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Kostbares Tageslicht

■ Glühlampen und Leuchtstoffröhren reizen unsere Augen, machen müde und schlapp. Mit der Entfernung des Arbeitsplatzes vom Fenster nehmen die Beschwerden sogar noch zu. Doch die Beleuchtungsindustrie behauptet ...

Glühlampen und Leuchtstoffröhren reizen unsere Augen, machen müde und schlapp. Mit der Entfernung des Arbeitsplatzes vom Fenster nehmen die Beschwerden sogar noch zu. Doch die Beleuchtungsindustrie behauptet das Gegenteil. VON DIRK WILDT

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ie Beleuchtung meines Arbeitsplatzes ist mit Sicherheit ein Fall für Arbeitsmediziner. Mit dem Rücken zum Fenster, das kostbare Tageslicht verdeckend, quälen sich meine Augen unter dem spärlichen Deckenlicht. Wie mir ergeht es den meisten Kollegen. Klar, in unserem Haus beschweren sich fast alle über schlechte Lichtverhältnisse. Aber auf meiner Seite wähne ich nicht nur Kollegen, sondern auch die Deutschen Inlands Normierer (DIN). Die Vereinheitlicher der Gesellschaft machen sich nicht nur Gedanken über Formate von Briefumschlägen, sondern auch über die Beleuchtung von Arbeitsplätzen, die sie in der „Beleuchtungsnorm DIN 5035“ zu Papier gebracht haben.

Elektrisches Licht soll „gleiche visuelle Bedingungen“ schaffen, vorzeitiger Ermüdung entgegenwirken und Wohlbefinden fördern — alles in allem also das Tageslicht ersetzen. Aber ohnehin scheint der von Beamten festgelegte Beleuchtungsstandard sinnlos. Selbst Firmen, die für ihre Mitarbeiter das Beste wollen und sich deshalb nach der Norm richten, können am Ende nur sagen: „Wir haben es gutgemeint.“ Bei einem Unternehmen, daß in 30 Städten der Bundesrepublik etwa 1.000 Räume mit Glühlampen und Leuchtstoffröhren nach der DIN-Vorgabe ausstattete, war die überwiegende Zahl der Schreibtischplätze zu hell oder zu dunkel. In ihrer Studie „zum Stand der Beleuchtungstechnik in deutschen Büros“ stellt die private Berliner Forschungsgesellschaft „Ergonomic“ aber noch etwas Wesentlicheres fest: Mehr als die Hälfte aller Büroangestellten fühlt sich durch die künstliche Beleuchtung gesundheitlich beeinträchtigt.

Tischbeleuchtungen nerven die Augen

Das Befragen von 3.000 Angestellten hat ergeben, daß unter Symptomen wie Sehbeschwerden 42 Prozent, unter Augenbrennen 40 Prozent, unter Konzentrationsschwäche, rascher Ermüdung, Reizbarkeit und Kopfschmerzen mehr als jeder Dritte leidet. Diejenigen, die an einer Schreibmaschine sitzen, fühlen sich in ihrer Befindlichkeit sogar noch stärker gestört als ihre Nachbarn am Computer. Am wenigsten fühlen sich Kollegen von den herrschenden Lichtverhältnissen beeinträchtigt, wenn sie weder Schreibmaschine noch Monitor benutzen.

Beim Befragen hat sich auch herausgestellt, daß die Beschwerden zunehmen, wenn nur Tischbeleuchtungen vorhanden sind. Kommt das Licht von der Decke, scheinen die Leiden geringer. Gibt es sowohl Decken- als auch Tischbeleuchtung, scheint das Übel am geringsten.

Untersuchungsleiter Ahmet Cakir hat darüber hinaus festgestellt, daß die Entfernung des Arbeitsplatzes zum Fenster den hauptsächlichen Einflußfaktor bildet. Mit zunehmender Entfernung werde die Temperatur kühler, die Luft trockener und die künstliche Beleuchtung störender empfunden und häufiger über zu wenig Tageslicht geklagt. Je weiter die Schreibtischarbeiter vom Glas zur Außenwelt entfernt sind, desto größer auch die Beschwerden über Ermüdung und andere Symptome.

Cakir zieht den Schluß, daß die künstliche Beleuchtung von Büroräumen einige der wesentlichen Forderungen der DIN 5035 nicht erfüllt. Zum einen schaffe das Licht aus der Steckdose es nicht — wie angestrebt—, gleiche visuelle Bedingungen an allen Stellen der Räume zu realisieren, zum anderen wirke es auch nicht vorzeitiger Ermüdung entgegen, sondern fördere sie nach Meinung der Betroffenen. „Die künstliche Beleuchtung ist daher nicht geeignet, als Ersatz für Tageslicht zu dienen, sie ist lediglich eine Zweckeinrichtung mit der Aufgabe, den Mangel an zeitweilig nicht ausreichend verfügbarem Tageslicht auszugleichen“, faßt der Lichtforscher sein Untersuchungsergebnis zusammen.

