: Die Zeit des Stierbluts ist vorbei
Eishockey-WM: Deutsches Team mit rauschendem 5:2-Sieg gegen Weltmeister Schweden/ Nichts ist mehr, wie es einmal war, seit die Guten schlechter und die Schlechten klüger geworden sind ■ Aus Prag Peter Unfried
Ja, ja, die „gute, alte Zeit“, sagen die Prager, wenn sie sich an jene Tage erinnern, als „die Kommunisten“, wie man sie heutzutage ausgrenzt, noch anstelle Havels in der Burg saßen, die „StB“, der tschechische Sicherheitsdienst in der Bartolomejska gleich neben dem Wenzelsplatz wirkte und es keine Arbeitslosen, dafür bezahlbare Wohnungen gab. Nicht, daß die Zeiten damals besser gewesen wären, das nicht, nur überschaubarer.
Selbiges traf auch auf das internationale Eishockey zu, in dem die Tschechoslowaken und die Russen, Sowjetrussen, um präzise zu sein, seit 1963 den Welttitel untereinander auszuspielen pflegten, und letztere meistens, und erstere dann gewannen, wenn in Prag gespielt wurde. Dahinter durften die Schweden und Kanadier um Bronze spielen, dann kamen die USA und Finnland und zuhinterletzt meist die lieben Deutschen.
Und jetzt soll plötzlich alles anders sein? Daß die Schweden 1987 in Wien mal gewannen, ging ja noch an, schließlich waren sie oft nah dran gewesen, doch im letzten Jahr war ihr Sieg schon fast folgerichtig. Und auch weiter hinten rumorte es, seit Eishockey auch in Mitteleuropa zum Massenfaszinosum geriet und Geld in Strömen floß. Was zum Glück noch fehlte, war allein die Reputation, der Nachweis für Klientel und Werbung, daß man für sein erstklassiges Geld in den deutschen, italienischen und Schweizer Ligen auch Erstklassiges geboten bekam.
Heuer nun spielt man zum ersten Mal mit zwölf Teams, und sieht nach der ersten Turnierwoche, der Graben zwischen Könnern und Gurken hat sich nicht vergrößert, sondern scheint weitgehend zugeschüttet. Die potentiellen Absteiger Frankreich und Norwegen verlieren nur noch hauchdünn gegen Kanadier und Russen, die Schweizer punkten gegen beide, die Italiener holen ein Unentschieden gegen Weltmeister Schweden, und das deutsche Team gewinnt nicht nur gegen Amis und Schweden, sondern spielt beide richtiggehend an die Wand.
Die eine Seite der Geschichte: Die Kleinen haben dazugelernt. Die Italiener etwa spielen mit ungeheurem physischen Aufwand eine Art „Catenaccio“. Die Schweizer machen es ähnlich. „Wir müssen uns gegen die Großen aufbäumen“, hat Coach Bill Gilligan als Parole ausgegeben. Mit Hilfe eines „Schweizer Riegels“, der die Gegner bereits im Mitteldrittel stoppt, gelingt solches auch.
Vor lauter Überraschungen ging da ein „historischer“ Sieg der deutschen Mannschaft fast unter. Im März 1971 war's, als man die Schweden zuletzt bei einer WM geschlagen hatte. Gerhard Kießling selig flog nach dem 2:1 damals in voller Montur in den Genfer See. Und nun gleich 5:2, dem Weltmeister nicht den Hauch einer Chance gelassen, war damit die Eishockeywelt endgültig verändert? Trainer Ludek Bukac und auch die Spieler gaben sich zwar entspannt, verneinten aber grundlegende Veränderungen.
Eishockey sei ein Spiel der Fehler, merkte etwa Verteidiger Ron Fischer an und brachte damit manches auf den Punkt. Denn Fehler wie unnötige Strafzeiten und taktische Mißgeschicke mußte sich nach den Auftaktvergehen gegen Finnland im weiteren Turnierverlauf keiner mehr vorhalten lassen. „Die Spieler lernen ständig dazu“, glaubt Manager Franz Reindl bemerkt zu haben.
Außerdem haben sie die Ehrfurcht vor den einst Unüberwindbaren abgelegt. Gegen die Schweden kontrollierte man das Spiel, gewann fast jedes Bully in der strategisch wichtigen neutralen Zone, schien ständig anzugreifen und doch, wie Dieter Hegen weiß: „Wir haben eigentlich sehr defensiv gespielt.“ Früher spielte man das auch, doch die Fehlerquote war zu hoch. Inzwischen weiß man die Fehler des Gegners auszunützen.
Es ist in den Gängen der Prager Eissporthalle nun aber, und das ist die andere Seite der Geschichte, kein Geheimnis, daß die Annäherung nicht ausschließlich nach oben erfolgt. Sakari Pietilä, Assistenzcoach der selbstbewußten Finnen, sagt unverhohlen, die Schweden, zum Beispiel, seien mit dem Weltmeisterteam vom Vorjahr nicht zu vergleichen. Die Russen und Tschechoslowaken haben NHL-Federn lassen müssen, die Kanadier sind mit Mittelmaß, die Amerikaner gar nur mit Hinz und Kunz hergekommen.
Franz Reindl, der in seinem schönen, braunen Anzug immer so ausschaut, als erwarte er in Kürze jede Menge Kommunionsgeschenke, läßt solches verständlicherweise kalt: „Das ist deren Problem, mit wem die anreisen.“ Anders gesagt: Erfolg ist keine Frage des Niveaus, sondern der Plazierung. Und die könnte diesmal sogar stimmen, obwohl der Hoffnungsträger Reindl dafür nicht einmal mehr wie einst Stierblut saufen mag. „Des mog i nimmer“, sagt Reindl und trinkt neuerdings Wein. Und Dieter Hegen verzichtet gar bis auf weiteres auf sämtliche Trinkaktivitäten, denn: „Feiern können wir, wenn das Turnier zu Ende ist!“
Man sieht, es hat sich einiges geändert in der Szene, nicht alles zum Besseren, und manches ist nicht mehr so überschaubar wie einst, doch einige gehen daran, für sich das Beste daraus zu machen. Die Deutschen auch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen