PRESS-SCHLAG: Buffalo Cowboy goes Prag
■ NHL-Profi Christian Ruuttu trichterte dem finnischen Eishockeyteam den „american way of life“ ein
Der Mann ist nicht zu übersehen und auch nicht zu verwechseln. Erstens wegen der langen, blonden Haare, die hinten unter dem blauen Finnenhelm heraus hängen, zweitens wegen der Art, wie er spielt. Christian Ruuttu nimmt keine Gefangenen! Wenn der finnische Center aus Buffalo sich auf seine Gegenspieler zutorpediert, bleibt denen erstmal das Herz stehen, bevor es in die Hose rutscht oder noch weiter nach unten. Übertrieben? Etwas, zugegeben, doch der 28jährige ist bei einer Weltmeisterschaft der Uniformität nun wirklich ein herausragender Spieler, weil eine herausragende Persönlichkeit. Und als solche neben Coach Matikainen und seinem selbstbewußten Assistenten Pietilä hauptverantwortlich für den größten Erfolg Suomis bei Welttitelkämpfen: das Erreichen des Finales gegen Schweden, die allererste WM-Medailleüberhaupt.
Dabei kam Ruuttu erst zum allerletzten Vorrundenspiel gegen Italien eingeflogen, nachdem seine im Bundesstaat New York gleich neben den Niagarafällen beheimateten Buffalo Sabres wie so oft bereits in der ersten Playoff-Runde des Stanley Cups gegen die Boston Bruins, knapp zwar, aber eben doch rausgeflogen waren. Matikainen rief ihn, und für den Blonden war's keine Frage. Zum einen wäre die Saison sonst so früh zu Ende gewesen, zum anderen sei es für ihn immer eine Ehre, für Finnland zu spielen. „Es gibt zwar kein Geld zu verdienen, aber die Jungen hier brauchten einen, der ihnen vormacht, wo's langgeht“, hat Ruuttu seine Motivation erklärt, obwohl, wie er gleich wieder einschränkte, „sie auch ohne mich sehr gut spielten.“ Was stimmt. Die sehr junge Mannschaft zeigte wirklich Erstaunliches, und den NHL-Profi brauchte sie weniger zum Zaubern und Toreschießen denn als Leitfigur. Schließlich konnte Esa Tikkanen genausowenig nach Prag kommen wie Jarri Kurri. Der eine muß für Edmonton weiter in den Playoffs spielen, der andere ist mit Los Angeles zwar ausgeschieden, aber verletzt. Dafür sprang der mit allen NHL-Wassern gewaschene Ruuttu ein, um den Kids zu zeigen, was amerikanische Mentalität erstens ist und zweitens bewirkt. „Man muß sehr körperbetont spielen in der NHL, aber dieses Körperliche schlaucht bei weitem nicht so wie die mentale Bereitschaft, die du mitbringen mußt.“ Schließlich: „Die zahlen dich nicht fürs Verlieren, die zahlen auschließlich fürs Gewinnen, und nur darauf kommt es an.“
Dies hat Christian Ruuttu den Jünglingen aus Helsinki und Tampere während jener Eiszeit vorgelebt. Und wenn er, was relativ selten vorkam, doch einmal draußen saß, dann stand sein Mund nicht still, redete er auf die Kids ein, ging von einem zum anderen, klopfte Schultern, schrie, munterte auf. „Man muß immer bedenken, daß wir ein sehr junges Team haben, und ich will nicht, daß die Jungen nervös werden.“ Drum sagte er ihnen, daß sie ihr Bestes geben mögen, versuchen sollten, etwas Spaß zu haben, und was es so für Phrasen im amerikanischen gibt. Ach ja — und daß Eishockey nicht das ganze Leben ausmache!
Dies von einem, der seit sechs Jahren in der NHL spielt, per annum an die hundert Spiele zu absolvieren hat, meist drei bis vier die Woche, und mit den Sabres ohne Unterlaß den nördlichen Teil des amerikanischen Kontinents überquert, von Norden nach Süden und von Osten nach Westen. „Naja“, sagt da ein schulterzuckender Ruuttu einschränkend, „ich möchte nicht zu negativ klingen, schließlich macht es auch großen Spaß. Ich sage lediglich: Es ist kein Spaziergang im Park.“
Daß sich einer mit über 450 NHL-Spielen, über 100 Toren und 230 „assists“ in Prag leichter tut als ein Frischling, ist klar. Wann immer die Trainer etwas zu sagen hatten, riefen sie Ruuttu, wann immer ein Unterzahlspiel kam, eine kritische Situation oder man ein Tor brauchte, mußte der Blonde ran, der den amerikanischen Weg verinnerlicht hat. „Wenn du deinen Namen auf ein Stück Papier geschrieben hast“, sagt Christian Ruuttu, „dann solltest du auch für das bereit sein, wofür du unterschrieben hast: Gewinnen.“
Dafür hat Ruuttu im finnischen Team die Verantwortung übernommen. Obwohl er weder in Buffalo noch mit der finnischen Mannschaft vorher je irgendetwas gewonnen hat, ist er ein Siegertyp geworden, einer, der sich herausstellt, der lauter, länger jubelt als die anderen, der daherkommt und sofort bestimmt, aber auch einer, der diese exponierte Stellung ganz bewußt zum Wohl der Mannschaft ausfüllt.
Womit es ihm gelungen ist, die gemischten Erfahrungen aus der harten Schule von Amerikas Profisport ausschließlich positiv einzusetzen. Und die negativen? Ist der Mensch Ruuttu eigentlich noch der, der er war, oder hat die Persönlichkeitsbildung auch ihre Schattenseiten? — Weiß er nicht. Wenn er so an sich runter schaut, könnte er annehmen, er sei etwas härter geworden, etwas älter auch, versteht sich, und „hopefully“ etwas smarter. Amerikanisch eben. Peter Unfried
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