: Die Como-Connection
Wie Zufallsfunde die Wege atombombentauglicher Materialien aus der Ex-UdSSR enthüllten/ Die Geheimdienste spielen in dem Geschäft eine zwielichtige Rolle/ Von honduranischen Konsuln und schwedischen Quecksilber-Schiebern ■ Aus Mailand Werner Raith
Chiara Beria d' Argentine und Leo Sisti hatten schon bald den richtigen Riecher. Was zunächst, im Oktober 1991, wie einer der üblichen Schmuggelfunde beim Zoll in Como aussah, erkannten die 'Espresso‘- Redakteure schon bald als ein winziges, aber signifikantes Puzzleteilchen in einem die Welt bedrohenden Szenario. Ihre Recherchen haben mittlerweile die Ordnungshüter von mindestens einem Dutzend Ländern, Geheimdienste und vor allem den Weltpolizisten USA auf den Plan gerufen. Lediglich die zuständigen Politiker schweigen überwiegend. Kein Wunder, denn für das, was da ans Licht kommt und mittlerweile immer weitere Kreise zieht, hat niemand auch nur ansatzweise ein Gegenrezept.
Begonnen hatte die Geschichte am 15. Oktober 1991 mit der Beschlagnahme einer winzigen Kapsel durch die Finanzpolizei nahe dem oberitalienischen Grenzort Como. Als die Beamten das Behältnis öffneten, begannen alle Geigerzähler rundum wie verrückt auszuschlagen. Wie die 0,2 Milligramm hochradioaktiven Urans in das Medaillon hineingeraten war, wollte der Besitzer, ein Schweizer Geschäftsmann namens Karl Friedrich Federer, zunächst ganz und gar nicht wissen. Doch ohne daß Informationen über den Fund in die Presse gelangten, so recherchierten Beria d' Argentine und Sisti, „ging tags darauf im nahen Mailand ein regelrechtes Inferno los“: dutzendweise rückten Atomexperten und Bombenspezialisten, Polizeiobere und Geheimdienstler an. CIA-Schnüffler und Mossad-Detektive, Männer der Schweizer, deutschen und russischen Gegenspionage wollten Genaueres herausfinden. Denn das Plutionium, daran war bald kein Zweifel mehr, stammte aus den Beständen der ehemaligen UdSSR, wahrscheinliche Provenienz: Tiflis, Kiew oder Uzgorod.
96 Millionen für ein Paket Uran
Der Schock über „diesen Ansatz des Atomwaffenverkaufs“ (so in einer einsilbigen Stellungnahme der italienische Verteidigungsminister) war noch kaum verwunden, da traf aus dem Nachbarland Schweiz die nächste skandalträchtige Kunde ein: Am 11. November 1991 wurde in Zürich eine Partie von nicht weniger als 29 Kilogramm Uran 235 beschlagnahmt — allerdings eher gegen den Willen der eidgenössischen Behörden. Die Ankunft der Sendung war den schweizerischen Behörden bereits bereits Mitte Oktober von dem mit dem Plutonium-Fall betrauten italienischen Untersuchungsrichter Romano Dolce angekündigt worden— der Ermittler hatte von zwei inzwischen festgesetzten Zwischenhändlern präzise Hinweise erhalten. Die Schweizer reagierten jedoch nicht, ließen das hochbrisante Metall passieren. Erst als die Italiener sich der Mitarbeit des Polizeichefs von Chiasso, des Grenzorts zur Schweiz, versicherten, gelang der Zugriff: Die Uran-Verkäufer wurden zunächst in ein fingiertes Bankgebäude gelockt (um bei Mißtrauen ein mögliches Durchdrehen in einer wirklichen Bank, mit Geiselnahme oder Schießerei, zu verhindern). Dort wurde der Vertrag über die Lieferung abgeschlossen: 97 Millionen Dollar sollte der Preis sein, zahlbar bei Lieferung. Doch unvermittelt wurden die Verkäufer gegenüber dem Schein-Aufkäufer Enrico Gava nervös, sie verkrümelten sich. Zwei Tage danach jedoch meldeten sie sich wieder. Am 9. November traf man sich erneut, diesmal in Zürich, die Sureté beschattete die Gruppe rund um die Uhr: Neben Gava waren noch zwei Schweizer, zwei Italiener und ein österreichischer Elektronik-Spezialist aufgetaucht. Schließlich wurden die sechs verhaftet, als sie das Gebäude der Unione delle banche svizzere betreten wollten, um den Geldtransfer zu regeln.
Danach stellte sich heraus, daß die fünf nicht auf eigene Rechnung arbeiteten, sondern für einen Honorarkonsul Honduras, Friedrich Renfer. Der aber erwies sich auch wieder nur als Kurier — das Material sollte in seinem Diplomatenwagen über die Grenze gebracht werden. Zunächst behauptete er, daß er das Uran schon lange in seinem Besitz habe, es sei über den Kongo aus Belgien zu ihm gelangt. Bald jedoch fanden die Ermittler jüngere Ankaufswege heraus— der Diplomat kungelte eng mit zwei ehemaligen sowjetischen Offizieren, Vitalj Fedorciuk (ehemaliger KGB-Chef der Ukraine) und Oleg Petrowskij, Oberst des militärischen Geheimdienstes der ehemaligen UdSSR.
