: Chemnitzer Flaggschiff läuft auf Grund
WerkzeugmacherInnen des Fritz-Heckert-Werkes drohen mit „Flächenbrand“ gegen die Kahlschlagpolitik der Treuhand/ Die sächsische Landesregierung macht nur vage Versprechungen für die Zukunft der Maschinenbau-Industrie ■ Aus Chemnitz Detlef Krell
Starke Worte finden die Beschäftigten der von der Treuhand-Anstalt bedrohten Maschinenbau-Fabriken in Chemnitz. Wenn der „Personalpoker“ der Treuhand weitergehe wie bisher, sei mit einem „Flächenbrand“ unter den ArbeiterInnen in der ganzen Region zu rechnen. Der Betriebsrat des Chemnitzer Schleifmaschinenwerks drohte dem sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf unlängst mit mecklenburgischen Verhältnissen: „Die Chemnitzer MetallerInnen werden nicht anders reagieren als unsere KollegInnen auf den Werften“ und die Betriebe besetzen.
Wenn die Branche zusammenbricht, warnte der Betriebsratsvorsitzende der Chemnitzer Niles GmbH vor kurzem auf einer Betriebsversammlung, sei das nur die Spitze des Eisberges einer Massenarbeitslosigkeit. Das ganze Geflecht der mittelständischen und handwerklichen Betriebe sei von der industriellen Basis abhängig.
Nach zwei Jahren Marktwirtschaft ist die Chemnitzer Industrie kaum noch vorhanden: Drei von vier Chemnitzer MetallerInnen haben ihre Arbeit verloren. Dabei waren der Werkzeug- und der Textilmaschinenbau einst das Rückgrat dieser Industrieregion. Als die Mauer zum freien Markt fiel, rechneten sich die Chemnitzer aus, daß sie beste Chancen bei der Umstrukturierung der Wirtschaft hätten. Inzwischen jedoch ist das Arbeitsamt der bedeutendste Wirtschaftsfaktor. Mehr als 100.000 gehen stempeln, und weitere 30.000 müssen weite Reisen in Kauf nehmen, um ihre Arbeitsplätzen im Westen zu erreichen.
Wolfgang Oertel, Betriebsratsvorsitzender des Chemnitzer Heckertwerkes, zählt vor, daß von einst 4.300 Kolleginnen nur noch 1.000 in dem einstigen „Flaggschiff“ des Werkzeugmaschinenbaus eine Arbeit haben. Und geht es nach der Treuhand, stehen weitere Entlassungen ins Haus.
Auf seiner Landesbezirkskonferenz am vergangenen Samstag wollte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) nun Nägel mit Köpfen machen. Eingeladen war zu diesem Zweck auch Werner Münch (CDU), parlamentarischer Staatssekretär im Wirtschaftsministerium. Wo die GewerkschafterInnen allerdings konkrete Zusagen für eine verstärkte Hilfe für den Maschinenbau erwartet hatten, ließ sich der Vertreter der Landesregierung nicht viel mehr als vage Versprechungen abringen.
Konsens zwischen dem Ministerium und der Gewerkschaft sei, daß strukturbestimmende Betriebe erhalten werden müßten, so Münch. Das gelte besonders für den Waggon- und Erntemaschinenbau, die Textilindustrie und die Werkzeugmaschinen-Produktion. Münchs Versprechungen gipfelten in der Erklärung: „Ich kämpfe um jeden Betrieb, jeden Arbeitsplatz, als wäre es mein eigener.“ Dann allerdings schob der Staatssekretär die Verantwortung von Dresden nach Berlin ab. Solange der gesetzliche Auftrag der Treuhand nicht geändert sei, so Münch, könne Sachsen nicht einmal Einsicht in die Unterlagen nehmen. Gewerkschafter der Chemnitzer Maschinenbau-Fabriken übersetzten das als „Bankrotterklärung“ der sächsischen Landesregierung. Die allgemeinen Plädoyers für eine bessere Strukturpolitik waren für die Gewerkschafter nicht neu, aber ihre „entscheidende Frage“ nach der Konstruktion staatlicher Beteiligungen blieb offen.
