: La Palma, Rimini? — Dranske, Vorpommern!
Tourismus in Ostdeutschland: Fördermittel versickern zwischen West und Ost/ Kommunen fehlt es an Selbstbewußtsein ■ Von B.Benthien und M.Bütow
Ein erheblicher Teil der Touristen, die 1990 und 1991 in die neuen Bundesländer kamen, folgten in erster Linie der Neugier. Sie wollten wissen, wie es in der DDR, hinter der „Mauer“ aussah. Sie wollten Verwandte und Freunde wiedertreffen, manche auch ihre frühere Heimat wiedersehen. Nur langsam nahm die Zahl der „echten“ Touristen zu, derjenigen, die zu Bildungs- und Erholungszwecken über Wochenenden oder längere Zeit die touristisch interessanten Landschaften und die kulturhistorisch reichen Städte Ostdeutschlands besuchten. Dazu kamen und kommen bis heute zahlreiche Geschäftstouristen, denen ein anderes Marktverhalten eigen ist, denn sie bezahlen manche Dienstleistungen aus der Geschäftskasse.
Die meisten Touristen waren angetan von der größeren Naturbelassenheit der ostdeutschen Landschaften und von der nostalgischen Fremdenverkehrsarchitektur in den traditionellen Touristenzentren, etwa an der Ostseeküste. Sie trafen zugleich auf eine — an westdeutschen Maßstäben gemessen — unzureichende Infrastruktur. Die Neugier und das Bewußtsein, auf Ungewohntes zu treffen, ließ den Touristen über manche Mängel hinwegsehen. Die Toleranz ist heute vorbei, die Neugier weitgehend gestillt. 1992 erwarten die Gäste für vergleichbare Preise wie in den Alt-Bundesländern auch vergleichbare Leistungen. Damit wird der Tourismus zu einem Prüfstein für die Kommunalpolitik der letzten beiden Jahre. Diese wird ihrerseits zum Prüfstein aus der Sicht jedes Gastgebers: Ist genügend getan worden, damit die Touristen auf saubere Städte, gepflegte Anlagen, ausreichend Parkplätze, kulturelle Veranstaltungen, kurz: auf ein ansprechendes touristisches Umfeld treffen? Die Antwort fällt uneinheitlich aus: mancherorts ja, mancherorts nein, insgesamt zu wenig. Auf der einen Seite sind Fremdenverkehrsämter entstanden, verbesserten sich die örtlichen Angebote, aber generell herrscht noch Unkenntnis darüber, daß der Tourismus durch die mit ihm verbundenen Unternehmen in den verschiedensten Bereichen Arbeitsplätze schafft und Einkünfte verbessert. Deshalb gehören auf kommunaler Ebene Wirtschaftsförderung und Tourismus in eine Hand, und der Bürgermeister gehört in die Spitze des örtlichen Fremdenverkehrsvereins. Nur so lassen sich Marktprozesse ausnutzen beziehungsweise beeinflussen.
