: »Mein letzter Besuch in Deutschland«
■ Mitglieder des »Jüdischen Kulturbundes« fanden nur wenig von dem vor, was sie früher an Berlin liebten/ Keine Stadt mit »Esprit«, sondern »Nivellierung und graues Mittelmaß«/ »Der Kulturbund ist nur noch wichtig für die Museumsleute«
Gestern flogen die ehemaligen Mitglieder des Jüdischen Kulturbundes wieder in die USA, nach Kanada oder Israel und eine ganz kleine Minderheit nach Hamburg oder München. Eine Woche lang waren sie Ehrengäste der Akademie der Künste und des Emigrantenprogramms der Senatskanzlei gewesen. Die meisten der nach Berlin gekommenen sechzig Künstlerinnen und Künstler hatten sich nach der Auflösung des Kulturbundes 1941 nie wieder gesehen. Sie hatten junge Gesichter im Gedächtnis behalten und trafen 80jährige.
taz: Haben Sie sich wiedererkannt?
Ruth Anselm-Herzog (Solotänzerin, lebt heute in den USA): Das konnten wir auch überhaupt nicht. Denn die Zeit des Jüdischen Kulturbundes ist zu unterteilen in zwei Phasen. In die Zeit von 1933 bis 1938 und in die Zeit bis zur Auflösung sowie der Deportation der in Berlin gebliebenen Künstler in die Konzentrationslager. Ich war Mitglied in der ersten Phase, und meine ehemaligen Kolleginnen und Kollegen waren 1933 zum großen Teil schon über vierzig. Die sind alle in der Emigration gestorben. Ich bin so ein übriggebliebenes Relikt dieser Zeit. Daher kannte ich außer Ernst Lenart niemand. Bei den anderen mußte ich dauernd im Katalog (Geschlossene Vorstellung, Der Jüdische Kulturbund 1933-1941) wälzen, um überhaupt zu wissen, wer das ist.
Ernst Lenart (Schauspieler, spielte 1933 bei dem programmatischen Eröffnungstück »Nathan der Weise« mit, spezialisierte sich später auf die Rolle des jugendlichen Liebhabers, lebt heute in Israel, München und Hamburg): Die Zeit des Kulturbundes haben wir später vergessen wollen. Wären Eikel Geisel und Hendryk Broder nicht wie die Detektive gekommen, die Geschichte wäre in der Versenkung geblieben. Von der alten Zeit sind nur noch Ruth und meine Frau übriggeblieben. Sie saß damals als 16jährige beim »Nathan« im Zuschauerraum. Es klingt unfreundlich, aber es ist so. Ich habe gar keine große Lust, die übriggebliebenen Kulturbundmitglieder kennenzulernen. Die sind viel jünger als ich und dabei so klapprig und machen mich deshalb noch älter. Außerdem war das künstlerische Niveau nach 1938 nicht sehr bedeutend.
John und Harriet Isaack (Bühnenmaler und Kostümschneiderin; die beiden sind seit 1937 und, wie sie sagen, »trotz« Jüdischen Kulturbundes noch immer »glücklich« verheiratet, sie leben heute in den USA): Wir haben ganz schnell unsere Kollegen wiedererkannt, meistens an der Stimme. Einige der hier Anwesenden leben nur wenige Meilen von uns entfernt im Los Angeles Country, wir wußten das nicht. Denn 1939 emigrierten wir nach Shanghai und kamen 1947 in die USA. Wir waren so mit Strampeln beschäftigt, daß wir über dreißig Jahre lang keinen Gedanken an den Kulturbund verschwendet haben. Wir werden hier auch wieder auseinander gehen und uns nie wieder sehen. Der Jüdische Kulturbund ist nur noch wichtig für die Museumsleute.
taz: Wie hat Ihnen Berlin gefallen?
Ruth Anselm-Herzog: Überhaupt nicht. Berlin ist mir so fremd. Ich bin durch die Straßen gelaufen und habe gedacht, Gott, was hat man aus dieser Stadt gemacht. Sie hat keinen Esprit mehr, wo ist die Eleganz geblieben. Sie ist amerikanisch geworden. Der Tauentzien und der Kurfürstendamm sind doch Billigstraßen, überall diese fliegenden Händler und Fast food an jeder Ecke. Das waren mal Boulevards, jetzt sieht man nur noch Massenkultur. Ganz Berlin ist eine Kopie, nur das Beste hat man nicht kopiert. Hier schlägt einem alles entgegen, was ich zeitlebens in Amerika nicht ausstehen konnte. Nivellierung und graues Mittelmaß. Einzig in Berlin-Mitte findet man Spuren von der Stadt, die wir liebten. Wir sind hier so gastfreundlich aufgenommen worden, aber ich fahre sehr traurig zurück. Es war mein letzter Besuch in Deutschland. Sehr schön war das Theater am Schiffbauerdamm (das Berliner Ensemble). Dort bekam ich als 15jährige meine erste winzige Rolle, in einem Stück, das ich schon vergessen habe. 1928 spielte ich dort mit in der Dreigroschenoper. Das ist genauso, wie es war, es führte mich zurück in die Atmosphäre, die ich mal geliebt hatte. Damals war ich voller Illusionen und dachte, die Welt steht mir als Tänzerin offen. Das war dann nicht so.
John und Harriet Isaack: Uns ist Berlin so unendlich fremd. Wir kannten auch nur Wilmersdorf und Schöneberg gut. Eine Woche haben wir nach Stellen gesucht, die wir kannten, doch alles war neu. Aber traurig macht uns das nicht. Wenn man wie wir fünfundfünfzig Jahre in Amerika gelebt hat, sind die alten Codes nicht mehr wichtig. Amerika ist unsere Heimat, dafür hat Hitler gesorgt, und wir sind fast amerikanische Patrioten. Natürlich haben wir Erinnerungen, aber Gefühle zu Deutschland — das haben wir nicht mehr. aku
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