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Stoff durch Arbeit

■ Der erstaunliche Georg Zey und die verstiegene Else Gabriel in der mondänen Etage der Galerie Vier

Sie sind meistens rund, aber nicht verschlossen. Sie haben eine Mitte, aber in der Mitte ist nichts. Sie greifen aus, aber sie expandieren nicht. Sie nehmen Platz ein, aber den Platz vermißt man nicht: Skulpturen von Georg Zey.

Georg Zey

Zey hat nicht nur einen Werkstoff, und in dieser Hinsicht ist er ein zeitgenössischer Bildhauer. Aber er hat ein Prinzip: seine Formen entstehen aus einem Satz gleicher Einzelteile. Er klebt zwei- oder dreihundert Murmeln zu seeigelartigen Gebilden (nicht einmal kniehoch). Er flicht Gummibänder auf Drähte zu voluminösen Ovalformen. Er montiert Dutzende von Lupen auf ein Stahlgerüst, die etwa in der Gestalt eines monumentalen Telefonhörers in den Raum sprießen.

Vorsichtig entfernen sich seine Skulpturen von der universellen Form (im Bereich von Ei oder Kugel) und kehren zu ihr zurück. In den mondänen Räumen der Galerie Vier liegen die Objekte locker verteilt auf dem glänzenden Betonboden und unterhalten sich still. Ihre gemeinsame Sprache ist ihr struktureller Bezug zum Werkstoff, der auf je eigene Weise so bezwungen wird, daß die Objekte sich schließlich ähnlich sind, obwohl in Ausmaß, Farben, Glanz, Transparenz und — insbesondere — Gewicht sichtbar und unsichtbar unterschieden. Routiniert ausladend, erinnern Zeys Gebilde an das typische Dekor der fünfziger Jahre (zwischen Satellitenbahn und Nierentisch), ein entschiedener Schwung knapp diesseits von Eleganz.

Zwei der Objekte konterkarieren das Ensemble der auf Spannung geflochtenen und geklebten Skulpturen: ein langer Sack aus weichen, blauen Kettengliedern, der von der Decke der Fabriketage bis fast auf den Boden reicht; und eine Konstruktion aus Polyesterglas, in der Kugeln und ihre verbindenden Stiele zu einer Art Gerüst montiert sind, das an graphische Darstellungen chemischer Formeln erinnert. Das Ding hat 36 imaginäre Positionen (Kugeln), zwölf als Grundfläche, insgesamt drei Etagen. Streng in rechten Winkeln montiert, sind in einem komplizierten Muster von Aussparungen nur 23 Positionen besetzt. In die Kugeln eingelassen sieht man, verzerrt, schwarze Buchstaben: »Was ihr wollt« heißt das Ding, aber das ist schon fast eine Grobheit. Zeys Stärke ist nicht das Versteckspiel mit dem Plagiat, dem Zitat, der Variante, sondern die Durchdringung des Stoffs mit Arbeit. Daß ihm dies gelingt, und daß dieses Gelingen etwas sehr Schönes ist, kann jeder erkennen, dem der Unterschied von Druck- und Schreibschrift (zum Beispiel) etwas bedeutet. Es ist eine eingeweihte Kunst auch für nicht Eingeweihte.

Else Gabriel

Seit der Eröffnung der Galerie Vier mit Thomas Florschuetz, als die Etage noch ganz offen war, sind die Räume nun verändert. Im rechten Winkel zum großen Saal findet sich eine schmalere Fortsetzung. Im Übergang blendet uns eine Natriumdampflampe, die auf einen Sockel montiert ist. Weiter hinten hängen von der Decke drei Metallobjekte von erheblichem Durchmesser, deren grau lackierte Bänder wie Schienen einer Achterbahn mehrmals um hundertachtzig Grad gedreht sind und sich so, selbstverständlich, ohne Anfang oder Ende schließen. Mit gelben Aufklebern sind seltsame Figuren und noch seltsamere Namen auf den Bahnen angebracht.

Dies ist insofern das Gegenteil der Kunst von Zey, als seine Formen schwer zu beschreiben sind, während man bei den Arbeiten von Else Gabriel den Katalog braucht, um sie auch nur ansatzweise zu verstehen. Dort lernen wir etwas über Radleuchter, Engel und Apostel, magische Zahlen und manipulierte Namen. Und wenn wir unsere Ohren während der sehr gut besuchten Vernissage ein bißchen aufsperren und in das Katalögchen blinzeln, amüsieren wir uns, daß die Pastorstochter aus Halberstadt den Heiligen Geist über der väterlichen Kanzel mit der Beschilderung: »73) Nistio Hepper« versehen hat und den Herrn am Kreuz mit »29) Durz Armbruster«.

Dies sind die Strategien einer Kunst, die sich in das spitze Geflecht kulturhistorischen Wissens begibt, um es zu erstaunlichen Arrangements umzubiegen. Diese Kunst des Kommentars ist natürlich ein Vehikel für sehr flexible und interessante Künstlerpersönlichkeiten (ein glückliches Beispiel findet man etwa in den verstiegenen Versuchen von Fischli/ Weiss). Dennoch, gerade eine kryptische Kunst ist ja dem Vergleich mit einer sinnlich expliziten (Moore, Serra) nicht entzogen. Dann stellt sich schon die Frage, warum man den »individuellen Mythologien« in ihre schlechter beleuchteten Winkel folgen sollte. Die Arbeit von Else Gabriel wirkt im Vergleich mit Zey recht angestrengt; geradezu pubertär ist ihr Versuch, sich einen neuen Namen zuzulegen: (e.) Twin Gabriel. Man muß nicht alles glauben, was man nicht sieht. Ulf Erdmann Ziegler

Galerie Vier, Schwedter Straße (Prenzlauer Berg) 263, Hinterhaus, 2.OG., Di.-Fr. 14-19, Sa. 11-14 Uhr

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