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Semikolons in Bildmitte

Paul Schraders Midlife-Kommentar „Light Sleeper“ (Wettbewerb)  ■ von Ulf Erdmann Ziegler

Sie sind um die vierzig, ziemlich unruhig und leicht bedrückt. Sie wollen die Branche wechseln, aber haben nichts zurückgelegt. Sie sind gewöhnt an Seidenhemden und geschmackvolles Dekor. Sie geben sich Rechenschaft, soweit sie können: Feiertage sind schlechte Tage, schreibt John in sein Tagebuch (gelbliches Licht am Schreibtisch, die Kamera fährt in einem Bogen zurück und mißt die Tiefe des Raumes aus); man geht die Straße herunter und wird verhaftet, bad luck, für nichts.

Luck und bad luck bilden das binäre System, daß das Leben John Le Tours bestimmt. Mehr als zehn Jahre unterwegs in der Stadt New York als Lieferant besten Stoffs für die besseren Kreise. Keine Steuer bezahlt und keine Lebensversicherung abgeführt. Jetzt ist Crack dazwischen gekommen, es hat Morde an Bürgerskindern im Central Park gegeben, ein Bulle vom Kommisariat hat sich an seine Fersen geheftet. Da sind die Dunkelheit um die Augen, die Schatten der Schlaflosigkeit; erst als akutes Zeichen, dann bleibend, als Mahnung des Alters.

Halbwelt und Witz, ein Vorteil auf Kosten der Ehrlichkeit, und Ehrlichkeit auf Kosten des Frohsinns; ein Leben auf Brettern, die die Welt bedeuten, aber eben nur bedeuten: Holzwege, die mir vertraut vorkommen. Der Film nimmt mich mit. Erstes Bild: Kopfsteinpflaster, Fahrt mit geneigter Kamera. Zweites Bild: John auf dem Rücksitz der Limousine. Der Film holt mich dort ab, wo ich bin (im Kinositz) und läßt mich nicht mehr fallen, bis Marianne aus dem Fenster fällt.

Sie war die große Liebe Johns, als er selbst noch auf Drogen war. Sie treffen sich durch Zufall, er nimmt sie in der Limousine mit. Sie: Bist du clean? Er: Ja, schon seit zwei Jahren. Sie: Aber du dealst. Er leugnet. Da piept der Wecker in der Jacke, Mahnung an ein Geschäft, in dem Pünktlichkeit Pflicht ist. Der Film lebt von seiner ungeheuer feinen Justierung an das Fortschreiten der Zeit: der, die beim Schauen verstreicht. Aber auch jener Zeit der Gegenwart, die ein Riß ist zwischen Amnesie und mangelnder Voraussicht.

Dieses unglaubliche Lächeln des Schauspielers Willem Dafoe, ein scharf geschnittenes Lächeln auf der Schwelle zum bübischen Grinsen: Der Film verbündet sich mit diesem Lächeln, seinem Auftauchen und seinem Verschwinden. Es ist der Rhythmus des Reggae, den der Regisseur Paul Schrader damit ins Spiel bringt: ein Gegen-Rhythmus von ungeheurer Stabilität. Luck oder bad luck. Clean oder nicht clean. Schade, mit der Synchronisation wird viel davon verloren sein.

Daß man vom Zugucken scharf werden kann, ist hinlänglich bekannt; daß man beim Sex sehr gerührt sein kann, ist für manche Leute eine berückende Erfahrung. Neu war mir, daß man beim Zugucken beim Sex im Kino gerührt ist; ich meine, richtig gerührt. John und Marianne, wie sie einmal im Bett nachholen, was sie bei ihren vielen Ups und Downs nicht haben erfahren können: die Verschränkung der Gegenwart. Man sieht sie von oben, knieend; wie Semikolons in Bildmitte.

Schrader war nicht zufrieden mit einer schrecklichen Geschichte, dem Rückfall Mariannes in die Drogenszene (John ist der Lieferant) und ihrem Ende. Er greift, für einen extensiven Schluß, zurück auf die Rächergeschichten; wer will es ihm, dem Drehbuchautor von Taxi Driver, übelnehmen. Und doch vertreibt er mit der Beschleunigung die Erinnerung an die (besonders durch die eingestreuten Countryrock-Songs) ironisch gefärbte Melancholie, die den Großteil des Films so stark macht. Die Kronzeugen der Justiz sind dann die strahlenden Helden der letzten Einstellung: John und seine mütterliche Partnerin Ann freuen sich darauf, gemeinsam nachzuholen, was sie als Geschäftspartner versäumt haben. Es gibt eine Zukunft, wenn die Zeit im Knast vorbei ist. Da soll noch mal jemand sagen, der säkuläre Staat verstünde nichts vom Sinn des Lebens.

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