■ Lokaltermin: Gemütliches Toben
Gemütliches Toben
Als Kneipengänger entwickelt man einen speziellen Sinn für Atmosphären und Gebräuche. Meist weiß man schon beim ersten Mal, wie das Lokal funktioniert und was für Leute hierherkommen. Manchmal ist man schon nach ein paar Minuten genervt, flieht das Lokal und landet dann irgendwie in einer Eckkneipe. Schwieriger ist es, Eckkneipen zu verstehen, Eckkneipen sind seltsam. Früher ging ich an ihnen vorbei. Doch früher wohnte ich auch woanders.
Inzwischen, im Herzen Berlins, in gähnender städtischer Leere, schaue ich immer häufiger im »Dschungel« vorbei. Irgendwie ist das exklusiv, intim und sympathisch, denn an anderen Orten gibt es soviele Stamm-, Szene- und Zufallsgäste, daß man nur noch selten begrüßt und nach den alltäglichen Sorgen gefragt wird. In der guten Eckkneipe hingegen hat das Bier durchaus therapeutische Funktion, und der Wirt ist ein menschenkundiger Lebensbewältigungshelfer. Der »Dschungel« jedoch ist noch komplizierter, in dem Lokal vermischen sich die Genres der Eck- und der Musikkneipe. In jedem Fall ist der Weg hier zum Tresen noch frei.
Mit der Schlager-Diskothek der frühen Achtziger hat der »Dschungel« rein gar nichts zu tun. Zum Jahreswechsel eröffnete die »Musikkneipe«, die sich mehr oder weniger auf »Heavy Metal« spezialisiert hat, aber auch profanem Pop und Disco- Rhythmen nicht abgeneigt ist. Ein paar hundert Handzettel wurden den Autos, die hier im Viertel ihr nichtsnutziges Dasein pflegen, hinter die Scheibenwischer geklemmt, auf das alle kämen. Nicht alle kamen. Inzwischen kommen mehr.
Neben der Theke sitzen Besitzer und Freunde der Besitzer. Zunächst weiß man nicht so genau, wen man ansprechen soll, um an sein Bier zu kommen. Dann zieht ein gewinnendes Lächeln über ein Gesicht. Das ist »Stahli«, der sympathische Wirt. Manchmal sitzt er an einem Tisch neben der Theke und schreibt. Gedichte vielleicht? Vielleicht auch Geschäftliches.
Um dem Namen der Kneipe gerecht zu werden, kleben schreiend grüne Urwaldtapeten an den Wänden. Ein paar subtropische Pflanzen, ein gläserner Delphin und ein Stoff- Papagei wirken vom Rande her. Im Hinterraum lockt einer der besten Flipper Berlins. Ein Dartautomat, der seltsam aufgeregte Geräusche von sich gibt, wenn man aufs Mittelloch drückt, steht daneben. Dort vergnügen sich ein paar Hippies jenseits der Zwanzig.
Im »Dschungel« tobt ganz gemütlich das Leben vorbei. Schwedische, dänische, flensburgische oder gar Düsseldorfer Gruppen aus dem nahegelegenden Jugendhotel geben sich die Klinke in die Hand und schütten allerlei bunte Getränke in sich hinein. Ab und an kommt ein älterer Gast, der enttäuscht ist und widerwillig grummelt, weil der »Dschungel« sich an die Stelle seiner alten Eckkneipe gesetzt hat. Der geht dann wieder. Die andern bleiben sitzen.
Dschungel; Bernburger Straße, ab 8.30 Uhr — Open End
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