: Münchner Kleinkrieg um Asylsuchende
Auf dem Platz des Oktoberfestes steht ein symbolträchtiges Containerlager/ Die Stadtverwaltung hat angeblich Mühe, jede Woche 150 AsylbewerberInnen unterzubringen/ Bürgermeister Kronawitter plädiert für die Änderung des Grundgesetzes ■ Aus München Holger Gertz
Wo alljährlich beim Münchner Oktoberfest das Bier in Strömen fließt, stehen jetzt Container für Asylsuchende. Nicht an der Peripherie haben die Politiker das Lager errichten lassen, sondern mitten in der Stadt auf der Theresienwiese, landläufig auch „Wies'n“ genannt.
Container steht dort neben Container, 40 Stück insgesamt, jeder ausgestattet mit dem Notwendigsten: Doppelstockbetten, Schrank, Tisch, Stühle. Vier Menschen hausen in einer Box. Pro Person 3,5 Quadratmeter Lebensraum, kunststoffbeschichtet. Drinnen sitzen diejenigen, die vor Hunger, Not und Krieg nach Deutschland geflüchtet sind, weil sie sich Asyl erhoffen.
Unliebsame Eindringlinge werden von Wachpersonal, Hunden und einem Lagerzaun ferngehalten. Schutz vor gaffenden und schimpfenden Passanten gibt es nicht. „Für die Flüchtlinge ist es entwürdigend“, sagt eine Betreuerin. „Sie kommen sich hier vor wie die Tiere im Zoo.“ Jenseits des Zauns stellen zwei Frauen ihre Einkaufstaschen ab und recken die Hälse. Die Idee, eine Containerstadt ausgerechnet auf Münchens Renommiergelände zu placieren, stammt vom Kreisverwaltungsreferenten Hans-Peter Uhl. Weil die Stadt auf Geheiß der Regierung des Freistaates Bayern derzeit 150 Asylbewerber pro Woche unterbringen muß, hatte Oberbürgermeister Georg Kronawitter (SPD) den CSU- Mann Uhl zum Katastrophenmanager ernannt und ihn mit der Beschaffung von Wohnraum beauftragt. Der ist laut Kronawitter in München ganz besonders knapp: „Wir haben 10.000 Obdachlose und 120.000 Menschen, die an der Armutsgrenze leben. Wir wissen tatsächlich nicht, wo wir jetzt noch 150 Asylbewerber pro Woche menschenwürdig unterbringen sollen.“
Den Verdacht, mit der Wies'n nur ein publicityträchtiges Symbol für die Notsituation der Stadt gesucht zu haben, weisen alle Beteiligten weit von sich.
Trotz aller Dementis — wer die Münchner Politiker kennt und ihre Haltung zum Grundrecht auf Asyl, der wird den Verdacht nicht los, daß eine schwierige Situation erst durch beständiges öffentliches Lamentieren zur „Katastrophe“ gemacht wird. Christian Schmierer, Abteilungsleiter der Caritas, die sich um die Ausländer in den Sammellagern kümmert, hält die „vielfach beschworene Asylantenflut“ für „reichlich übertrieben“. Ende letzten Jahres waren nur rund 6.000 AsylbewerberInnen in München registriert. „Notleidende Menschen werden benutzt, um nach draußen den Eindruck zu vermitteln, daß das Boot voll ist“, vermutet Rudi Hammer, Mitbegründer einer privaten Initiative, die sich seit zwei Jahren um die Integration von Flüchtlingen kümmert.
In der Tat: Im letzten Jahr hatte sich die Stadt München geweigert, weitere vom Land zugewiesene Asylbewerber aufzunehmen. Es kam zum Prozeß vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof. Die Stadt verlor und muß nun zusätzlich mehr als 1.000 Flüchtlinge unterbringen. Obwohl das Urteil von vornherein abzusehen war, stellte sich die Stadt nicht auf den verstärkten Zustrom ein. Der zuständige Sozialreferent Hans Stützle (CSU) rechtfertigt sich jetzt so: „Wir haben hoch gepokert und uns bewußt nicht auf die überhöhte Asylantenzuweisung vorbereitet, um unsere Prozeßchancen nicht zu verschlechtern.“
Eine weitere Ursache für das Unterbringungsdilemma kennen die Betreuer-Initiativen: „München hatte der CSU-Landesregierung mehrere Standorte für Lager vorgeschlagen“, sagt Rudi Hammer. Aus Angst vor Bürgerprotesten seien die Christlich-Sozialen darauf aber nicht eingegangen. Georg Kronawitter fühlt sich aber nicht nur von der Landesregierung alleingelassen. „Völlig enttäuscht“ ist er auch von der Bundeswehr, die trotz mehrerer Bittbriefe noch immer keine Kasernen für die Asylsuchenden bereitstellt. Diese Verweigerungshaltung sei bezeichnend: „Alle fordern, daß wir möglichst viele Asylbewerber hierbehalten“, so Kronawitter, „aber wenn es dann darauf ankommt, sagen wieder alle: ,Nicht bei mir‘“.
SPD-Oberbürgermeister Kronawitter sucht sein Heil derweil in der Änderung des Grundgesetzartikels zum Asylrecht. „Nach den Wahlen in Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein am 5.April wird eine Lösung gefunden werden“, prophezeit er.
Weiterhin plädiert Kronawitter für die Begrenzung der Asylzahlen durch Quoten und eine rasche Trennung zwischen Verfolgten und Wirtschaftsflüchtlingen. „Höchstens zehn Prozent“, glaubt der altgediente OB, seien wirklich verfolgt. Nur die will er in Zukunft aufnehmen.
Auf Widerspruch stößt des Bürgermeisters simple Sicht der Dinge bei Rudi Hammer. Die Flüchtlinge aus dem jugoslawischen Bürgerkrieg beispielsweise hätten zwar keinen formellen Anspruch auf Asyl, doch nach der Genfer Flüchtlingskonvention dürften sie trotzdem nicht zurückgeschickt werden. „Nicht nur zehn Prozent sind berechtigt, sondern mindestens 40 oder 50“, meint Hammer. Seine Folgerung: „Über kurz oder lang müssen wir uns darauf einstellen, unseren Reichtum mit anderen zu teilen.“ Von der Grundgesetzänderung ließen sich die Notleidenden jedenfalls nicht fernhalten.
Egal wie der Streit um die Grundgesetzänderung und das Gerangel zwischen SPD und CSU in München ausgehen: Anfang April werden die AsylbewerberInnen mitsamt den Containern von der Theresienwiese verschwunden sein — eine Baumaschinenmesse zieht auf den Platz, der Kanzler hat sein Kommen angekündigt. Und im Herbst ist schließlich Oktoberfest — dann soll wieder zünftig gefeiert werden auf der Wies'n.
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