In einer solchen Situation ist Unterstützung gefragt. Guter Rat ist bekanntlich teuer, aber nicht jeder teure Rat ist damit auch gut. So muß von schlechten und rechten Ratgebern die Rede sein. Für viele Regionen, Kreise und Kommunen wurden — über reichlich fließende Fördermittel — Programme und Konzeptionen erarbeitet, oft sogar mehrere für dasselbe Gebiet. Nur: sie nützen selten etwas, die wirklichen Problemlösungen blieben oft auf der Strecke, auf der Strecke nämlich zwischen Stuttgart, München oder Hamburg und den Konzepträumen. Wenige Flüge von der Firma (West) zum Problem (Ost) und ein gutes Computerprogramm garantieren vielleicht eine imposante Präsentation, nicht jedoch einen aussagekräftigen Inhalt für Dranske oder Krakow, Vorpommern oder welchen Raum auch immer man herausgreifen möchte. Jetzt sind die Gelder auftragsgemäß „abgefordert“, aber vor Ort hat sich nichts geändert. So hat auch hier der „Aufschwung Ost“ einmal mehr zum „Wohlstand West“ beigetragen, sind die wohlgemeinten(?) Fördermittel nicht in den Osten, sondern nur durch den Osten geflossen. Plötzlich sind wieder „Ossis“ gefragt. Nicht (nur) weil sie vielleicht billiger sind, sondern weil sie die Region kennen, weil sie die Probleme der Menschen verstehen, die das Feld der „kleinen“ Tourismuswirtschaft beackern sollen; die „großen Fische“, die Filetstücke, sind ohnehin im wesentlichen weg oder stehen — dank Treuhand — auch in der dritten Saison nach der Wende abseits vom Markt. Es bewahrheitet sich der alte DDR-Witz: „Was unterscheidet den DDR-Bürger vom Bundesbürger? Der eine hat von Marx das Kommunistische Manifest geerbt, der andere das Kapital!“
Wichtig ist eine reale Differenzierung nach den jeweiligen regionalen oder lokalen Möglichkeiten. Der Tourismus kann in der einen oder anderen Kommune, in der einen oder anderen Region auch den Arbeitsmarkt dominieren, sicher ist aber auch, daß nur eine ausgewogene Entwicklung von Dienstleistung, Handel, produzierendem Gewerbe und Industrie ein ausreichendes Arbeitsplatzangebot garantiert.
Im real existierenden Nach-Wende-Osten überwiegen aber die Investitionen in den konsumtiven Bereichen. Supermärkte stehen inzwischen an jedem Stadtrand, manche zählen sich zu den „größten Europas“. Aber die Stadtzentren — die nicht zuletzt für den Tourismus attraktiv gestaltet werden sollten — sind sträflich vernachlässigt. Aus ihnen verschwindet das Geschäftsleben, die einheimischen Händler machen Pleite, ambulante Händler aus dem Westen versuchen sich mit Billigangeboten auf den Marktplätzen, und in den Rathäusern sieht man hilflos zu. So kann kein Stadttourismus entwickelt werden; der braucht lebendige Innenstädte mit unverwechselbarem Flair, freundliche Auslagen in Geschäften mit freundlichen Verkäufern, gepflegte Gaststätten neben Fast-Food-Ständen. Hier haben die „Mächtigen“ versagt.
Wohl kaum ein Begriff der Branche wurde in der jüngsten Zeit so gequält wie der „sanfte Tourismus“. Trotzdem wird der Tourismus im Osten Deutschlands wohl ein sanfter werden, denn mit massentouristischen Erscheinungen ist nur punktuell zu rechnen. Und hier besteht die Möglichkeit, internationale Erfahrungen belegen das, durch geschickte Gestaltung beziehungsweise Steuerung der Konzentration benachbarte Landschaften zu entlasten. Besonders wichtig ist dies im Zusammenhang mit dem durch die letzte DDR-Regierung glücklicherweise verabschiedeten umfangreichen Nationalparkprogramm. Es sichert den Bestand schützenswerter Landschaften, erfordert aber auch sinnvolle Strategien zur Lenkung der Touristenströme.
Nicht nur der Tourismus selbst ist hier gefordert, auch andere Eingriffe in die Natur, im Zusammenhang mit den Veränderungen in Ostdeutschland sicher unumgänglich, müssen in ihren Auswirkungen auf Naturhaushalt und Landschaftsbild geprüft werden, etwa die A20 durch Mecklenburg-Vorpommern oder die Meyer-Werft auf Rügen.
Eine Landesregierung, die auf den Tourismus als Standbein setzen will, muß dazu dann auch Position beziehen und Entscheidungen fällen, die dieser Entwicklung dienlich sind. Bisher jedoch bleibt es — zumindest in Mecklenburg-Vorpommern — bei verbalen Absichtserklärungen.
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