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Solidarprinzip wird weiter zerfleddert

Gesundheitsminister Seehofer (CSU) stellt sein Konzept zur Reduzierung der Kosten im Gesundheitswesen vor/ Patienten müssen mehr zuzahlen/ Arzneipreise und Arzthonorare werden eingefroren  ■ Aus Bonn Tissy Bruns

Der Arztbesuch bleibt weiter kostenfrei, aber für jedes Medikament muß künftig gezahlt werden. Als Bundesgesundheitsminisiter Horst Seehofer (CSU) gestern seine Sparabsichten vorstellte, kam ihm gelegen, daß er die wildesten Gerüchte der letzten Tage dememtieren konnte. Denn so schien milder, was er tatsächlich plant. Um 11,4 Milliarden Mark will der Minister die Krankenkassen entlasten, weil Norbert Blüms Gesundheitsreformgesetz nur eine vorübergehenden Ruhepause gebracht hatte. Die Kostenentwicklung galoppiert wieder: 5 Milliarden Mark Defizit bei den Krankenversicherungen im letzten, vermutlich über 11 Milliarden in diesem Jahr. Da drohen drastische Beitragserhöhungen, wenn nicht gespart wird.

Versicherte und Leistungserbringer, also Ärzte, Zahnärzte, Pharmaindustrie und Apotheken sollen laut Seehofers Ankündigung „in die Pflicht genommen werden“. 3,2 Milliarden sollen die Krankenkassen durch zusätzliche Belastungen der Versicherten einsparen, stattliche 8,2 Milliarden veranschlagt der Minister gar bei den Leistungserbringern.

Durch drei Maßnahmen werden die Patienten durch Seehofers „Gesundheitsstrukturgesetz 1993“ belastet: Erstens wird die bisher auf vierzehn Tage begrenzte Zuzahlung bei Krankenhausaufenthalten verlängert. Künftig muß für jeden Tag im Krankenhaus bezahlt werden. Der Zuzahlungssatz von jetzt 10 DM im Westen wird zwar nicht erhöht, aber „dynamisiert“, also an die allgemeine Kostenentwicklung angepaßt. 1993 rechnet das Gesundheitsministerium mit 11 Mark für West-, acht Mark für Ostbürger. Rund 1,1 Milliarden DM soll das einbringen.

Zweitens werden Patientinnen und Patienten für jedes Medikament selbst zahlen müssen: 10 Prozent des Preises, maximal 10, minimal 3 DM. Ausdrücklich gilt das auch für die Festbetragsmedikamente, die bisher kostenfrei waren. Vermutlich geht der Verdacht, daß diese zehn Mark der Einstieg in künftig noch höhere Selbstbeteiligungen sein könnte, nicht ganz fehl. Die Festbetragspolitik, die laut Blüm „Kernstück“ seiner Gesundheitsreform war und de facto Höchstpreise fixierte, verliert jedenfalls mit der allgemeinen Patientenzuzahlung ihre Vorrangstellung als Preisregulativ.

Die Kassen werden laut Seehofer durch die Arzneimittelzuzahlung um 1,3 Milliarden entlastet. Die dritte Maßnahme könnte eine generelle Weichenstellung sein. Zwar werden entgegen den Gerüchten die Zuschüsse der Kassen bei Zahnersatzleistungen nicht gesenkt, aber zukünftig wird differenziert: nach Regelleistungen, die mit den üblichen Zuschuß von 60 % über die Krankenkasse abgewickelt werden und nach „Wahlleistungen“ für „höherwertigen“ oder „umfangreichen“ Zahnersatz. Zwar ließ der Minister im Dunkeln, was „höherwertig“ sein wird, klar ist allerdings, daß Wahlleistungen zwischen Zahnarzt und Patienten privat abgerechnet werden, also auch nach den privaten, höheren Kostensätzen. Die Zuschüsse für die Leistungem müssen durch private Versicherungen abgedeckt werden, die — ein Novum — bei den gesetzlichen Krankenversicherung eingerichtet werden sollen.

Kräftig will Seehofer Chefärzten, Zahnärzten und Pharmaindustrie in die Tasche greifen. Die Zahnärzte und Zahntechniker sollen 20 % weniger für Zahnersatzleistungen erhalten. Die Pharmaindustrie soll über 1,1 Milliarden DM Kosten mindern. 1992 soll sie sich freiwillig zur Kostenstabilität verpflichten, wenn nicht, dann drohen 1993 gesetzlich verordnete Preissenkungen über die ohnehin geplante 5%-Marke hinaus. Für die Krankenhäuser — der gewichtigste Kostenfaktor im Gesundheitswesen, den Blüm fast unverändert ließ — wird das Selbstkostendeckungsprinzip zum 1. 1. 1993 aufgehoben.

Auch in anderen Bereichen bleiben Seehofers Pläne unscharf. Erst 1999 werden wirksame Schritte zur Begrenzung der Ärtzeniederlassung greifen, obwohl jeder weiß, daß die Zahl der niedergelassenen Ärzte und Gesundheitskosten in direkter Verbindung stehen. Die Organisationsreform der Krankenkassen, für diese Legislaturperiode eigentlich vorgesehen, ist vertagt.

Seehofers Gesundheitsstrukturgesetz ist in der Koalition gründlich abgestimmt worden, bevor ein Wort nach außen drang. Einstimmige Beschlüsse in den Fraktionsvorständen und vermutlich auch das Ja der Fraktionen. Das Paket braucht allerdings die Zustimmung des Bundesrats.

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