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Metormorphosen eines Paragraphen

Bundestags-Anhörung zum Sexualstrafrecht/ ExpertInnen fordern fast einhellig die Abschaffung der Paragraphen 175 und 182/ Regierung plant als „Ersatz“ einen neuen Paragraphen 182  ■ Aus Bonn Tissy Bruns

Der diskriminierende Paragraph 175 soll gestrichen werden. Das ist die Meinung fast aller Sachverständigen, die der Bundesratsausschuß für Frauen und Jugend gestern anhörte. Damit würde endlich gleiches Recht für Schwule gelten, jedenfalls im Strafgesetzbuch. So weit, so gut. Aber die Anhörung zeigte auch, daß jede Reform des Sexualstrafrechts eine Angelegenheit mit ausgesprochen hohen Schwierigkeitsgraden bleibt.

Die Bundesratsanhörung ging auf einen Gesetzesvorschlag aus Hamburg zurück, der die ersatzlose Streichung der Paragraphen 175 und 182 vorsieht. Nach wie vor bedroht der Paragraph 175 sexuelle Beziehungen zwischen erwachsenen und minderjährigen Schwulen — ein Sonderstrafrecht, das für Heterosexuelle und Lesben nicht gilt. Der 182 sollte einstmals Mädchen unter 16 Jahren vor Verführung schützen und ihre Heiratschancen wahren, er gilt als antiquiert und wird kaum mehr angewandt. Was Hamburg ersatzlos streichen will, löst ein Referentenentwurf des Justizministeriums nach dem Ja- aber-Prinzip:

kein Sonderrecht mehr für Schwule, aber ein neugefaßter 182, der das allgemeine Schutzalter von 14 auf 16 Jahre anhebt. Unabhängig von Geschlecht und sexueller Orientierung wären Beziehungen zwischen unter 16jährigen und über 18jährigen strafbar.

Dieser wenig liberale Vorschlag aus dem Kinkel-Ministerium beschäftigte die Experten denn auch fast mehr als der urspüngliche Hamburger Gesetzentwurf. Und während die Meinungen zum 175 fast einhellig waren, gingen sie hier weit auseinander.

Für ein „rational begründetes Sexualstrafrecht“ plädierte Michael Baurmann, der der Kriminologischen Forschungsgruppe im Bundeskriminalamt angehört. Die Strafausweitung, die der neugefaßte 182 bedeuten würde, lehnte er als „anachronistisch“ ab.

Er befürchtet wie Manfred Bruns, Bundesanwalt und Sprecher des Schwulenverbands (SVD), daß erst die Strafandrohung zu Schäden führt und die an sich unproblematische und sogar wünschenswerte sexuelle Orientierungssuche stigmatisiert. Der Kinderarzt Hartmut Bosinski von der Berliner Humboldt-Universität stellte fest, daß in den neuen wie den alten Bundesländern die Hälfte aller Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 16 Jahren den ersten Geschlechtsverkehr erlebt haben.

Vor allem von Frauen in der Sachverständigenrunde wurde das Schutzbedürfnis von Jungen und Mädchen in die Diskussion gebracht. Die Berliner Soziologin Barbara Kavemann will strafrechtlichen Schutz für alles, was „gegen den Willen“ der Betroffenen geschieht. Die Entwicklungspsychologin Heidi Keller thematisierte ebenso wie Sibylle Tönnies die Differenz zwischen Mädchen und Jungen, Tönnies plädierte für sogar ein gesondertes Schutzbedürfnis für Jungen.

Das Schutzbedürfnis von Kindern und Jugendlichen dominierte am Ende die Diskussion zwischen ExpertInnen und LandesvertreterInnen. Die Erkenntnisse aus den letzten Jahren, der sexuelle Mißbrauch in der Familie, die Kinderpornographie und -prostitution, verdrängten den eigentlichen Anlaß der Anhörung.

„Vieles ist verwerflich“

Die Tendenz, daß der Referentenentwurf aus dem Justizministerium diesen Schutz nicht bieten wird, war allerdings klar. Das Sexualstrafrecht wird in anderen Bereichen überarbeitet werden müssen. Der Gewaltbegriff, die Definition von Abhängigkeit stehen zur Debatte, aber auch, daß das Strafrecht oft ein untaugliches Mittel zur Hilfe ist. Hartmut Bosinski: „Es gibt eine Fülle hochverwerflicher Handlungen, die nicht justitiabel sind.“

Thomas Möbius, der in Hamburg in einem Projekt für Stricher arbeitet, wünscht das Strafrecht ganz weit weg. Je mehr Strafandrohung, so seine Erfahrung, desto größer die Gefahr, daß die Betroffenen abtauchen und nicht mehr für Hilfe zugänglich sind.

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