Die Analyse des sichergestellten Urans ergab, daß das Schwermetall nur mäßig radioaktiv angereichert und daher noch nicht bombentauglich war. Doch was die Schweizer und Italiener zunächst mit einem Seufzer der Erleichterung quittierten, rief den „Weltpolizisten“ vollends auf den Plan: Wenn sich jemand für nur schwach angereichertes Uran interessiert, so die CIA-Deutung, muß er selbst Anlagen zur Anreicherung besitzen. Will heißen, daß er aus nahezu beliebigen Uran-Sendungen sein eigenes Plutonium herstellen kann.
Neu auf dem Markt: Quecksilber
Obwohl die Beschlagnahme des hochbrisanten Materials inzwischen durchgesickert sein dürfte, geht die Verschieberei munter weiter. Im Januar verhaftet die Polizei in Mailand vier Insassen eines Mercedes 300 mit ungarischer Nummer: drei Ungarn und einen Österreicher. In ihrem Besitz: umgerechnet knapp eine Million DM sowie zwei Kilo rotes Quecksilber, das in Atomanlagen wegen seiner guten Leitereigenschaften verwendet wird. Dabei finden die Ermittler auch noch ein weiteres Metall, mit dem sie zunächst nichts anfangen können: Skandium. Im Wissenschaftszentrum der ENEA erfahren sie, daß dieser Stoff überaus selten und teuer ist — und daß er für Raketen verwendet wird.
Nahezu gleichzeitig werden sozusagen am anderen Ende Europas, im hohen Norden, die Behörden nervös: Norwegische Beamte haben Wind von suspekten Geldübergaben in Schweden bekommen; aufgrund ihrer Hinweise findet die Polizei in Stockholm einen regelrechten Liefervertrag für rotes Quecksilber, Herkunft: UdSSR, Ziel: mehr als ein Dutzend Drittweltländer. Ein bisher als Wodka-Schmuggler aufgefallener, nun flüchtiger Geschäftsmann namens Janos Sarossy hat sich mittlerweile auf rotes Quecksilber spezialisiert. In Malmö sind dafür erhebliche Geldbeträge deponiert worden.
Wenig später entdecken Beamte italienischer, österreichischer und ungarischer Ermittlungsbehörden einen geradezu atemberaubenden Waffenhandel, der sein Zentrum im tschechoslowakischen Slusovice (Slin) hat. In diesem Grenzort tummeln sich nach Geheimdiensterkenntnissen Hunderte ehemaliger KGB-Agenten, die nahezu alles heranschaffen, was irgendwo in der Welt an Waffen gewünscht wird. Allesamt gedeckt von Diplomatenpässen, haben sie in einer ehemaligen Bergbaugrube von kompletten MIG-21-Bausätzen bis zu russischen Kurzstreckenraketen, von Gasmasken bis zur legendären Kala ziemlich alles zu bieten, was Gangstern und kriegführenden Generälen begehrenswert erscheint. Ein gewisser Frantisek steht dem Konsortium, das nominell als Landwirtschaftskooperative firmiert, vor.
Immer mehr Käufer
Mit der bloßen Entdeckung der Goldmine für Waffenkäufer ist freilich nur wenig getan — schon bald, so zeigte sich, wurde alles noch komplizierter. Nachdem die offiziellen Dementis der Regierungen in Moskau und Prag eingetroffen waren, machten sich ganze Heere von Geheimdienstlern und Polizisten zum Wahrheitsbeweis auf; und seither tummeln sich noch viel mehr interessierte „Käufer“ mit viel, viel Geld in der Szene. „Möglicherweise“, flucht ein Beamter der Mailänder Ermittlungsbehörden, „kämen wir mit den wirklichen Schmugglern einigermaßen zu Rande. Aber zwei Drittel unserer Arbeit ist mittlerweile vertane Zeit, weil wir ständig irgendwelchen Leuten nachlaufen, die bei Festnahme dann ihren Geheimdienstler- oder Detektivausweis herausziehen.“
Auf die Idee sind allerdings die echten Schmuggler auch schon gekommen — der ungarischen Polizei jedenfalls, noch nicht so versiert im Erkennen der Dokumente, sind im Zusammenhang des Uranschmuggels jüngst zwei Gauner entwischt, die bei ihrer Festnahme breit grinsten, den Zöllnern für ihre Aufmerksamkeit gratulierten, sich als getarnte CIA-Mitarbeiter vorstellten und danach, mit dem Ausdruck der Entschuldigung, freigelassen wurden. Das Telex mit der Bitte, die beiden festzunehmen, weil die Ausweise gefälscht waren, kam fünf Minuten nach dem Verschwinden der beiden an. Ihren Koffer hatten die beiden natürlich mitgenommen — mit knapp einer Viertelmillion Dollar darin.
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