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Kein Bundestag aus der Retorte

■ Mehrheit von Bonnern und Berlinern plädieren für mehr Zeit beim Ausbau Berlins zur Hauptstadt/ Keine »Sondernummern« für den Bund

Berlin. Perfekt oder provisorisch — wie man für Parlament und Regierung in Berlin bauen solle, wurde sich das Podium bei der letzten Diskussion im Reichstag am Montag abend zur Hauptstadtplanung nicht einig. »Die Forderung der Politik ist fern vom Machtanspruch, hat aber einen hohen Perfektionsanspruch« so der Moderator Felix Zwoch.

»Die politische Intention der Entscheidung für Berlin war, daß der Umzug ein Element des Einigungsprozesses sein sollte, nicht sein Höhepunkt«, meinte der SPD-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Thierse. Deshalb solle das Parlament bald umziehen. Was das Arbeiten in Provisorien angehe, so hätte die Mehrheit der Ostabgeordneten in Bonn auch nur Container statt Büros zur Verfügung. »Die Lebensumstände, in denen ich aufgewachsen bin, sind einem Bonner Beamten offenbar nicht zuzumuten«, sagte Thierse. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Dietmar Kansy hingegen plädierte dafür, vor dem Umzug die Arbeitsfähigkeit des Parlaments in Berlin herzustellen, was bedeute, 120.000 Quadratmeter Bürofläche zu bauen. Dies sei nicht in vier Jahren machbar. Er persönlich könnte sich vorstellen, zum Arbeiten in ein Containerdorf zu ziehen, nicht aber die Mehrheit der Bundestagsabgeordneten.

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Peter Conradi warnte vor einem »Gesamtkunstwerk Parlament aus einem Guß«. So habe man in Bonn in den siebziger Jahren — erfolglos — geplant. Die heutige »Collage« aus Plenarsaal und Bürogebäuden verschiedener Baualter spiegele viel besser die Zeitgeschichte wieder. Auch in Berlin solle es keinen »Bundestag aus der Retorte« geben, sondern das Parlament solle Gebäude vom Reichstag über die DDR-Ministerien bis hin zu Neubauten nutzen. »Das Leben ist auch ein Provisorium«, meinte Conradi.

Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) appellierte an das Selbstbewußtsein der Berlin-Befürworter, die sich für den Umbau der Stadt zur Hauptstadt die Zeit nehmen sollten, die sie bräuchten. Berlin könne nicht in wenigen Jahren über eine solche Jahrhundertaufgabe entscheiden, zumal man in Bonn 15 Jahre über den Neubau des Plenarsaals nachgedacht habe. Auch die Präsidentin der Bundesbaudirektion, Barbara Jacubeit, erinnerte daran, daß die Berliner später hier leben müßten. »Man darf diese Stadt durch zu großes Bautempo nicht zerstören.« In Bonn wolle die Baukommission vorher alles festlegen bis hin zu den Bleistiftrinnen in den Schreibtischen.

Schwerer faßbar war das eigentliche Thema des Abends, die »Demokratie als Bauherrin«. Für Thierse hieß das, daß nicht nur Spezialisten über Architekten reden dürften. Zudem sei es der Demokratie angemessen, daß sich der Bundestag vorläufig und in offener Planung in Berlin einrichte. Für Conradi hingegen hieß Demokratie ausdrücklich nicht, über Architektur mit Mehrheitsbeschlüssen zu bestimmen, das sei genausowenig möglich wie in der Kunst. Für den praktisch denkenden Nagel zeigt sich die Demokratie in der Baukunst etwa darin, ob vor dem Parlament ein Platz für Kundgebungen angelegt werde. Nagel sprach sich gegen ein Beschleunigungsgesetz und gegen einen Vorrang für Bundesbauten aus. Solche »Sondernummern«, so der Architekt Hardt-Waltherr Hämer, werde es jedoch mit Sicherheit geben. Hämer, der inzwischen nicht mehr an einen »demokratischen Ausdruck in der Form« glaubt, plädierte für einen fortwährenden Abstimmungsprozeß. Eine einmal festgelegte Idealplanung sei immer eine Fehlplanung. Einig war sich das Podium darin, daß die geplante Sperrung der Spreeuferwege am Kanzleramt undemokratisch sei. Eva Schweitzer

Siehe auch Seite 6

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