicher zu sein. Sind ja auch prächtig.

Ein paar Vorbilder schimmern mit der Zeit doch durch, allerdings keine nationalen oder gar regionalen, sondern wahlverwandte Engländer oder Amerikaner - Bands der unzeitgemäßen Art, die längst nicht mehr auftauchen in den alljährlich veranstalteten Polls. Stücke wie Chameleon Show, Nothing Can Harm Me Know oder The Song is You erinnern an die Songwriter-Exzentrik von Prefab Sprout, Cheating an die Arrangement-Manie von Steely Dan. Beiden verdanken die Benjamins auf ihre etwas komplizierte Art manches, auch wenn sie mit den rund 30.000 Mark Produktionskosten nicht jeden Einfall perfekt umsetzen konnten — oder wollten. Daß alle drei eine musikalische Ausbildung hinter sich haben, ist ebenso klar herauszuhören wie das Bemühen, das nicht unbedingt raushängen zu lassen. Offenbar sind die Benjamins eine Art Art-School-Band, die das Akademische hinter sich lassen will und sich doch nicht zur Eindeutigkeit gängiger Underground-Handelsware durchringen kann.

Solche Leute sind ehrgeizig und mißtrauisch, solche Leute haben Angst vor falschen Freunden. Den Vorwurf, die Band sei scharf auf Presse, am Ende gar »promotiongeil«, will Benjamin Rinnert ausgeräumt wissen, bevor ich überhaupt auf die Idee gekommen bin, ihn zu erheben. Schuld sind offenbar die paar Berichte, die anläßlich der vorangegangenen Record-Release-Show in diversen Berliner Zeitschriften und Zeitungen erschienen sind. »Enthusiasmus wird zuwenig honoriert«, schiebt Rinnert nach, und: »Wir werden auf jeden Fall weitermachen, egal, ob mit Erfolg oder ohne.« Man spürt den Wunsch, alles richtig zu machen und zugleich die Angst, auf irgend etwas festgenagelt zu werden.

Dabei ist wahrscheinlich gerade diese Chamäleonhaftigkeit, gepaart mit einer hypersensiblen Flucht vor der ganz banalen Kumpelhaftigkeit des Lebens, der Grund dafür, daß die Band in der eigenen Stadt den ganz großen Durchbruch noch nicht geschafft hat. Auch auf überregionaler Ebene steht die Entdeckung durch die zornigen jungen Männer des Rock-Journalismus bislang aus. Im Vergleich zu anderen Berliner Züchtungen aus dem Senatsrockjahrgang 88 wie Poems for Layla oder Plan B schaffen es die Benjamins einfach nicht zum plakativen Statement. Der Spieltrieb regiert und verpuzzlet sich in lauter nette kleine Teilchen, die sich — zumindest auf Platte – lieber selbst bespiegeln, als dem potentiellen Fan die Sache allzu einfach zu machen. Pop als Laubsägearbeit, der Song als Nut- und Federbrett — so was hängt man sich vielleicht ins Zimmer, geht aber nicht unbedingt damit auf die Straße.

Um so überraschender, wie kompakt die Band auf der Bühne wirkt. Als wären sie endlich in ihrem Element. »Touren ohne Ende« vermerkt denn auch lakonisch das (im übrigen wie handgebatikt wirkende) Infoheftchen für den Zeitraum der letzten Jahre. Live läßt sich die ganz große Finesse ohnehin nicht umsetzen, und das ist auch gut so. Ich habe die Benjamins im letzten Jahr auf der Kölner PopKomm gesehen und schmeichle ihnen nicht zuviel, wenn ich sage, daß sie einer der wenigen Lichtblicke im eher öden Messe- und Showcase- Alltag waren. In dem kleinen Laden, der etwas abseits vom magischen Dreieck der Szene-Hang-Outs Luxor, Blue Shell und Rose Club lag, herrschte beste Party-Laune, und wenn ich mich recht erinnere, habe ich sogar ein bißchen getanzt. Thomas Groß

Die Benjamins spielen heute (zusammen mit den Cosmic Peacefrogs) um 22.30 Uhr im Knaack Klub, Prenzlauer Berg, Greifswalder Straße 224. Weitere Termine: 7.3. KKH Treptow, 14.3. Franz Klub. Alle Termine mit »Special Guests«.

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