: Anlieger frei beim Wirtschaftsgipfel
Während der G-7-Konferenz droht München das Verkehrschaos/ Hubschrauberlandeplätze und Polizeikonvois werden die Innenstadt zieren/Ganz München ein großer Sperrbezirk ■ Aus München Henrike Thomsen
Als im Juli 1989 der Weltwirtschaftsgipfel mit der 200-Jahrfeier der französischen Revolution zusammenfiel, zogen es viele PariserInnen vor, die Stadt zu verlassen. In den Wohnungsanzeigen im „France Soir“ wurden etliche Behausungen entlang der Champs-Élysées für zwei Wochen angeboten, die Miete lag bei durchschnittlich 2.000 Mark. Wer in der Münchner Innenstadt wohnt, täte gut daran, es im Juli genauso zu halten. Zwar fällt das diesjährige G-7- Treffen „nur“ mit den Opernfestspielen im Nationaltheater zusammen, aber die Sicherheitsmaßnahmen des bayerischen Staates versprechen, die Stadt für eine Woche vollkommen lahmzulegen. Verkehrstechnisch, so ließen Münchens Polizeipräsident Roland Koller und Kreisverwaltungsreferent Hans-Peter Uhl (CSU) vor Journalisten durchblicken, beginnt der offizielle Gipfel schon am 3. Juli. Dann wird der Tagungsort, die zentral gelegene Alte Residenz, weiträumig abgesperrt. In einen äußeren Sperrring, der vom Odeonsplatz bis zum Hofbräuhaus reicht, dürfen nur Anlieger eindringen. Die innere Absperrung, die nur mit Akkreditierung durchbrochen werden kann, umfaßt die Residenz, den Hofgarten, aber auch das Nationaltheater. Dort nun sollen trotz allem die Opernfestspiele stattfinden, allerdings können sich MusikfreundInnen einen Parkplatz in der weiteren Umgebung aus dem Kopf schlagen.
Touristen können in dieser Zeit also ihren Ritualrausch im Hofbräuhaus vergessen. Sollten sie sich statt dessen kulturbeflissen dem Nymphenburger Schloß zuwenden, droht ihnen eine weitere böse Überraschung. Auch das Schloß, in dem zum Auftakt der Konferenz ein Empfang stattfinden soll, wird für Normalsterbliche gesperrt. Dito die Rokokoschlößchen im Park, in denen ein paar Fachminister simpeln wollen. Konservatoren und Kunsthistoriker sind von dem Stelldichein der Wirtschaftsgiganten in den Wittelsbacher Prachträumen nicht sehr angetan. In der Residenz müssen ganze Säle ausgeräumt, Teppiche ver- und Stromleitungen gelegt werden. Der Verschleiß des delikaten Interieurs scheint vorprogrammiert. Die Staatsregierung schert das wenig: Sie hat der Bayerischen Schlösser- und Seenverwaltung während des Gipfels kurzerhand das Hausrecht entzogen.
Beklagen dürfen sich aber vor allem die MünchnerInnen. Polizeipräsident Koller bittet inständigst darum, in der fraglichen Zeit nicht mit dem Auto in die Innenstadt zu fahren. Doch selbst wenn diese Aufforderung befolgt wird, droht das Verkehrschaos: Die für die Delegationen reservierten Hotels, um die absolutes Halteverbot gelten soll, und die Tagungsorte liegen weit auseinander. Überall, wo ein Konvoi entlangkommt, wird die Straße kurzfristig gesperrt [früher hieß sowas Protokollstrecke, säzzer]. Zwei Hubschrauberlandeplätze werden mitten in der Stadt eingerichtet, einer davon im Englischen Garten. „Diese Einschränkungen sind unumgänglich, um die Sicherheit unserer Gäste zu gewährleisten“, so Koller.
7.000 Polizisten, meint Koller, sollen sich während des Gipfels in München aufhalten. Mit 1.800 Konferenzteilnehmnern und 5.000 JournalistInnen rechnen die Veranstalter. Wie viele sich zum Gegengipfel einfinden werden, ist unsicher. Als verläßlich erweist sich dagegen der bayerische Innenminister Edmund Stoiber (CSU), dessen Kriminalisierungskampagne der GipfelgegnerInnen munter fortschreitet. Der „aggressive internationale Widerstand“ werde sich in München versammeln, tönte Stoiber jüngst auf dem Kleinen Parteitag der CSU, um seine „verquasten Ideologien“ zu verbreiten und „Randale“ zu machen. Er werde eine hochmotivierte Polizei dagegen aufbieten. Diese hochmotivierte Polizei hat bereits zwei Treffen von GipfelgegnerInnen in München und vor wenigen Tagen das Nürnberger Jugendzentrum KOMM gestürmt.
Während die Polizeipräsenz in MÜnchen seit Mitte Mai drastisch gestiegen ist, übt das Kreisverwaltungsreferat (KVR) Druck auf die Besitzer von Lokalen aus, die GipfelgegnerInnen ausnehmen. Zum Beispiel auf Wolfgang Nöth, den Besitzer der in der Kernstadt gelegenen Hallen-Diskothek „Nachtwerk“. Er verlegte das dort für den 3. Juni geplante Gegentreffen auf eine Halle in einem Vorort, nachdem das KVR gedroht hatte, er solle sich „die Sache überlegen“. Oder auf Günther Knoll, Besitzer des Haidhausener Bürgersaals. Er wurde bei dem letzten Treffen von GipfelgegnerInnen von einem Herren in Zivil gefragt, wie lange er seine Konzession schon habe. Und wenn nun Kultusminister Hans Zehetmaier (CSU) auf die Idee kommt, er hätte bei Veranstaltungen in der Universität, wo der Gegengipfel stattfinden soll, auch ein Wörtchen mitzureden?
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