Abschied von der Achterbahn

■ „Freistil“, Montag, 22.30 Uhr, West 3

Das soll's also gewesen sein. Als da zu Pete Townsends Pinball Wizzard-Intro zum letzten Mal der Abspann zu Thomas Schmitts Freistil lief, war es die scheppernde Elegie auf ein Fernsehmagazin, das zu den wenigen Lichtblicken gehörte, die die Mattscheiben-Tristesse regelmäßig zu erhellen vermochten.

Mit der letzten Ausgabe kredenzten Schmitt und sein Co-Autor Hubert Winkels noch einmal einen kreativen Bild- und Tonsalat, der sämtliche Qualitäten ihrer Magazin-Rezeptur deutlich werden ließ. Auf dem assoziativen Streifzug durch die Todesrituale der Moderne stand unvermittelt Plato neben Michael Jackson, wurden religiöse Gesänge zu christlichen Grabkammern von Brachialrock der Death-Metal Combo „Carcass“ abgelöst und trat Hegels Rede vom „Geist als Knochen“ in eine makabere Beziehung zu den Verkäufern postmoderner Sargobjekte. Die Art und Weise, wie hier mit Phänomenen der populären Alltagskultur so ernsthaft verfahren wurde wie mit gestandenen Denkern respektlos, erinnerte vordergründig — wie immer bei Freistil — natürlich an die saloppen „Umgangsformen“ des poststrukturalistischen Zeitgeistes, hatte mit jenem Designer-Schnickschnack aus der Videotrickkiste, mit dem andere Magazine zunehmend ihre konzeptionelle Dürftigkeit zu kaschieren suchen, jedoch wenig gemein.

Freistil war stets eine abenteuerliche Achterbahn- (bisweilen auch Geisterbahn-) Fahrt durch die Wirklichkeit. Ob man da als Zuschauer manchmal die Bodenhaftung verlor oder die Macher trotzig des galoppierenden Schwachsinns verdächtigen mochte, war letztlich zweitrangig. Denn durch den unbändigen Anarcho-Spaß, mit dem sich Schmitt & Co. an den wohlsortierten Schublädchen des Realen vergingen, vermochten sie wie keine andere Sendung die — nach regelmäßigen TV- Konsum — letzten verbliebenen grauen Zellen regelmäßig auf Trab zu bringen. Schon allein ein Paar wie Christian Brückner und Egon Hoegen für jede Ausgabe als Sprecher anzuheuern, darf in diesem Zusammenhang als kleiner Geniestreich betrachtet werden. Bekommt durch das brüchige Timbre des einen bereits der schlichteste Aussagesatz „Risse“, scheint das sonore Organ von „Mr. 7. Sinn“ selbst abstruseste Spekulationen in den Rang unumstößlicher Gesetzmäßigkeiten zu erheben.

Nach zehn Ausgaben Freistil verordnet sich Thomas Schmitt nun also eine Schaffenspause. Auch wenn es Ende des Jahres wahrscheinlich eine neue Produktion (Arbeitstitel Gnosis) von ihm zu bestaunen geben wird, mit den regelmäßigen Magazinsendungen soll es vorbei sein. So werden wir also fortan wieder vorwiegend von Vertretern des klassischen Stils bei ihren Verrenkungen im Ringen um die kulturellen Werte zuschauen dürfen und uns angesichts ihrer schwer erkämpften Punktsiege dann doch lieber gleich Karl Moik und den Seinen zuwenden. Reinhard Lüke