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Gegen die Betriebsanleitung

„Trivial Machines 1“: Das Hagener Osthaus-Museum untersucht die Elektrographie  ■ Von Jochen Becker

Heinz von Foerster, im Zuge der Systemtheorie wiederentdeckter Neokybernetiker, prägte 1971 den Begriff der„trivialen Maschine“. Triviale Maschinen definieren sich durch eine eindeutige und wiederholbare Beziehung zwischen Input und Output. Der Benutzer weiß, was ihn erwartet, wenn er sich eines solchen Systems bedient; der Tastendruck löst, wie zu erwarten, den Auswurf der Colabüchse aus. „Nicht-triviale Maschinen“ werden hingegen durch die Rückkoppelung des Output mit dem Input beeinflußt; ihre Arbeit ist somit nicht mehr vorhersehbar.

Ihre Ausstellung Trivial Machines 1 widmen Michael Fehr und Markus Müller vom Hagener Karl Ernst-Osthaus-Museum gemeinsam mit Klaus Urbons, Leiter des Mülheimer Museums für Fotokopie, dem nicht-normativen Umgang mit trivialen Maschinen wie Kopierer und Computer, Projektoren und medizinischen Bildgeneratoren. Einen Grundpfeiler ihrer Ausstellung der Elektrographie bildet die als Hardware ausgebreitete Entwicklungsgeschichte technischer Kopierverfahren von 1780 bis heute. Im Jugendstilaltbau des Hagener Museums wurden, dicht an dicht gestellt, mehr als 60 verschiedene Kopierer, Faxgeräte und Rechner zusammengetragen. Im Mittelpunkt steht der 1949 entwickelte Haloid-Xerox VR Camera als erster halbwegs praktikabler Kopierer. Mit diesem vergleichsweise kompakten Gerät — die Maschine ist kaum größer als heutige Hochleistungskopierer — reduzierte sich die Erstellung einer Positivkopie je nach Handfertigkeit auf weit unter eine halbe Stunde. Erst 1960, mit Einführung des Normalpapier- Kopierers Xerox 914, war der seitdem gebräuchliche vollautomatische Prototyp auf dem Markt. Weitere Meilensteine der jüngsten Technikgeschichte wie etwa der erste wirkliche Personal Computer (Apple II von 1977) bis hin zu neuesten digitalen Bildverarbeitungsgeräten stehen für die Entwicklungsschritte „trivialer“ Hardware. Im Neubau sind die „bildgebenden Verfahren in Kunst, Technik und Wissenschaft“ untergebracht; in der Künstlerliste stößt man unverhofft auf einige „Dr.'s“ und „GmbH's“. Anti-triviale, also nicht- normative Anwendungen der „trivialen Maschinen“ trauten die Veranstalter jedoch vorrangig den bildenden Künstlern und der allein visuell gestützten Datenverarbeitung zu. Die Benutzung gegen die Betriebsanleitung — sie lag den neueren Geräten bei —, welche erst ein „sinnvolles Verhältnis zu ihnen ermöglicht“, blieb jedoch bei einer Vielzahl der Arbeiten im Stadium des Testbilds stecken, also der puren Demonstration des Funktionierens einer Idee: Die Sonorkurve eines Fledermausschreis als Ölgemälde, das Klappheck-Bild einer Schreibmaschine oder ein tiefgekühlter, mit Eis bepackter Fotokopierer sind angesichts der hochgesteckten Ausstellungskonzeption trivial im allergewöhnlichsten Sinn. Der Computerpionier Konrad Zuse als gepixeltes, vom rechnergestützten Selbstbau-Malplotter aufgetragenes Ölbild wirkt gegenüber den geronnenen Mannesjahren der Hardware banal.

Nicht-trivial in Anwendung und Ergebnis ist Franz Johns speziell für Hagen entwickelte Arbeit Sky Nude. Für 24 Stunden stellte er einen Farbscanner ins Freie und digitalisierte den Himmel darüber. Die insgesamt 630 hochaufgelösten Scans sind zu aller Überraschung — „wo fängt der Himmel eigentlich an?“ — unberechenbar in Form und Farbe: Schillernd noch im Schwarz der Nacht, psychedelisch verlaufend bei beginnendem Regen und tagsüber wie Vorlagen für Gerhard Richters abstrakte Gemälde. Ebenfalls nicht-trivial, da mit anderen Systemen gekoppelt, geht Timm Ulrichs in seiner Arbeit Geld/Wechsel/Geld vor. Beim Umlauf durch zwanzig Währungen, die er durch die Wechselabschnitte seiner Bank dokumentiert, blieben vom Hundertmarkschein noch einige Münzen im Werte von 6,75DM übrig.

Eine Wohnmaschine als soziales System entwickelte Allan Wexler mit Crate House: Aus einem garagengroßen Holzkubus lassen sich vier Segmente ziehen, die in kompakter Form Naßzelle, Schlafstätte, Kochstelle und Schrankwand mit herausfahrbarem Fernseher enthalten. Außen sind die wichtigsten Versorgungsschnittstellen für Wasser und Elektrizität angebracht; drinnen hat jedes Ding seinen optimalen Stauraum. In einer weiteren Arbeit widmete sich Wexler der Trivialisierung einer „trivialen Maschine“. So schälte er von einer handelsüblichen Designer-Kaffeemaschine alle läßlichen Teile herunter und schraubte den für ihre eigentliche Funktion absolut notwendigen Rest auf Holzteilen zusammen. Die auf eigenwillige Weise durchaus formschön dekonstruierte Maschine — Wexler taufte sie Rebuilt Braun Coffeemaker — gibt nunmehr ihre Funktionsweise deutlich zu erkennen.

Michael hat den Rat der Stadt Hagen für sein Museum nun auch offiziell die Zielsetzung „Avantgarde“ abringen können. Das vor seiner Umsiedlung nach Essen als Museum Folkwang gegründete Osthaus-Museum griff in den letzten Jahren mit erkundenden Ausstellungen wie Imitation, Open Box oder zum Thema Fliegenpilz die spartenübergreifende Folkwang-Idee neu auf. Fehr nutzt den Apparat eines Museums als Forschungsstätte mit öffentlichem Zutritt, wobei zugunsten von gesellschaftlichen, wissenschaftlichen und technologischen Entwicklungen die klassische Bilderpräsentation in den Hintergrund tritt. Das Projekt Trivial Machines 1, vom ÖTV-Streik fast zum Abbruch genötigt, baut allerdings vorrangig auf die maschinengestützte Bildproduktion. Im Vergleich anderen Ausstellungen des Museums wird diesmal der alltägliche, industrielle oder wissenschaftliche Maschinengebrauch vernachlässigt.

Bis zum Ausstellungsende am 25. Mai sind Beiträge über die fünf Faxleitungen 02331/18299-2 bis -6 erwünscht. Es folgern: ein Katalog, ein Symposium und im Frühjahr 1994 die Trivial Machines 2 mit dem Schwerpunkt Auge- Hand-Gehirn .

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