: Mehrheit für Fristenlösung in Sicht
Abtreibung in den ersten zwölf Wochen straffrei/ Zwangsberatung bleibt/ SPD- und FDP-Politikerinnen gewinnen für ihren Gruppenantrag auch Verbündete bei CDU und Bündnis 90 ■ Aus Bonn Tissy Bruns
Die Chancen steigen, daß die Fristenregelung parlamentarische Mehrheiten findet. Allerdings: es bleibt beim Strafrechtsparagraphen 218, und Beratung ist Pflicht. Bis in die Nacht hatten SPD und FDP beraten, um ihren Kompromiß unter Dach und Fach zu bringen. Gestern mittag stellten sie ihn in Bonn mit weiteren Verbündeten vor: neben den sozial-liberalen Frauen- und RechtspolitikerInnen saßen die Abgeordneten Susanne Rahardt-Vahldieck und Angelika Pfeiffer (CDU) und Wolfgang Ullmann vom Bündnis 90/Die Grünen.
Der Gruppenantrag ist jedoch in erster Linie Verhandlungsprodukt von Liberalen und SPD. Inge Wettig- Danielmeyer, SPD-Präsidiumsmitglied, schickte ihrer Vorstellung voraus, was alle weiteren RednerInnen wiederholten: Der Gesetzentwurf ist ein „echter Kompromiß, nicht meine ideale Position“.
Der Gesetzentwurf sieht vor, daß der Schwangerschaftsabbruch in den ersten zwölf Wochen straffrei ist, bis zur 22. Woche straffrei unter den Bedingungen der jetzt geltenden medizinischen und eugenischen Indikation und straffrei für Frauen auch dann, wenn sie sich „in besonderer Bedrängnis befunden hat“. Wettig- Danielmeyer hob als wesentlichen Fortschritt des Gesetzes hervor, daß damit „die Frau frei in eigener Verantwortung entscheidet, wenn sie sich vorher hat beraten lassen“. An keinem Punkt gäbe es eine Verschlechterung des geltenden Rechts. Sie verwies auf die sozialen Verbesserungen, die der Entwurf vorsieht: Er sieht das Recht auf einen Kindergartenplatz vor. Verhütungsmittel, in der ehemaligen DDR kostenfrei, werden immerhin bis zum Alter von 20 Jahren kostenlos abgegeben. „Ein Einstieg“, wie Wettig meinte.
Die Lektüre des Entwurfes zeigt, daß die SPD viel, die FDP sehr viel weniger hat nachgeben müssen. Differenzen zwischen den ursprünglichen Gesetzesentwürfen der beiden Parteien gab es vor allem in drei wesentlichen Fragen: Die FDP hatte die Fristenregelung mit einer Beratungspflicht verbunden, die SPD wollte Beratung nur freiwillig. Anders als die FDP wollte die SPD eine generelle Straffreiheit der Frau und die Herausnahme des 218 aus dem Strafgesetzbuch. Im FDP-Entwurf gab es Straffreiheit nur bis zur 12. Schwangerschaftswoche.
Die Beratung soll nun verpflichtend werden. Im 219 formuliert Absatz 1 umständlich: „Die Beratung dient dem Lebensschutz durch Rat und Hilfe für die Schwangere unter Anerkennung des hohen Wertes des vorgeburtlichen Lebens und der Eigenverantwortung der Frau...“ In Absatz 3 zeigt sich die Handschrift der SPD: „Die Beratungstelle hat der Frau über die Tatsache, daß sie die Informationen...erhalten hat, eine mit Datum versehene Bescheinigung auszustellen.“ Sprich: Die Frau muß ihre Konflikte nicht offenbaren, es genügt, wenn sie sich die Beratung anhört. Allerdings hat sich die FDP mit den Regelungen bis zur 22. Woche auf die SPD zubewegt. Praktisch gilt zwischen der 12. und der 22. Woche wieder das geltende Indikationsrecht. Die Frau bleibt auch außerhalb der Indikation straffrei, der Arzt nicht. Praktisch ist das die Straffreiheit für Abtreibungen im Ausland.
Das komplizierte und zwischen den Koalitionspartnern strittige Gesetzesvorhaben soll bis Ende des Jahres unter Dach und Fach sein. Bis dahin läßt der Einigungsvertrag den GesetzgeberInnen Zeit, das Recht in Ost- und Westdeutschland zu vereinheitlichen. Sonst droht eine Verfassungsklage, möglicherweise sogar eine einstweilige Anordnung, die den neuen Bundesländern, in denen die Fristenregelung gilt, das geltende Westrecht überstülpt. Daß die CDU- Führung nach Art des Kanzlers das Problem am liebsten aussitzen würde, kann sicher angenommen werden. Eine kleine Gruppe von Abgeordneten, so Horst Eylmann, Friedbert Pflüger, Susanne Rahardt- Vahldieck, hatte schon vor Monaten zu erkennen gegeben, daß sie lieber einer Fristenlösung zustimmen würde. Angelika Pfeiffer, CDU-Abgeordnete aus Sachsen, kündigte an, daß sich aus den Reihen der Ost- CDUler „mehrere Abgeordnete" hinter den Kompromiß stellen werden. Die Unions-Fraktionssitzung am letzten Donnerstag habe gezeigt, daß sie dem CDU-Mehrheitsantrag nicht zustimmen könnten.
Erste Beratungen hatte es in aller Eile auch in den Fraktionen von SPD und FDP gegeben. In der SPD-Fraktion mochten sich immerhin 15, vor allem weibliche Abgeordnete, nicht sofort unter den Gruppenantrag setzen. Marliese Dobberthin kritisierte weniger den Inhalt als die unverständliche Eile, mit der der Gruppenantrag jetzt vorgelegt wurde. Christina Schenk (Bündnis 90) wies den Gruppenantrag zurück: Sie kritisiert die Zwangsberatung, die gegenüber dem geltenden Recht sogar verschärft würde.
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