Beleuchtungsindustrie will Tageslicht überlisten

Mit seiner These, künstlich gewonnenes Licht sei ungeeignet, Tageslicht zu ersetzen, legt sich Cakir mit einer monopolisierten milliardenschweren Neon- und Glühlampen- Industrie an. Die Beleuchtungsindustrie — bundesdeutsche Unternehmen setzen jährlich 5,7 Milliarden Mark um — behauptet immer wieder, Licht aus der Steckdose sei genausogut wie das Licht der Sonne. Ein Unternehmen warb vor kurzem mit Lampen, „die das Tageslicht ersetzen können“. Sie seien gar überlegen, weil die Farbtemperatur des Tageslichtes schwanke. Ein anderer Lampenhersteller behauptet, daß man mit seiner Halogen-Birne „Tageszeiten überlisten kann“.

Der Streit darum, was brennendes Gas, glühende Lampenfäden oder flimmernde Edelgase leisten können, hat eine lange Geschichte. Ohne künstliche Beleuchtung wäre die industrielle Revolution undenkbar gewesen. Die Licht-Expertin Martina Batzel schreibt in dem Buch Zwielicht, das Klaus Stanjek herausgegeben hat, daß „die Nacht zum industriellen Arbeitstag aufgehellt wurde“, Maschinen brauchten nicht mehr ungenutzt — und damit teuer — herumzustehen, nur weil die Sonne untergegangen war. Das Ziel der Lichttechnik sei der neuzeitlichen Auffassung verpflichtet gewesen, die natürlichen Tageslicht-Verhältnisse in geschlossene Räume zu kopieren. Doch die Lichttechnik hielt sich gar nicht erst daran, die Qualität von Tageslicht nachzuahmen, so Batzel. Lichtsorten seien nicht danach beurteilt wurden, ob sie das Tageslicht-Spektrum, das nun einmal aus einer Vielzahl von zum Teil für das Auge nicht wahrnehmbaren Farben zusammengesetzt ist, reproduzieren. Es sei allein darum gegangen, mit möglichst wenig Energie möglichst viel Helligkeit zu erzeugen. Mit der Erfindung der Neonröhre gelang der Durchbruch.

„Licht von 12 Uhr Mittag bei bedecktem Himmel“

Individuelle Tischbeleuchtungen verschwanden, Räume werden oder wurden seitdem gleichmäßig beleuchtet. Von der Decke schien und scheint ein Licht „von 12 Uhr Mittag bei bedecktem Himmel“, legt Batzel dar. Das Tageslicht-Modell vermochte gar Fenster überflüssig zu machen. Im Handbuch der gesamten Arbeitsmedizin von 1961 begrüßten Wissenschaftler den Fortschritt der Technik euphorisch: „Erst die Einführung der Leuchtstofflampen hat die Arbeit in fensterlosen und genau klimatisierten Räumen und von der Tageszeit unabhängige kontinuierliche Maschinenarbeit ermöglicht.“

Stanjek argumentiert gegen Arbeitsmediziner und Werbetexter. Bis heute sei ein Ziel nicht erreicht: eine Lampe zu schaffen, die Licht erzeugen kann, das dem Sonnenlicht entspricht. „Lichtbiologisch“ habe die Glühlampe wenigstens den Vorteil, abgesehen vom UV-Licht alle Spektralanteile des Sonnenlichts abzustrahlen. Nachteilig sei, daß der Rotanteil überwiege und das Licht deshalb dem Abendlicht gleiche. Und die Glühbirne setze 95 Prozent der Energie statt in Licht in Wärme um.

Eine hohe Lichtausbeute böten dagegen Gasentladungslampen wie beispielsweise Leuchtstoff-, Metalldampf- und Natriumdampflampen. Dem stünden aber diverse Nachteile entgegen: diskontinuierliche, blitzartige Strahlung, ein mangelhaftes Farbspektrum, elektromagnetische Störstrahlen und hochgiftige Inhaltsstoffe. Eine australische und zwei US-amerikanische Untersuchungen kommen zu dem Schluß, daß das Licht aus der Röhre Krebs fördert.

Machen wir es also wie die Chefs von Osram, dem weltweit drittgrößten Lampenproduzenten. In dem Münchner Verwaltungsgebäude sollen die Abteilungsleiter am Fenster sitzen, daneben — noch im Tageslicht — die Unterabteilungsleiter, im inneren Bereich im Kunstlicht die übrigen Mitarbeiter, berichtet Sonja Buchholz in der 'Deutschen Bauzeitung‘. Wem geht da kein Licht auf?

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