Trotzdem meinte der DGB auf seiner Landesbezirkskonferenz, einen Silberstreif am sächischen Maschinenbau-Himmel erkennen zu können. In der Haushaltsdebatte im Landtag sei Ministerpräsident Kurt Biedenkopf den Gewerkschaften ein Stück entgegengekommen. Unternehmen sollen in ihren Investitions- und Sanierungsentscheidungen nicht mehr länger alleine von der Treuhand abhängig sein, so Biedenkopf. Außerdem sagte der Ministerpräsident zu, an dem von der Gewerkschaft ins Gespräch gebrachten „strukturpolitischen Runden Tisch“ teilzunehmen. Der für Strukturpolitik zuständige IG-Metall-Bezirkssekretär Bodo Irreck sagt, es sei „nicht entscheidend, ob sich das Land mit 5 oder mit 50 Prozent beteiligt. Aber es ist politisch wichtig, daß es eine gewisse politische Verantwortung übernimmt. Deshalb wollen wir den Runden Tisch.“
Der Treuhand meinen die Gewerkschafter inzwischen nachweisen zu können, daß die Kahlschlagpolitik für den Staat keineswegs billiger ist als die Sanierung der Betriebe. „Weil in der politischen Debatte immer schnell mit Kosten für eine auch von Staat getragenen Sanierung hantiert wird“, hatte die IG-Metall eine Studie in Auftrag gegeben, die am Beispiel der Chemnitzer Heckert- Werkzeugmaschinen-Fabrik die Kosten für Liquidation und Sanierung gegenüberstellt.
Fazit der vom Progreßinstitut für Wirtschaftsforschung in Bremen und von der Beratungsstelle für arbeitsorientierte Strukturpolitik in Sachsen erstellten Studie: Die Gesamtkosten für die Stillegung des Heckertwerks würden sich in den nächsten drei Jahren auf mindestens 360 Millionen Mark summieren. Mehr als die Hälfte der Kosten entstünden der Treuhand. Dazu gehört der Sozialplan für die Belegschaft entsprechend der Treuhand-Vorgabe von durchschnittlich 5.000 DM pro Person. Kosten der ökologischen Sanierung, geschätzte Kosten für Schuldentilgung, bürokratische Abwicklungskosten rechneten die Institute hinzu, zusammen 195 Millionen DM. Weitere 109 Millionen DM würden staatliche Aufwendungen zur Finanzierung der Arbeitslosigkeit sowie der Ausfall von Steuern kosten. Schließlich seien jene Kosten zu berücksichtigen, die für andere Unternehmen entstünden. Allein die Kosten der Folgearbeitslosigkeit in den Unternehmen beliefen sich nach der Studie bis 1994 auf knapp 60 Millionen DM. Diese Rechnung unterstellt, daß von den jetzt noch 1.500 Heckert-WerkerInnen in den nächsten drei Jahren nur jede/r zehnte eine neue Arbeit finden werde.
So detailliert die Kosten für Heckerts Liquidation auch nachgewiesen werden, die andere Seite der Rechnung basiert lediglich auf Analogieschlüssen. Die GutachterInnen haben gegenübergestellt, was die westdeutsche Werftindustrie vom Staat an Subventionen erhält, damit sie konkurrenzfähig bleibt. Ergebnis: Ein Sanierungsbedarf von 350 Millionen DM für das Heckert- Werk. Die Sanierung wäre nicht nur sozial verträglicher, sondern auch billiger als die Versenkung des Flaggschiffes, folgert die IG Metall.
Auch die Politik der Bundesregierung nahm der DGB am Samstag nicht von der Kritik aus. Erst im Januar dieses Jahres hatte Bundesfinanzminister Theo Waigel die sogenannten Hermesbürgschaften für Geschäfte mit der GUS auf fünf Milliarden reduziert. Das hatte bei der ostdeutschen Schwerindustrie geradezu Entsetzen ausgelöst, denn diese Betriebe sind auf die Geschäfte mit der ehemaligen Sowjetunion angewiesen. Bonn soll wieder mehr Bürgschaften übernehmen, fordert dagegen die IG Metall. Exporte in den Osten zu ermöglichen, wäre eine „bessere und schnellere Hilfe als dieser Zirkus jetzt“, meinte IG-Metall- Bezirksvorsitzender Hasso Düwel hinsichtlich propagandistisch aufgemachter Paketspendenaktionen für bedürftige Völker.
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